12.02.1998



Nubbel der Nation

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Jungle World

*   Nubbel der Nation
Von Pascal Beucker, Köln / Beate Willms, Bremen / Lutz Getzschmann, Frankfurt a. M.

Faul, versoffen, ausgelassen - billig, willig, niemals krank. Auf der Suche nach der Arbeitslosenbewegung.

Kennen Sie den "Nubbel"? In Köln kennt ihn jeder. Er ist faul, versoffen, unverantwortlich, ausgelassen und gut gelaunt - also eine recht sympathische Gestalt, der allerdings ein tragisches Schicksal beschieden ist. Der "Nubbel", das ist die Stroh-Symbolfigur des Kölner Karnevals, und die ergreift langsam, aber unaufhaltsam Besitz von der Domstadt. Schon jetzt hetzen auf den Straßen immer mehr Kostümierte zu den Prunk-, Stunk- und sonstigen Karnevalssitzungen und verbreiten penetrant gute Laune - eine Jeckengemeinschaft, die in den kommenden Tagen noch bedrohlich anschwellen wird und der sich nur wenige entziehen können. Bis dann zum Abschluß, am Karnevalsdienstag, der "Nubbel", belastet mit allen Ausschweifungen der "tollen Tage", öffentlich verbrannt wird. Denn am Aschermittwoch ist bekanntlich alles vorbei, und die Jeckengemeinschaft kehrt wieder ins Normalleben zurück. Dann werden die rund 60 000 Kölner Arbeitslosen wieder dort stehen, wo sie sich normalerweise auch befinden: im Abseits.

"Wir sind die Nubbel der Nation", deklamierten am vergangenen Donnerstag Kölner Arbeitslose und verkündeten: "Aus der Bonner Bütt kommt ein Kalauer nach dem anderen: 'Halbierung der Arbeitslosigkeit' - ist das nicht jeck und doll?" Irgend einen Bezug zum Karneval hat in diesen Tagen alles in Köln. Ein paar hundert Menschen hatten sich morgens um 10 Uhr vor dem Kölner Arbeitsamt eingefunden. In einem "Trauerzug" mit der als "Pastorin" verkleideten Kabarettistin Bärbel Nolden an der Spitze begingen sie eine vorgezogene "Nubbel"-Beerdigung. "Bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unserer Wiedereinstellung."

Nach einer kurzzeitigen Besetzung der angrenzenden Luxemburger Straße ging es wieder zurück in den Innenhof des Arbeitsamtes - zur "Nubbel"-Verbrennung. Protest auf kölsch. Die schon von den Studentendemonstrationen Ende vergangenen Jahres hinlänglich bekannten Aktivisten der trotzkistischen Juso-Gruppe "Linksruck" schauen etwas befremdet. Ihnen bleibt das merkwürdige Treiben der Arbeitslosen sichtlich fremd. Sie sind eine größere "Ernsthaftigkeit" gewöhnt - und auch ansonsten eher Langweiler. Aber immerhin nicht zu übersehen: Jeder von ihnen ist wieder mit einem Pappschild ausgestattet, auf dem ganz unkarnevalistisch die 35-Stunden-Woche gefordert wird. "Französische Verhältnisse"? Auch in Köln wurden sie beschworen. Und einige glaubten gar daran - die Mitarbeiter des Arbeitsamtes hatten es schon vorsorglich durchgespielt: Besetzung des Hauses, Blockierung der Zugänge, Verkleistern der Fassade - auf jedes drohende Unheil waren sie vorbereitet. Doch ihre Befürchtungen waren unbegründet. Alles verlief friedlich und ordentlich - sogar die Asche des "Nubbels" kehrten die Demonstranten selber auf. Nach eineinhalb Stunden war der "Aktionstag gegen Arbeitslosigkeit" in Köln vorbei.

Die Protestierenden zogen heim. Für den ÖTV-Gewerkschaftssekretär Robert Spitz war der Aktionstag ein voller Erfolg: "So viele Leute hatten wir noch nie." Zu früheren Arbeitslosenaktionen, so Spitz, seien "maximal 30 bis 50" gekommen. Das macht eine rund zehnfache Beteiligungssteigerung. Die Aktionen gegen Arbeitslosigkeit sollen auch in Köln weitergehen. Einmal pro Monat, immer dann, wenn die neuen Arbeitslosenzahlen bekannt gegeben werden, wollen Arbeitslose sich vor dem Arbeitsamt versammeln, um gegen die herrschende Politik zu protestieren. Viele der Demonstranten werden sich jedoch schon früher wiedersehen: am 23. Februar - beim Kölner Rosenmontagszug. Zu dem kommen jedes Jahr rund eine Million Menschen.

Ermittlungsbehörde Arbeitsamt

Wolfgang T. ist gleich dran. Der 56jährige Metallarbeiter ist zum ersten Mal auf dem Arbeitsamt Bremen-Mitte, "überhaupt zum ersten Mal auf einem Arbeitsamt". Nachdem er beim letzten Sozialplan der Stahlwerke vor zwei Jahren noch 16 Tage zu jung war, um aufhören zu können, hat er jetzt den Aufhebungsvertrag unterschrieben. "Ich bin seit Jahren schwerbehindert, und die waren auch froh, mich los zu sein", sagt er.

Daß sich draußen vor der Tür gerade Arbeitslose zum gemeinsamen Besuch des Arbeitsamtes versammeln, hatte er beim Aufstehen im Radio gehört. "Ich bin extra früher gekommen, weil ich nicht wußte, ob da was abgesperrt ist."

Vor dem Arbeitsamt weht eine IG-Metall-Fahne, ein Trupp DGBler kommt über den Parkplatz. "So habe ich mir das vorgestellt", sagt Werner Herminghaus, arbeitslos und ehrenamtlicher Pressesprecher der PDS Bremen, der Flugblätter in der Hand hält, aber keine Anstalten macht, die auch zu verteilen. "80 Funktionäre und niemand, den es wirklich betrifft."

Wolfgang T. hat seine Visite bei der Sachbearbeiterin beendet und weiß nicht recht, ob er jetzt mitmachen soll. "Das geht doch vor allem um junge Leute. Oder?" Bettina A. ist "von Kollegen in der Fortbildung" mitgeschleppt worden. Die gelernte Bürokauffrau wird zur "Sachbearbeiterin Einkauf/Verkauf" qualifiziert. Im Mai ist sie fertig. Und dann? Schulterzucken. Vielleicht könne eine Bekannte weiterhelfen, die Kontakte zu einer Zeitarbeitsfirma habe.

Inzwischen sind rund 250 Leute zusammengekommen. Und nun? Gritta Barufke von der Aktionsgemeinschaft arbeitsloser BremerInnen (AGAB) bemüht sich, das Gemurmel zu durchdringen. Sie will die mitgebrachten Bewerbungen ausgefüllt sehen. "Ich bin billig, überaus willig und werde niemals krank sein, niemals aufmucken".

Die Billig-willig-Bewerbungen sollen an den Mann gebracht werden. Nur: Wer ist der richtige? Arbeitsamtsdirektor Christian Hawel? Die Vermittlerin? "Der Personalchef", schlägt jemand vor. Klatschen. "Gerhard Döring, fünfter Stock", hilft eine Arbeitsamtsmitarbeiterin weiter, die ein Schildchen an der Brust trägt: "Info Arbeitsamt". Gerhard Döring öffnet sein Büro bereitwillig und nimmt auch die Bewerbungen entgegen. Weiterhelfen könne er aber auch nicht, sagt er. "Ich habe keine 200 Stellen." Außerdem sei er nicht der richtige Ansprechpartner. "Ziehen Sie doch vor die Parteizentralen." Arbeitsamtsdirektor Hawel erklärt wenig später, sein Amt tue, "was in unserer Macht liegt". Auch was die steigende Zahl illegaler Arbeit angehe. "Wir sind ja eine Ermittlungsbehörde", sagt er und schaut in die Runde. "Das wissen die wenigsten". Und Erfolgsmeldungen kann er auch vorlegen. Geschnappte Illegale. Ob nicht die Politik - Stichwort Kürzung der Sozialhilfe für Kriegsflüchtlingen - dazu zwinge, in solche Bereiche auszuweichen. Hawel nickt. Das will er nicht abstreiten. "Staatliche Maßnahmen können das unterstützen."

Bewegungsübungen

Auch in Frankfurt erwachen scheinbar erste soziale Proteste gegen den Crashkurs von Regierung und Unternehmern. Erwerbslose verbünden sich mit protestierenden Studenten - und laufen Gefahr, sich mit ihnen gemeinsam zu blamieren. Die Besetzung des Arbeitsamtes am Aktiontag kam unerwartet, ebenso unerwartet wurden die Mittwochsdemos wiederbelebt. Sie sind ein Überbleibsel der studentischen Streikaktionen des vergangenen Jahres und wurden von gewerkschaftlichen Gruppen gemeinsam mit Erwerbsloseninitiativen und den Hochschülern geplant. Nachdem der Schwung der Studentenproteste verebbte, verwandelten sich die Demos in eine kaum mehr wahrzunehmende Mahnwache am Rande der Fußgängerzone. Nun raffte sich das Frankfurter Sozialbündnis, neben den Hochschul-Asten hauptsächlich von der Arbeitslosen-Initiative der IG Metall getragen, zu einer Fortsetzung der Mittwochsdemos auf - inklusive aller Klischees, der bürgerlichen Spätromantik von verhärmten Arbeitslosen. So zog die Mittwochsdemo von der Hauptwache durch das fast menschenleere abendliche Bankenviertel zum Polizeipräsidium.

Während die kleine Kundgebung abbröckelte, wurde für Ende Februar die nächste Mittwochsaktion als "Tanzdemo gegen Sicherheitswahn und Ausgrenzung" angekündigt. Die Namen verschiedener DJs fielen, die den meisten Anwesenden unbekannt gewesen sein dürften. Vermutlich wird aus der Mittwochsdemo ein Rave mit Technowagen und allem, was dazugehört.

Und vielleicht werden die Studenten dann bereits unter der blaugelben Fahne demonstrieren. Eine "AG Freunde demokratischer Bildung" ruft zum massenhaften Eintritt in die FDP auf. In einem Flugblatt heißt es: "Nur wenn wir in einer Partei aktiv werden, können wir begreiflich machen, daß unsere bildungspolitischen Forderungen ernst gemeint sind." In Berlin beteiligten sich mittlerweile fast 2 000 Studenten an dieser Initiative. Von Protestierenden, die ein besetztes Institut auf den Namen "Roman Herzog" tauften, ist allerdings kaum etwas anderes zu erwarten. Ihr Bündnis mit den Erwerbslosen könnte damit auch bald wieder zu Ende sein. Von dem Vorschlag, gemeinsam in die FDP einzutreten, werden diese wohl kaum begeistert sein.


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