09.10.1997



Yilmaz freundlich abgefertigt

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*   Yilmaz freundlich abgefertigt
Von Pascal Beucker und Anja Krüger

Trotz Freundschaftsbekundungen wird Deutschland der Türkei nicht zum EU-Beitritt verhelfen.

"Wir müssen realistisch und uns unserer innen- und außenpolitischen Probleme auf dem Weg zum Beitritt in die EU sehr wohl bewußt sein. Bei der Lösung dieser Probleme verlassen wir uns auf die Unterstützung Deutschlands", so umriß der türkische Ministerpräsident Mesut Yilmaz bei seinem Besuch in Bonn seine Strategie, wie es die Türkei doch noch schaffen könnte, in die Liste der nächsten EU-Beitrittsländer zu kommen.

Kohl nannte den 50jährigen, der in Köln studiert hat und gut Deutsch spricht, einen "lieben alten Freund". Yilmaz gilt für die Bundesregierung als Garant für die Westorientierung der Türkei und das Zurückdrängen des Islamismus. So übte sich die Bundesregierung in Höflichkeitsfloskeln. Der angestrebten EU-Mitgliedschaft ist die Türkei rhetorisch ein gutes Stück näher gekommen.

Der Bundeskanzler erklärte, er sehe eine "Beitrittsperspektive zu gegebener Zeit". Wann diese allerdings komme, ließ er offen. Die Bundesregierung unterstütze "das Ziel einer späteren Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union". Ähnlich Außenminister Kinkel: "Der türkische Zug bleibt auf dem europäischen Gleis, er wird nicht abgestellt auf einem Nebengleis." Nur rollen darf der Zug noch nicht. Zuerst müsse das Land, so Kohl, "entsprechend den Anforderungen der Europäischen Union" einen eigenen Beitrag zur "Realisierung der Beitrittsperspektive" leisten. Dabei werde die Bundesregierung "im Rahmen ihrer Möglichkeiten im Geiste der traditionellen deutsch-türkischen Freundschaft helfen". Offiziell gelten neben der wirtschaftlichen Situation der Türkei Menschenrechtsverletzungen, das offene Zypern-Problem und die Kurdistanpolitik als Hindernisse für einen EU-Beitritt.

Yilmaz interpretierte die unverbindlichen Auslassungen Kohls als Signal für eine "Wende in Bezug auf unsere Beziehungen mit der EU" und sprach von einem "behutsamen Optimismus". Die Türkei begehrt seit beinahe 30 Jahren den Einlaß in die europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Sie ist seit 1963 assoziiertes Mitglied. Ein Freizügigkeitsabkommen, das in den Siebzigern in Kraft treten sollte, wurde seinerzeit kurzerhand ausgesetzt.

Der Wunsch nach Aufnahme in die EU läßt die türkische Regierung weitreichende Konzessionen machen. So ist sie zum Verzicht auf die Freizügigkeit bei einem Beitritt bereit. "Kohl brachte seine Sorge zum Ausdruck, daß sieben bis acht Millionen Türken zur Arbeitssuche nach Deutschland kommen könnten", sagte Yilmaz unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Deutschland vor der Fraktion seiner konservativen Mutterlandspartei (ANAP). Die Türkei wolle sofort in die Liste der Beitrittskandidaten aufgenommen werden, so der Ministerpräsident, weil beim Luxemburger EU-Gipfel im Dezember "die endgültigen Grenzen der EU festgelegt" würden. Wer dann nicht zu den Beitrittskandidaten gehöre, habe in den nächsten zehn bis 15 Jahren keine Chance, EU-Mitglied zu werden.

Der türkische Ministerpräsident räumte freimütig Menschenrechtsverletzungen ein. Yilmaz, in seiner Jugend einer der führenden Köpfe der faschistischen "Grauen Wölfe", sagte jedoch zu, daß die Prinzipien der Rechtstaatlichkeit und der Unabhängigkeit der Justiz durchgesetzt würden. Hier konnte Yilmaz nahtlos an seine Amtsvorgänger Demirel, Çiller und Erbakan anknüpfen. Selbstkritik und die wortreiche Bekundung guter Absichten gehören zum Standardrepertoire türkischer Politiker bei Auslandsbesuchen.

Die katastrophale Menschenrechtssituation in der Türkei tangiert das freilich nicht. Auch hier wahrt Yilmaz die Kontinuität: Seit dem Antritt seiner Regierung hat sich grundsätzlich nichts an den systematischen Menschenrechtsverletzungen geändert. Dabei wird es auch bleiben. Denn die Bekämpfung des "Terrors durch die kurdische PKK" werde fortgesetzt, erklärte Yilmaz bei seinem Deutschlandbesuch. Damit werden in der Türkei die meisten militärischen und polizeilichen Maßnahmen gerechtfertigt. Erst in der vergangenen Woche war die Türkei vom europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt worden, weil eine junge Kurdin brutal gefoltert und von Gendarmen vergewaltigt worden war. Eine Delegation des Europarates überprüft zur Zeit in der Türkei drei weitere Klagen. Erst Mitte April hat eine Menschenrechtsdelegation des Deutschen Bundestages unter Vorsitz der FDP-Abgeordneten Irmgard Schwaetzer festgestellt, daß Folter und Entführung von Menschen durch staatliche Sicherheitsorgane immer noch an der Tagesordnung sind.

Doch das sind Nebensächlichkeiten. Die EU-Mitgliedschaft der Türkei wird sich an einer anderen Frage entscheiden. Der Münchner Merkur brachte es anläßlich des Yilmaz-Besuches auf den Punkt: "Die kulturellen Unterschiede zu Europa sind einfach zu groß". Die Türkei wäre das erste islamisch geprägte Land in der EU. Da ist es wenig verwunderlich, daß gerade die deutsche Regierung hinter den Kulissen den Integrationsprozeß der Türkei in die EU blockiert.


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