Heft 7/98

Minimalforderung:
Keine Abschiebung

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StadtRevue

*  Minimalforderung: Keine Abschiebung
Von Pascal Beucker

43 KurdInnen im Hungerstreik. Streit zwischen Kirchenführung und der Kampagne "Kein Mensch ist illegal".

Der Applaus war groß, als Gaby Gillen von der Kampagne "Kein Mensch ist illegal" den "Ehrengast" der Demonstration "Wir tauchen auf!" am 13. Juni in Düsseldorf begrüßte: Süleyman Yadirgi. Der 38jährige Kurde war erst einen Tag zuvor aus der Abschiebehaft entlassen worden. Sein Asylantrag wird nun doch noch einmal gerichtlich überprüft werden. Die Chancen, daß er bleiben kann, stünden gut, rief Gaby Gillen den mehreren Hundert DemonstrantInnen zu - unter ihnen viele illegalisierte Flüchtlinge.

Yadirgi sollte zum zweiten Mal innerhalb eines Vierteljahres abgeschoben werden. Nach seiner ersten Abschiebung im März war er am Flughafen in Istanbul festgenommen, eine Woche gefangengehalten, gefoltert und mit dem Tode bedroht worden. Nach seiner Freilassung tauchte der Menschenrechtsaktivist aus dem Bonner Kurdistan-Zentrum unter. Mitte Mai floh er erneut nach Deutschland. Als er einen Asylfolgeantrag stellen wollte, wurde Yadirgi auf der Kölner Außenstelle des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge festgenommen und in den Abschiebeknast nach Büren gebracht. Nun ist er - vorläufig - wieder frei.

Yardigi ist einer von rund 140 kurdischen Flüchtlingen, die sich seit dem 21. Januar mit Unterstützung der Kampagne "Kein Mensch ist illegal" in Nordrhein-Westfalen im Kirchenasyl befinden. Ihre Hoffnung, das Bleiberecht, Papiere für alle illegalisierten Flüchtlinge und einen Abschiebestopp in die Türkei zu erstreiten, hat sich bislang nicht erfüllt. Am 12. Juni haben 43 Kurdinnen und Kurden in der Kölner Antoniterkirche einen vorläufig auf drei Wochen begrenzten Hungerstreik begonnen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. "Seit dem Beginn unseres Protestes, also seit über fünf Monaten, haben die zuständigen Ausländerbehörden und das Innenministerium keine positive Stellung bezogen", resümieren die Flüchtlinge. Ihre Lage ist verzweifelt: "Wir können am sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Leben nicht mehr teilnehmen, wir leben jeden Tag mit der Angst, in die Türkei abgeschoben zu werden."

Ihre Angst ist real. Denn auch das Rot-Grün regierte Nordrhein-Westfalen will den Flüchtlingen keinen Schutz bieten, wie der damalige Innenminister Franz-Josef Kniola (SPD) in einem Schreiben vom April nachdrücklich klarstellte: "Wer mit seinem Asylbegehren keinen Erfolg hat, muß deshalb anschließend unser Land wieder verlassen. Dies ist auch bei türkischen Staatsangehörigen kurdischer Volkszugehörigkeit nicht anders." In einer Aktuellen Stunde des Landtags kritisierte Kniola Anfang Mai die Aktion "Wanderkirchenasyl". Einige Kirchengemeinden wollten damit Politik machen, doch rechtsstaatliche Entscheidungen dürften nicht außer Kraft gesetzt werden. Laut einer internen Schätzung des Düsseldorfer Innenministeriums leben rund 20.000 illegalisierte KurdInnen in der Bundesrepublik. Da sollen keine Präzedenzfälle geschaffen werden.

Die ersten drei kurdischen Familien suchten am 21. Januar in der Antoniterkirche Schutz vor ihrer Abschiebung in die Türkei. Die Kirche auf der Schildergasse ist eine gute Adresse für Menschen in Not. Die evangelische Gemeinde hatte zwei Roma-Familien von 1992 bis 1996 das längste Kirchenasyl in der Bundesrepublik gewährt. Für Pfarrer Kurt-Werner Pick eine Frage seines christlichen Selbstverständnisses: "Alle, die kommen, werden Zuflucht erhalten." Die Aktivitäten der Kampagne "Kein Mensch ist illegal" und ihrer kirchlichen MitstreiterInnen sorgten dafür, daß weitere Kirchen in Köln und Nordrhein-Westfalen Flüchtlinge aufnahmen. Inzwischen bieten über 30 evangelische und katholische Gemeinden den Flüchtlingen "Kirchenzuflucht".

Der Druck auf die BleiberechtsaktivistInnen innerhalb der Kirchengemeinden wächst unterdessen. So drohte der Sprecher des Kölner Generalvikariats, Manfred Becker-Huberti: Kirchenasyl und -zuflucht sei und bleibe Hausfriedensbruch. Wer es gewähre, greife in ein juristisches Verfahren ein und müsse entsprechend die Konsequenzen tragen. Der Ausländerbeauftragte der evangelischen Kirche im Rheinland, Landeskirchenrat Jörg Erik Gutheil, unterstellt der Initiative "Kein Mensch ist illegal", das "Schicksal von Flüchtlingen für eigene politische Ziele zu instrumentalisieren".

Gutheil ließ die drei bisher das Wanderkirchenasyl unterstützenden Superintendenten der evangelischen Kirchenkreise Düsseldorf-Ost, Jülich und Köln Mitte, Gerhard Gericke, Klaus Eberl und Eckhart Schubert, einen Rückzieher machen. Die Superintendenten hatten als Ergebnis des Hearings zur Lage der Menschenrechte in der Türkei und zur bundesdeutschen Asylpraxis am 7. Juni in Düsseldorf noch erklärt, die Flüchtlingen im Wanderasyl genössen ihre Unterstützung "in ihrem begründeten Protest", und festgestellt, "daß Abschiebungen in die Türkei nicht mit unserer an den Menschenrechten und der Würde des Menschen orientierten Verfassung vereinbar sind". Die Kirchenmänner forderten, den kurdischen Flüchtlingen einen Status als "Gruppenverfolgte" zuzuerkennen. Nur drei Tage später nahm sie Gutheil an die Leine: In einer von ihm, Gericke, Eberl und Schubert unterzeichneten Erklärung der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) ist von einem generellen Abschiebestopp nicht mehr die Rede. Vielmehr will die Kirche Verhandlungen mit dem nordrhein-westfälischen Innenministerium führen, "damit geklärt wird, an welchen Stellen eine erneute Einzelfallprüfung stattfinden kann". Die öffentlichen Wirkungsmöglichkeiten des Wanderasyls seien "weitgehend erschöpft", und es wird befürchtet, "daß das sog. ÔWanderkirchenasylÕ durch eine polizeiliche Maßnahme beendet werden könnte".

Für das Kölner Netzwerk "Kein Mensch ist illegal" beschreitet die Erklärung der Kirchenoberen einen Weg, "der im Ergebnis zur Abschiebung eines Teils der am Wanderkirchenasyl beteiligten kurdischen Flüchtlinge führen wird". Das Hilfsangebot der EKiR könne nicht Grundlage erfolgversprechender Verhandlungen sein, da von der Forderung nach einem Bleiberecht für alle am Wanderasyl Beteiligten abgerückt worden sei: "Minimalforderung bleibt, daß niemand der an der Aktion beteiligten Flüchtlinge abgeschoben werden darf." Das Wanderkirchenasyl solle nach Ansicht des Netzwerkes fortgesetzt werden, "bis eine für alle Flüchtlinge akzeptable Lösung gefunden ist".

Für August plant ein breites Bündnis von Flüchtlingsgruppen und UnterstützerInneninitiativen eine "Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen". Sie soll sechs Wochen, bis kurz vor den Bundestagswahlen, von Stadt zu Stadt durch die Bundesrepublik ziehen, um auf die Situation der illegalisierten Flüchtlinge aufmerksam zu machen.


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