30.10.1997



Baggern am Worst Case

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*   Baggern am Worst Case
Von Pascal Beucker

Die Auseinandersetzung um Garzweiler II ist tatsächlich ein Streit zwischen Rot-Grün-Befürwortern und Großkoalitionären in der SPD.

Mal wieder dicke Luft in der rot-grünen Koalition in Nordrhein-Westfalen. Wollen "maßgebliche Kräfte" in der NRW-SPD die Zusammenarbeit mit den Grünen platzen lassen, um so ihren Ministerpräsidenten Johannes Rau abzuschießen? Diese These vertreten die NRW-LandessprecherInnen von Bündnis 90/Die Grünen, Barbara Steffens und Reiner Priggen, in einem sechsseitigen Brief an die Orts- und Kreisverbände der Partei. Der Dauer-Koalitionsstreit um den geplanten Braunkohletageabbau Garzweiler II sei "nur die Folie, auf der dieser SPD-interne Konflikt ausgetragen wird". Der ohnehin geringe Spielraum in der Garzweiler-Frage, so Steffens und Priggen, werde offensichtlich mit Absicht systematisch verkleinert, um die Koalition zu beenden.

Die GenossInnen reagierten gereizt. "Mehr als ärgerlich" und "Polemik" nannte SPD-Landesgeschäftsführer Ulrich Wernhöfer den Brief der grünen SprecherInnen. Johannes Rau soll gar im SPD-Landesvorstand am Montag vergangener Woche von einer "unverschämten Einlassung" gesprochen haben. Es sei "bedrückend", so Rau laut dpa, wenn die Grünen glaubten, "mit einer Verratslegende arbeiten zu können". Die SPD stehe geschlossen zur Koalition, verkündete Parteisprecher Horst Kückmann sofort nach der Vorstandssitzung. Es habe keinen Widerspruch gegen die von Rau auf der Sitzung formulierte Linie gegeben: "Wir wollen den Erfolg der rot-grünen Koalition und stehen auch für den Braunkohletagebau Garzweiler II."

Verbarg sich hinter den Warnungen von Steffens und Priggen nur Panikmache? Sicher ist, daß bei einem Scheitern der rot-grünen Koalition im bevölkerungsreichsten Bundesland noch vor der Bundestagswahl es auch im Bund schlecht für Rot-Grün aussähe. Sicher ist auch, daß Wirtschaftsminister und SPD-Kronprinz Wolfgang Clement lieber heute als morgen Johannes Rau als Ministerpräsidenten beerben will. Doch "Bruder Johannes" hat noch keine Abtrittsambitionen. Zumindest bis zur Bundespräsidentenwahl will er durchhalten, um seine Chancen auf das Präsidentenamt nicht leichtfertig zu verspielen. Bricht jedoch die NRW-Koalition, ist er ausmanövriert. Der Weg für den 57jährigen Clement wäre frei. Clement gilt neben SPD-Fraktionschef Klaus Matthiesen als einer der Hardliner im rot-grünen Streit um Garzweiler II. So erscheint das von den grünen ParteisprecherInnen entworfene "Worst-case-Szenario" auf den ersten Blick durchaus realistisch: Bruch der Koalition an der Garzweiler-Frage, dann entweder Große Koalition oder Neuwahlen zum 1. März - parallel zu den Wahlen in Niedersachsen - mit der Hoffnung auf eine absolute SPD-Mehrheit.

Allerdings beruht dieses Szenario auf ein Fehleinschätzung: Wenn Rot-Grün in NRW an Garzweiler II auseinanderbricht, dann nicht wegen der SPD. Zu Recht erinnerte Klaus Matthiesen in seiner Reaktion auf den Grünen-Brief daran, daß das jetzt ablaufende Genehmigungsverfahren im Koalitionsvertrag auch von den Grünen gebilligt worden sei. Das ist das Dilemma der grünen Parteistrategen. Sie verkauften der Parteibasis die Vereinbarung als "Einstieg in den Ausstieg". Doch davon steht in dem Koalitionsvertrag kein Wort. Daß Garzweiler II kommen muß und wird, darin sind sich in der NRW-SPD - sieht man von den Jusos und dem Bundestagsabgeordneten Christoph Zöpel einmal ab - alle einig. Unterschiedliche Auffassungen gibt es nur in der Frage des Umgangs mit dem kleineren Koalitionspartner. Clement und Matthiesen stehen dafür, die Grünen vorzuführen - und riskieren dabei den Bruch. Die überwiegende Mehrheit in der SPD-Führungsetage jedoch favorisiert im Hinblick auf die Bundestagswahl eine Lösung, die den gigantischen Tagebau nicht in Frage stellt, den Grünen jedoch ermöglicht, ohne größeren Gesichtsverlust in der Koalition zu verbleiben. Für diese Linie steht neben Rau vor allem der SPD-Bundesgeschäftsführer. "Wir müßten besoffen sein, die Koalition wegen eines Lochs platzen zu lassen, das im Jahr 2006 gegraben wird", so Franz Müntefering, der auch Chef des größten und entsprechend mächtigen SPD-Parteibezirks Westliches Westfalen ist.

Während ihre Hamburger Parteifreunde der SPD immerhin die Rettung des Wachtelkönigs abtrotzen konnten, blieb den NRW-Grünen in und seit den Koalitionsverhandlungen 1995 vor allem das Krötenschlucken. Die Bilanz nach zwei Jahren Rot-Grün in NRW fällt ernüchternd aus. Beispielsweise betreibe die rot-grüne Landesregierung einen Sozialabbau, erklärte frustriert der sozialpolitische Sprecher der Landtagsgrünen, Daniel Kreutz, wie ihn "Rot pur niemals durchzusetzen gewagt" hätte. Nur in einem Punkt gelobten die Grünen, unnachgiebig zu bleiben: beim Braunkohletagebau Garzweiler II. Mit ihrer harten Haltung an diesem Punkt rechtfertigten sie das Nachgeben in anderen Bereichen. Doch auch hier erreichten sie nur einen Formelkompromiß, den die grünen VerhandlungsführerInnen ihrer murrenden Parteibasis wider besseres Wissen als Ausstiegsoption verkauften, während gleichzeitig Klaus Matthiesen zufrieden feststellen konnte, daß sich durch die getroffene Vereinbarung "an der rechtsgültigen Genehmigung und der Realisierung des Projekts nichts ändert". Nun jedoch haben die grünen StrategInnen ein Problem. Voraussichtlich noch Ende November steht die Genehmigung des Rahmenbetriebsplans für Garzweiler II durch das Bergamt Düren an, das dem NRW-Wirtschaftsministerium unterstellt ist.

Ist der Rahmenbetriebsplan erst mal durch, wird das 48-Quadratkilometer-Loch kaum mehr zu verhindern sein. So galt die Genehmigung auch bisher als die Bruchstelle für Rot-Grün in NRW. "Wenn sich Wirtschaftsminister Wolfgang Clement für den Rahmenbetriebsplan entscheidet, wird die Koalition zusammenbrechen", verkündete noch im Sommer vollmundig Parteisprecherin Steffens. Jetzt ist Stöckchenspringen angesagt. Der von Steffens und Priggen in der vorvergangenen Woche verschickte Brief an die Parteiuntergliederungen diente genau diesem Zweck. Das durch ihn erzwungene öffentlichkeitswirksame Bekenntnis der SPD - auch von Clement und Matthiesen, die nicht als Königsmörder erscheinen wollen - zur Koalition in NRW eröffnet eine Rückzugsmöglichkeit. Auf ihrem letzten Parteitag im April hatten die NRW-Grünen wortreich ihren entschiedenen Widerstand gegen Garzweiler II bekräftigt. Doch ihr Beschluß ließ eine Hintertür offen: Sie würden die Koalition aufkündigen, falls die Genehmigung des Rahmenbetriebsplanes "politisch motiviert" sei. Wenn der Parteibasis erklärt werden kann, daß die Genehmigung ausschließlich nach "Recht und Gesetz" vonstatten gegangen ist, könnte die Ausstiegsklippe umschifft werden. Dazu ist jedoch eine Beendigung der Demütigungsstrategie von Clement, Matthiesen und anderen SPD-Heckenschützen notwendig - und das hat der Brandbrief erreicht. Der grüne Landtagsfraktionssprecher Roland Appel machte auch sogleich "klimatische Signale" aus der SPD aus. Auch Barbara Steffens spricht nun von "einem positiven Signal, das wir aufgreifen müssen", und bestätigt einem großen Teil der SPD, er wolle "tatsächlich eine Lösung des Konflikts herbeiführen".

Reiner Priggen kündigte unterdessen am vergangenen Mittwoch einen grünen Sonderparteitag für den Fall der Genehmigung des Rahmenbetriebsplans von Garzweiler II an. "Dann wird der Parteitag, der ja auch die Koalition beschlossen hat, zusammentreten und entscheiden", so Priggen. Johannes Rau hat den grünen Koalitionsstrategen schon den Weg gewiesen, wie sie ihrer Basis die Zustimmung zur Koalitionsfortsetzung schmackhaft machen können: Der Rahmenbetriebsplan habe beim Koalitionspartner "einen Stellenwert erhalten, den er objektiv nicht verdient", erklärte Rau gegenüber dem Kölner Stadt-Anzeiger. Er sei jedoch nur "Teil einer Reihe von Prüfungen und Genehmigungsverfahren". Die letzten Genehmigungen stehen erst nach der Bundestagswahl an. Folgten die Grünen dieser Argumentation, könnten sie weiterhin behaupten, die Garzweiler-Frage sei noch offen - möglicherweise bis zur nächsten Landtagswahl. Dann wird Clement zur Wahl stehen und die Karten werden ohnehin neu gemischt.


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