25.09.1997



Rückschritt im Göktepe-Prozeß

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*   Rückschritt im Göktepe-Prozeß
Von Pascal Beucker

Der Prozeß gegen die mutmaßlichen Mörder des linken Journalisten Metin Göktepe im südanatolischen Afyon ist am achten Verhandlungstag erneut ins Stocken geraten. Die angeklagten Polizisten widerriefen am 15. September alle sie belastenden Aussagen, die sie vor einer Untersuchungskommission des türkischen Innenministeriums und in einer nicht öffentlichen gerichtlichen Vernehmung im Sommer 1996 gemacht hatten. Die elf Angeklagten sagten, sie seien zu diesen Aussagen von den Polizeibehörden gezwungen worden, einige von ihnen unter Folter. Sie seien jedoch unschuldig.

Die Verteidigung präsentierte eine neue Mordtheorie: Nicht Polizisten, sondern die auch in der BRD verbotene linksterroristische DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front), früher bekannt unter dem Namen Dev-Sol (Revolutionäre Linke), sei für die Ermordung Göktepes verantwortlich. Sie habe den Mord an dem Großunternehmer Özdemir Sabanci vertuschen wollen. Das ergibt jedoch wenig Sinn: Zum einen wurde Sabanci zusammen mit dem Vorsitzenden des türkischen Toyota-Konzerns, Haluk Görgün, sowie der Sekretärin Nilgün Hasefe erschossen, als Göktepe bereits tot war. Zum anderen bekannte sich Dev-Sol unmittelbar nach dem Anschlag zu dieser Tat. Auch die bisherigen Ermittlungsergebnisse im Göktepe-Prozeß widersprechen der Theorie der Verteidigung, ebenso das Ergebnis einer parlamentarischen Untersuchungskommission. Demnach wurde der Journalist am 8. Januar 1996 in Polizeigewahrsam von Polizisten zu Tode geprügelt.

Die Verteidiger griffen zugleich die Zeugen an, die gesehen haben wollen, wie der Reporter der Tageszeitung Evrensel in Polizeigewahrsam getötet wurde. Die Zeugen seien Mitglieder illegaler kommunistischer Organisationen gewesen und nicht glaubwürdig, so die Verteidiger. Sie beantragten, auf eine Gegenüberstellung ihrer Mandanten mit den Zeugen zu verzichten und die neun in Untersuchungshaft befindlichen Polizisten zu entlassen. Das Gericht, diesmal wieder unter Vorsitz Kamil Serifs, der sich die letzten beiden Verhandlungstage hatte vertreten lassen und mit dessen Ablösung allgemein gerechnet worden war, folgte der Verteidigung teilweise: Es verschob die Gegenüberstellung der Angeklagten auf den 9. Oktober und hob die Haftbefehle gegen vier Beschuldigte ohne Begründung auf, obwohl sich die Polizisten weiterhin weigern, ihre Adressen dem Gericht mitzuteilen. Eine Entscheidung, die im Gerichtssaal mit lautstarken Unmutsäußerungen quittiert wurde.

Der Vorsitzende Richter Serif machte dort weiter, wo er im Juni aufgehört hatte. Er zeigte keinerlei Interesse an einem zügigen Verhandlungsverlauf, ignorierte sowohl offensichtliche Widersprüche in den Aussagen der Angeklagten als auch Anordnungen seiner Vertretung Richterin Fatma Nilgun Ucar, mit denen Vertuschungsversuche im Polizeiapparat aufgeklärt werden sollten. "Wir sind alle müde von diesem Prozeß", erklärte Serif gleich zu Beginn der Sitzung.

Als die aus der Untersuchungshaft entlassenen Burhan Koç , Fedai Korkmaz, Murat Polat und Metin Kürsat das Gerichtsgebäude verließen, warteten bereits Anhänger der faschistischen Partei MHP auf die vier Polizisten. "Die Türkei ist stolz auf euch", skandierten die Anhänger des im April verstorbenen Alparslan Türkes. Sie schwenkten türkische Fahnen und schlachteten auf der Straße ein "Opferlamm" zu Ehren der uniformierten Mörder. Business as usual beim NATO-Partner Türkei.


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