10.09.1997



Knüppeleinsatz gegen Abenteuerurlauber

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Jungle World

*   Knüppeleinsatz gegen Abenteuerurlauber
Von Pascal Beucker

Polizeistaatsdemonstration gegen den "Friedenszug Musa Anter".

"Join the winning side - join the peace train", lautete das Werbemotto der Organisatoren. Der türkische Staat reagierte routiniert. Schluß mit lustig: Die Militärdemokratur demonstrierte den Polizeistaat. Die Regierung setzte ihre Ankündigung in die Tat um, mit allen Mitteln den "Friedenszug Musa Anter", der von Brüssel nach Diyarbarkir rollen sollte, zu stoppen: diplomatische Intervention im Ausland, Knüppel- und Verhaftungsorgien im Inland. Präve ntive Massenverhaftungen in und Abriegelung von Dyiarbarkir, Straßenblockaden, Knüppeleinsätze gegen und Festnahmen von Teilnehmern am zum Buskonvoi transformierten Friedenszug. Business as usual: die bewährte türkische Antwort auf die "kurdische Frage".

Die Medienagentur für Menschenrechte (mfm) stellte in einer Erklärung fest, die gewaltsame Verhinderung einer von den Friedenszüglern am 3. September in Istanbul geplanten Pressekonferenz sei "ein deutlicher Hinweis darauf, was der türkische Staat unter Demokratie, Meinungsfreiheit und Friedfertigkeit versteht". Diesen Hinweis hätte man sich sparen können - ein Blick in den Jahresbericht 1997 von amnesty international genügt: "Im Berichtszeitraum wurden Hunderte Menschen als gewaltlose politische Gefangene in Haft genommen. (...) Folterungen fanden nach wie vor systematisch statt und haben das Leben von mindestens 25 Menschen gefordert. Weitere mindestens 23 Personen fielen nach ihrer Verhaftung durch die Sicherheitskräfte dem 'Verschwindenlassen' zum Opfer. (...) Gewerkschafter, Studenten und der Unterstützung separatistischer Bestrebungen der Kurden verdächtigte Personen wurden vielfach im Zuge friedlicher Kundgebungen oder in den Bü roräumen von Organisationen verhaftet (...) Menschenrechtler mußten sich unter der offensichtlich fingierten Anklage, bewaffnete Oppositionsgruppen zu unterstützen oder ihnen anzugehören, vor Gericht verantworten. (...) amnesty international erhielt von einer Vielzahl politisch motivierter Tötungen Kenntnis, bei denen es sich großenteils vermutlich um extralegale Hinrichtungen gehandelt hat."

Anscheinend ist dies ausgerechnet all jenen bewußt gewesen, die ohnehin nichts hätten befürchten müssen: Die unzähligen prominenten Unterstützer, mit denen der "Appell von Hannover" als Initiator und Organisator des Friedenszuges wortreich geworben hatte, blieben zu Hause. So fand sich nicht mal ein Hinterbänkler aus dem Europaparlament oder dem deutschen Bundestag zur Fahrt bereit. Der Zug war in seiner verkündeten Intention - den Friedensprozeß in den kurdischen Gebieten der Türkei zu befördern - bereits gescheitert, als die Deutsche Bahn AG den Chartervertrag mit den Initiatoren kündigte und ihre Wagen im Depot ließ. Dem Chefprotagonisten des "Friedenzuges", Hans Branscheidt, zumindest scheint bewußt gewesen zu sein, was die knapp über 300 "Friedensbewegten", die sich per Flugzeug auf in die Türkei machten, dort erwartete: Er sagte kurzfristig aus "gesundheitlichen Gründen" seine Teilnahme ab. Denn mit diesem Häuflein, in bewährter Amtshilfe vom bundesdeutschen Innenminister Kanther bereits als "PKK-Sympathisanten" abgestempelt, konnte die Türkei problemlos fertigwerden, ohne daß dies größeren internationalen Schaden für sie anrichtet.

Natürlich ist der türkische Polizeistaatseinsatz ein Skandal. Doch das Wehklagen der Abenteuerurlauber über die erlebte Brutalität erzeugt trotzdem nur begrenztes Mitgefühl. Immer wieder schwappt in den Erklärungen der Organisatoren des "Friedenszuges" Unappetitliches oder Dümmliches durch. Da wird beispielsweise von einer imaginären "Substanz des kurdischen Volkes", die gefährdet sei, oder von "unheilbaren Schäden für das k urdische Volk" fabuliert. Wer Volkstümelei mit "zutiefst menschlichen und demokratischen Forderungen" (Informationsstelle Kurdistan e. V.) verwechselt, hat es verdient, etwas auf die Finger zu bekommen. Ebenso Geschichtsbewußtlose: Da verglich im Vorfeld Hans Branscheidt seinen Zug mit der Fahrt Lenins 1917 im verplombten Waggon durch Deutschland, an dessen Ende "der Frieden von Brest-Litowsk" gestanden hätte. Zunächst einmal führte Lenins Fahrt bekanntlic h zur Oktoberrevolution. Diesmal hingegen bleiben nur blaue Flecken - und das ist gut so: Denn eine Oktoberrevolution in Kurdistan unter der Vorhut der dortigen "Arbeiterpartei" ist eine ebenso unangenehme Vorstellung wie die Weiterexistenz der bestehenden Militärdemokratur in der Türkei.


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