04.12.1997 |
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Kein Ende absehbar |
Von Pascal Beucker |
Steh auf,
wenn du ein Schalker bist: Auch Jürgen W. Möllemann ist
zur bundesweiten "Demonstration gegen Bildungs- und
Sozialstaatsabbau" nach Bonn gekommen. Einer von
vielen bundesdeutschen Politikern, die plötzlich ihr
Herz für die Studierenden entdeckt haben. Sogar der
Bundeskanzler verkündet im Bundestag seine
"Sympathie und Unterstützung". Wie könnte es
anders sein: Im nächsten Jahr stehen die
Bundestagswahlen an. So bietet Möllemann den
Demonstrierenden in Bonn freundlich seine
Grußwortdienste an. Doch die Studierenden lehnen
souverän alle Redeangebote von Politikern ab. So einfach
wollen sie sich nicht vereinnahmen lassen. Aus ihrem
Unmut über die Hochschulpolitik der Bundesregierung und
der Länderregierungen sowie die Umarmungsversuche der
Politiker machen die Studierenden keinen Hehl:
"Genau die Leute, die den Karren in den Dreck
gefahren haben, behaupten jetzt, sie wollten das gleiche
wie wir. Das ist falsch", stellt Olaf Bartz von der
Alternativen Liste an der Uni Köln auf der
Auftaktkundgebung fest. Auch von der vielbekundeten
Professorensolidarität hält er nicht viel: "Die
sollen erstmal mitstreiken und mit uns über unsere
Forderungen diskutieren - das tun sie aber nicht." Eindringlich betonen die Streik-AktivistInnen, daß es ihnen nicht nur um mehr Geld und mehr Bücher geht. Sie wollen die Verwirklichung des Grundrechtes auf Bildung, lehnen jede Form von Studiengebühren ab und treten für mehr Demokratie an den immer noch weitgehend demokratiefreien deutschen Hochschulen ein. Sie fordern eine verstärkte Frauenförderung und die Abschaffung aller Gesetze und Regelungen, die ausländischen Studierenden eine Gleichstellung mit ihren deutschen KommilitonInnen verwehren. Auch die Forderung nach einer "bedarfsdeckenden sozialen Grundsicherung für alle hier lebenden Menschen" taucht immer wieder in den studentischen Forderungskatalogen auf. Trotzdem werden die Streikenden in der Öffentlichkeit auf eine rein ständische Bewegung reduziert: "Es ist zum Kotzen", so Benno Nothardt vom "AK Presse/Öffentlichkeit" der Duisburger Streikenden: "Da haben wir einen einzigen Satz in der Presseerklärung, der nicht über den unmittelbaren Uni-Rahmen hinausgeht - und genau der wird überall zitiert." Über 40 000 Studentinnen und Studenten sind vergangenen Donnerstag nach Bonn gekommen. Einen Tag vorher demonstrierten 15 000 Studierende in Berlin. Die Duisburger Studierenden marschierten am Montag zur "Brücke der Solidarität" nach Rheinhausen - eine Aktion mit hohem Symbolwert: Vor zehn Jahren besetzten die Rheinhausener Stahlarbeiter diese Brücke aus Protest gegen die Vernichtung ihrer Arbeitsplätze. Für den 4. Dezember sind Demonstrationen in allen Landeshauptstädten geplant. An die siebzig Hochschulen werden inzwischen bestreikt. Über eine halbe Million Studierende sollen sich im Ausstand befinden. Doch das sind Schätzungen lokaler Streikkomitees. Genaue Zahlen gibt es nicht, da es noch an einer zentralen Koordination fehlt. Die wollen sich die Studierenden am 5. Dezember schaffen. Ein Ende der studentischen Protestwelle ist immer noch nicht absehbar. Zwar sollen sich an einigen hessischen Unis erste Konditionsschwierigkeiten bemerkbar machen, aber in anderen Bundesländern, wie Nordrhein-Westfalen, fangen die Streiks erst an. Inzwischen hat das Streikfieber sogar einige Schulen erfaßt - in Hessen rund zwanzig. |
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