18.12.1997



Bissige Kuscheltiere

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*   Bissige Kuscheltiere
Von Pascal Beucker

Die studentischen Protestierer schwanken zwischen radikaler Attitüde und angepaßten Lösungsvorschlägen.

Professionelle Vorbereitung ist alles. "(Mehr oder weniger) demoerfahrene Menschen" geben Tips, um richtig zu demonstrieren: Es wird empfohlen, warme Kleidung ebenso wie Essen und Trinken mitzunehmen, denn "Demos dauern oft unvorhergesehen lange". Auch nicht vergessen werden sollte Kleingeld: "Habt immer 20, 24 und zwölf Pfennig passend in Kleingeld bei euch. In Polizeigewahrsam habt ihr zwar Anspruch auf ein Telefongespräch, aber nicht auf Wechselgeld." Zuhause bleiben sollten hingegen politische Schriften, denn: "Politische Schriften, insbesondere in Mengen, die auf eine Verteilung schließen lassen, machen bei der Polizei unbeliebt und könnten dazu führen, daß ihr als Aufhetzer oder Rädelsführer betrachtet werdet. Also keine Bücher, Zeitungen, Flugis, Aufkleber, die als zu politische angesehen werden könnten." Ganz wichtiger Tip: "Kühlen Kopf behalten!"

Wer will da demonstrieren? Autonome? Mitnichten - die Hinweise finden sich auf den "Streikseiten" der Uni Stuttgart im Internet und gelten der am 18. Dezember in Bonn stattfindenden bundesweiten "Demonstration der StudentInnen- und SchülerInnenschaften". Sie soll der Höhepunkt der studentischen Protestbewegung in diesem Jahr werden. Die Stuttgarter Organisatoren erhoffen sich eine höhere Beteiligung als am 27. November. Damals demonstrierten auf der Bonner Hofgartenwiese 40 000 bis 50 000 Studierende gegen den Abbau von Bildung und Sozialstaat.

Die Streikwelle an den bundesweiten Hochschulen ebbt indessen ab. Etliche studentische Vollversammlungen haben inzwischen beschlossen, den als Streik bezeichneten Vorlesungsboykott "auszusetzen", so die Unis in Augsburg, Bonn, Darmstadt, Duisburg, Gießen, Köln, Mainz, Marburg, Osnabrück, Trier und Tübingen. Weitere Hochschulen wollen ihn in dieser Woche beenden. An der Münchener Uni wurde in der vergangenen Woche ein besonders interessanter Beschluß gefaßt: Zwar soll weiter "gestreikt", jedoch keine Vorlesungen mehr boykottiert werden. Auch in Saarbrücken gingen die Studierenden vom Lucky zum Tricky Streik über. Der Vorlesungsboykott wurde aufgehoben, nachdem die Dekane der verschiedenen Fachbereiche hatten verlauten lassen, daß ab dieser Woche das Fernbleiben von Veranstaltungen nicht mehr ohne Konsequenzen für die Betreffenden bleiben könne. Das wirkte: Auf ihre Scheine wollten die Streikenden nicht verzichten.

An der Technischen Universität in Dresden wird ebenfalls nicht mehr gestreikt. Dort hat man eine neue kreative Protestform gefunden: Studierende schlagen sich gegenseitig für das Bundesverdienstkreuz vor. Als Begründungen werden unter anderem angeführt, daß es auszeichnungswert sei, unter den gegebenen schwierigen Bedingungen zu studieren. Ihre formlosen Anträge richten die Studierenden an Kurt Biedenkopf (CDU), der wie jeder Ministerpräsident gegenüber dem Bundespräsidenten vorschlagsberechtigt ist. Jeder Antrag muß vom sächsischen Ministerpräsidenten einzeln beantwortet werden.

Auch in Bayern geht man neue Wege des Protests: Studierendenvertreter von elf Universitäten haben eine Initiative für ein Volksbegehren "Bayerisches Hochschulgesetz für Demokratie und Bildung" gegründet. Sprecher der Initiative erklärten am Freitag in Würzburg, schon mehrere renommierte Jura-Professoren hätten ihre Unterstützung bei der Ausarbeitung eines abstimmungsfähigen Gesetzesentwurfs signalisiert. In ihm solle unter anderem ein Verbot von Studiengebühren und eine Ausweitung studentischer Mitbestimmung in den Hochschulgremien festgeschrieben werden. 25 000 Unterschriften benötigen die Initiatoren, um das Volksbegehren beantragen zu können.

Unabhängig von der grassierenden Streikmüdigkeit gehen die Protestaktionen gegen die herrschende Hochschulpolitik im gesamten Bundesgebiet weiter. Dabei werden die "Kuscheltiere" (Süddeutsche Zeitung) bisweilen bissig: So legten am 9. Dezember nach einer spontanen Demonstration durch die Innenstadt von Köln über 2 000 Studierende den Zugverkehr lahm, indem sie die Gleise auf der vor dem Kölner Hauptbahnhof gelegenen Hohenzollernbrücke blockierten. Zwölf ICE- und Eurocity-Züge verspäteten sich um mehrere Stunden. Neun Blockierer wurden von der Polizei vorläufig festgenommen. Gegen sie laufen nun Strafverfahren. Mit Blick auf die Kölner Gleisblockade ermahnte Bundesbildungsminister Jürgen Rüttgers (CDU) die protestierenden Studierenden zur Gewaltfreiheit. Sie verlören ansonsten die Sympathie in der Bevölkerung, die sie in den letzten Wochen erhalten hätten, sagte Rüttgers der Kölner Boulevardzeitung Express. Ebenfalls unerfreuliche Bekanntschaft mit den grünen Staatsdienern mußten Studierende machen, die am letzten Montag das Büro des Präsidenten der Freien Universität Berlin, Johann Gerlach, besetzten. Der als "progressiv" geltende Gerlach ließ polizeilich räumen. Er habe es für "sinnlos" gehalten, so der FU-Präsident, mit den Besetzern weiter zu diskutieren. Über zwanzig Studierende wurden zur Personalienfeststellung mitgenommen. Auch gegen sie wird ermittelt. Bei der Bonner Demonstration am Donnerstag sind die studentischen Organisatoren jedenfalls auf alle Eventualitäten vorbereitet: "Gültige Papiere sind extrem wichtig, denn ohne sie könnt ihr ohne weitere Gründe bis zu 48 Stunden von der Polizei zu Feststellung der Personalien festgehalten werden", raten sie im Internet potentiellen Demonstrationsteilnehmern.


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