22.01.1998



Da gibt es nur noch Grüne

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*   Da gibt es nur noch Grüne
Von Pascal Beucker

Der Sonderparteitag der NRW-Grünen demonstrierte Regierungswillen in Düsseldorf und Bonn.

Jüchen, ein Dorf am Niederrhein direkt am Rande des geplanten Braunkohletagebaus Garzweiler II. Jüchen, dessen Hauptattraktion "Rosis Schlemmerstübchen" ist und über das man sich immer ärgert, wenn der Eilzug von Köln nach Mönchengladbach auch dort noch hält. Jüchen, eines dieser Dörfer, das einen zum Befürworter des geplanten Megalochs Garzweiler II machen kann. Denn die Einebnung dieser Ödnis wäre, so der Kabarettist Jürgen Becker, "ein Beitrag zu 'Unser Dorf soll schöner werden'". Hierhin hatte es vergangenen Samstag die nordrhein-westfälischen Grünen verschlagen, um über den Fortbestand der rot-grünen Landesregierung zu entscheiden.

Eigentlich eine klare Sache. Ende Dezember hatte das dem sozialdemokratisch geführten Wirtschaftsministerium unterstellte Bergamt Düren den Rahmenbetriebsplan für Garzweiler II genehmigt - eine nach Ansicht der Grünen rechtswidrige und politisch motivierte Entscheidung. Was das zu bedeuten hätte, hatten führende NRW-Grüne immer wieder ihrer Basis und der Öffentlichkeit erklärt. Für die grüne Umweltministerin Bärbel Höhn eine Frage des Rückgrats: "Es gibt kein Einknicken beim Rahmenbetriebsplan." Landessprecher Rainer Priggen: "Wenn Garzweiler genehmigt wird, steigen wir aus." Auch der Landesparteitag im April letzten Jahres zeigte sich fest entschlossen: Bei einer "politisch motivierten" Genehmigung des Rahmenbetriebsplans für Garzweiler II gebe es keine Grundlage mehr für die rot-grüne Koalition in NRW. Doch das war letztes Jahr.

Mit Beginn des neuen Jahres erinnerte sich Bärbel Höhn der Worte ihres sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Johannes Rau, die sie damals noch nicht hören wollte. Der Rahmenbetriebsplan, so Rau, habe beim kleinen Koalitionspartner "einen Stellenwert erhalten, den er objektiv nicht verdient". Er sei nur Teil einer "Reihe von Prüfungen und Genehmigungsverfahren". Das war zwar etwas geflunkert, taugte aber zum Koalitionserhalt: Umweltministerin Höhn entdeckte für sich das "wasserrechtliche Erlaubnisverfahren", legte am 5. Januar ein "5-Punkte-Programm" vor, welches ihre "Schwerpunkte der Prüfung wasserwirtschaftlicher und landesplanerischer Aspekte im Zusammenhang mit dem Braunkohletagebau Garzweiler II" zusammenfaßte, und erklärte nun, den Königsweg zur Verhinderung von Garzweiler II gefunden zu haben.

Zwei Wochen lang war Höhn vor dem Parteitag durch das Land gereist. Kaum ein Kreisverband, in dem sie nicht ihre neue frohe Botschaft verkündete. Assistiert von fast allen prominenten NRW-Grünen, den Sprechern der Bundespartei und der Bundestagsfraktion Jürgen Trittin und Kerstin Müller, trommelte sie für den Fortbestand der rot-grünen Landesregierung. Ausgerechnet "jetzt, wo der Staffelstab der Federführung vom Wirtschafts- auf das Umweltministerium übergeht, aus der Koalition aussteigen?" fragte Höhns Kabinettskollege Vesper. "Das wäre eine Kapitulation. Wir würden handeln wie ein Fußballteam, das zur zweiten Halbzeit nicht mehr antritt mit dem Argument: Wir verlieren ja doch, und selbst wenn wir ein Tor schießen, wird es uns ohnehin aberkannt."

Das wirkte überzeugend. Schon vor Beginn des Parteitages in Jüchen war die Entscheidung gefallen: Eine Mehrheit der Kreisverbände und der Landesdelegierten hatte sich für den Verbleib entschieden. Nur das Ruhrgebiet blieb weitgehend renitent: "Und wenn man weiß, daß der Schiedsrichter bestochen worden ist? Soll man dann immer noch antreten?", so ein Bochumer Delegierter resigniert. Denn den Koalitionsgegnern war schon in den Tagen vor dem Sonderparteitag klar geworden, daß nur noch ein grünes Wunder ihnen zum Sieg verhelfen könnte. Auch Mitglieder, die nicht an Höhns Anti-Garzweiler-Ausrede glaubten, stimmten dafür: Eine Aufkündigung der Zusammenarbeit mit der SPD in NRW ein dreiviertel Jahr vor der Bundestagswahl könnte die Perspektiven für einen Regierungswechsel in Bonn dramatisch verschlechtern, so die Angst vieler NRW-Grüner. Schließlich wäre das ein gefundenes Fressen für CDU und FDP. Wer will ein solches Risiko eingehen - nach fünfzehn Jahren Helmut Kohl? Dann schon lieber: Augen zu und durch.

Die Parteitagsregie ist perfekt. Bärbel Höhn, auch innerparteilich das Zugpferd der nordrhein-westfälischen Grünen, ist für die von 11 bis 17 Uhr angesetzte Debatte gleich zweimal eingeplant: Mit einer "fachlichen Einführung" zu Beginn und kurz vor Debattenende mit einer "politischen Rede". Noch bevor sie das erste Wort gesprochen hat, wissen die Koalitionsbefürworter, daß dieser Parteitag keine böse Überraschung für sie bringen wird: Stehende Ovationen, als Höhn zum Mikrophon schreitet. Wer will eine solche Stimmung noch kippen? Der Fraktions-Linke Daniel Kreutz versucht es. Der Landtagsabgeordnete erinnert an den Parteitagsbeschluß von Borken: "All unsere Spitzenleute haben bis zum 22. Dezember immer wieder die Botschaft von Borken verkündet. Die war unzweideutig, und wir sind da im Wort." Er spricht von einer drohenden "Glaubwürdigkeitskrise nach außen und einer Identitätskrise nach innen" und weist auf die Kuriositäten in der Argumentation der Koalitionsbefürworter hin: "Auch Bärbel sagt, daß die SPD uns gekündigt hat. Sie schlägt aber vor, daß wir die Kündigung ablehnen. Das wäre so, als wenn der eine Partner aus der gemeinsamen Wohnung auszieht - und der andere zieht einfach hinterher."

Auch Kreutz bekommt viel Applaus - aber nur von rund 40 Prozent der Delegierten. Die Schlacht ist geschlagen. Die restlichen Debattenbeiträge sind nur noch Theater für die Medien, die mit einem Großaufgebot angereist sind, um dem nicht stattfindenden Ende der rot-grünen Koalition in NRW beizuwohnen. Immerhin werden sie gut unterhalten. In ihrer "politischen Rede" greift Höhn das Bild von Daniel Kreutz auf. Es sei falsch, da eine Koalition keine Liebesbeziehung sei: "Ihr könnt mir viel zumuten, aber keine Beziehungskiste mit der SPD", ruft sie in den Saal. Solche Bonmots kommen an. Nach ihr muß Marianne Hürten reden, Koalitionsgegnerin und Landtagsabgeordnete wie Kreutz. "Hinter Bärbel zu reden, ist eine Strafe Gottes", grinst Fraktionschef Appel vergnügt im Presseraum. Er weiß, daß er gewonnen hat. Die Frage ist nur noch, mit welchem Ergebnis.

Nach knapp über dreißig Wortbeiträgen, wohl ausgewogen zwischen beiden Seiten verteilt, steht kurz nach 17 Uhr die Abstimmung auf dem Programm. Zwischen 135 und 145 Stimmen - das Präsidium ist sich nicht einig über die genaue Zahl - sind für die Fortführung der Koalition, zwischen 95 und 105 Stimmen dagegen. Es sei "in dieser Situation weder glaubwürdig noch im Hinblick auf den Widerstand gegen Garzweiler II verantwortungsvoll, wenn wir den mit der Zulassung des Rahmenbetriebsplans verbundenen Provokationen nachgeben, die rot-grüne Koalition in Nordrhein-Westfalen beenden und damit faktisch die Weichen in Richtung auf endgültige Genehmigung von Garzweiler II stellen", heißt es in dem gefaßten Beschluß.

Die Kamerateams umringen Bärbel Höhn, um ihr Strahlen einzufangen. Jetzt gehe es darum, gemeinsam Garzweiler II zu verhindern, wiederholt sie zum Abschluß am Mikrophon. Daniel Kreutz nimmt die ausgestreckte Hand. Es gebe für ihn trotz allem keine andere Partei als die Grünen, verkündet er und ruft auch seine Mitstreiter eindringlich auf, nach der Niederlage keine dummen Sachen zu machen. Das ist auch nicht zu befürchten. Vor einer Zerreißprobe steht der Landesverband nicht. "In der Ablehnung von Garzweiler gibt es keine Realos, keine Linken, keine Pragmatiker und keine Fundis - da gibt es nur Grüne", hatte zu Beginn des Parteitages Jürgen Trittin in seinem Grußwort verkündet. Er habe dies schon im April letzten Jahres in Borken erklärt, und das gelte immer noch. Alle Redner stimmten in diesen Chor ein: Über das Ziel sei man sich einig, nur die Wege seien verschieden.

Auf dem düsteren Jüchener Bahnhof trifft sich ein Großteil der Delegierten wieder. Ein Blick in ihre Gesichter genügt: Auch sie sind froh, schnell wieder hier wegzukommen. Vielleicht wären Bagger wirklich nicht verkehrt. Doch hier kann man nicht einmal auf die SPD hoffen: Auch wenn Garzweiler II kommt - Jüchen bleibt. Der nächste Parteitag findet in zwei Wochen in Gelsenkirchen statt. Dann wählen die Delegierten ihre Kandidaten für Rot-Grün in Bonn.


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