01.04.1998



Regierungsjugend trainiert

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Jungle World

*   Regierungsjugend trainiert
Von Pascal Beucker

Auf ihrem Essener Bundeskongreß stellten die Jusos fast perfekt eine richtige Partei dar. Der Kanzlerkandidat war zwar verhindert, aber immerhin kam ein echter Parteichef.

"Mit Macht umfairteilen" - ein neckisches Wortspiel wird die Jungsozialisten in der SPD in die Wahlschlacht führen. Auf ihrem Bundeskongreß am vergangenen Wochenende in Essen gab sich der Parteinachwuchs siegessicher: Noch ein halbes Jahr, und die Jusos sind Regierungsjugend.

"Wir wollen einen Bundeskanzler, der sein Handwerk bei den Jusos gelernt hat", ruft die Juso-Bundesvorsitzende Andrea Nahles den Delegierten zu Beginn des Bundeskongresses zu. Denn Gerhard Schröder war ja mal einer der ihren: "Es ist Aufgabe der Jusos, zu zeigen, daß Reformforderungen innerhalb des Kapitalismus nur zum Teil durchgesetzt werden können und daß die Abschaffung des Kapitalismus daher unumgänglich ist", zitiert Nahles den SPD-Kanzlerkandidaten. Doch von solchen Verirrungen seiner Juso-Zeit in den siebziger Jahren will der "Genosse der Bosse" heute nichts mehr hören. Gerhard Schröder ist nicht nach Essen gekommen. Er ist verhindert, hat keine Zeit für die SPD-Arbeitsgemeinschaft, der er mal vorstand. Dabei steht auch den Jusos der Sinn nicht mehr nach antikapitalistischen Verirrungen. Heute fordern sie in ihrem Leitantrag "Arbeit für alle - Vergesellschaftung statt Marktradikalismus" nicht mehr die Abschaffung des Kapitalismus, sondern nur noch "einen Ausbau der internationalen Regulierung der Finanz- und Kapitalmärkte". Die Jusos streiten zwar noch wie früher, doch ihre Forderungen nähern sich der SPD-Realität an. Sie hinken allerdings immer noch ein bis zwei SPD-Programme hinterher .

Immerhin sind SPD-Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering und natürlich Oskar Lafontaine gekommen. Der Saarländer war der Wunschkandidat der Jusos für die Kanzlerkandidatur gewesen. In seiner einstündigen Rede gibt der SPD-Parteivorsitzende Platitüden zum besten: "Wir Sozialdemokraten kämpfen für einen Politikwechsel", deklamiert er. Weitergehende Konkretisierungen und Festlegungen vermeidet er - aber Lafontaine kann die Delegierten mitreißen, trifft den richtigen Ton und gibt den Jusos das Gefühl, hier rede ein "Linker". Das mögen sie. Immer wieder wird die Rede des Vorsitzenden von Beifall unterbrochen, am Schluß gibt es gar Standing ovations für den "lieben Oskar".

Die nachfolgende "Aussprache" wirkt wie eine Pflichtübung: Als Juso hat man halt die SPD von links zu kritisieren, auch wenn nur die Dümmeren wirklich glauben, das würde etwas an der eingeschlagenen Parteilinie ändern. Zuvor fein säuberlich zwischen den verschiedenen Juso-Bezirken ausgekungelt, geben die jeweiligen Strömungs- und Bezirksfürsten und -fürstinnen - in der Reihenfolge ihrer innerverbandlichen Relevanz - ihre "kritischen" Statements zur aktuellen SPD-Politik zu Protokoll. Beginnend mit der Vorsitzenden Andrea Nahles, versuchen sie dem Parteichef ihre Qualitäten als zukünftige Parteielite zu demonstrieren. Der Unruhepegel wächst von Rednerin zu Redner - ein zu offensichtliches Schaulaufen. Lafontaines Antwort ist entsprechend wohlwollend. Die meisten Kritikpunkte - zum Beispiel zum Asylrecht und zum Großen Lauschangriff - ignoriert er, aber er geht immerhin freundlich darauf ein, "was Andrea versucht hat, kritisch anzumerken": In ein paar Punkten würde er auch manches etwas anders sehen, in anderen Punkten nicht.

Es gibt zwei Juso-Gesichter: Das eine heißt Andrea Nahles. Sie ist der Star. Aus den inhaltlichen Debatten hält sie sich in der Regel heraus. Ihre Aufgabe ist es, den Verband zu repräsentieren - und das macht sie mit Leidenschaft. Mit den Fernsehkameras ist auch sie da. In ihren von der Kongreßregie eingeplanten und geschickt plazierten Reden gibt sie sich kämpferisch. Sie verkörpert das Bild der "jung-dynamischen", "unideologischen", aber "kritischen" Juso-Chefin. Das mögen auch die SPD-Oberen an ihr - und sie haben sie dafür mit einem Bundestagsmandat ab dem 27. September belohnt. Mit Nahles haben die Jusos nach langer Durststrecke wieder eine Vorsitzende, die in der Öffentlichkeit präsent ist. Das fehlte seit Anfang der achtziger Jahre - seit dem Abgang Schröders. Seitdem hatten die Jusos massiv an Attraktivität und somit auch an Mitgliedschaft verloren. Auch in der SPD interessierte sich niemand für den selbsternannten "sozialistischen Richtungsverband in der SPD", der sich permanent selbst in Flügelkämpfen zerfleischte. Juso-Kongresse ignorierte die Parteiprominenz einfach. Das sieht seit Nahles anders aus. Gestützt wird sie zwar von den sogenannten "Juso-Linken", den ehemaligen "Stamokaplern", die durch geschickte Bündnispolitik inzwischen über eine relativ stabile innerverbandliche Mehrheit verfügen. Doch richtig zu ihnen gehört sie nicht, was sie auch für die sich als "undogmatische Jusos" bezeichnende Verbandsopposition tragbar macht. Für welche Positionen Nahles steht, weiß wahrscheinlich auch in den Jusos niemand. Es interessiert auch nicht: Ihre Aufgabe ist, den Laden zu verkaufen - und das Geschäft versteht sie.

Dann gibt es da noch das zweite Juso-Gesicht: das des strömungszerfurchten Verbandes, in dem mit allen Ingredienzen der Machtpolitik um die innerverbandliche Hegemonie gekämpft wird. Die inhaltlichen Debatten verlaufen meist immer noch hart an den Strömungsgrenzen. Diskussionen verkommen so zum Ritual: Da fordert der Bezirk Mittelrhein "Solidarität mit dem sozialistischen Cuba", und der Bezirk Niederrhein antwortet mit dem Änderungsantrag: Ersetze "Cuba" durch "Mallorca". Da wird den einen vorgeworfen, sie hätten "Glasnost in der Stimme, Stalinismus in den Stiefeln", weil sie eine Zusammenarbeit mit der PDS nicht ausschließen wollen, und den anderen, sie machten das "Geschäft der Rechten". Man spielt "große Politik" im kleinen. Da gibt es ein über 300seitiges "Antragsbuch" und dazu noch unzählige Anträge als Tischvorlagen. Gleich mehrere Anträge beschäftigen sich damit, daß der Bundesvorstand das Verbandsemblem, die "Juso-Rose", eigenmächtig neu gestaltet hat und dies rückgängig gemacht werden müsse. Der Bezirk Hessen-Nord hat sogar eine "gutachterliche Beurteilung der überarbeiteten Entwürfe des Logos/Signets der Jusos" anfertigen lassen, um seine Ablehnung zu untermauern. Bei solch gravierenden Problemen bleibt nicht mehr viel Zeit zum Feiern: Die Kongreßparty am Samstagabend verschiebt sich weit nach hinten.

Die Jusos wollen einen eigenständigen Wahlkampfbeitrag leisten, haben sie in Essen beschlossen. Ihr Schwerpunkt wird auf der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik liegen. Dabei setzen sie andere Akzente als die Mutterpartei. Zentral bleibt die Frage der Ausbildungsplatzfinanzierung: "Wir wollen, daß die Betriebe, die nicht oder zu wenig ausbilden, in einen Topf einzahlen, aus dem Betriebe, die mehr ausbilden, Zuschüsse bekommen", erläutert Kerstin Griese, eines von vier Juso-Mitgliedern im SPD-Parteivostand, gegenüber Jungle World. Ein weiterer Punkt sei die Auseinandersetzung um die Arbeitszeitverkürzung, die von der Partei nicht offensiv genug vertreten werde. Aber auch in einem anderen Politikfeld wollen die Jusos eingreifen: Man müsse sich stärker um das Thema Grundrechte kümmern, meint Griese: "Ich bin der Ansicht, daß wir als SPD das Thema der Grundrechte, der Bürger- und Bürgerinnenrechte den Grünen nicht überlassen dürfen." Sie finde, "daß die SPD sich in den letzten Jahren hier programmatisch teilweise nicht richtig verändert hat".

Eine interessante Auseinandersetzung wurde in Essen über mögliche Bündnispartner geführt: Wie halten es die Jusos mit Grünen und PDS? Der Bezirk Hessen-Süd war gegen die rot-grüne Option. Er argumentierte, die Grünen seien eine kleinbürgerliche Partei, und es müsse daher ausschließlich für eine "SPD-geführte Regierung" gekämpft werden. Die Grünen seien höchstens als Mehrheitsbeschaffer brauchbar. Mehrheitsbeschaffer könnte auch die PDS werden. Dagegen verwahrte sich vehement der Niederrhein. Eine Kooperation mit der PDS müsse ausgeschlossen sein. Auch eine von der PDS tolerierte SPD/Grünen-Regierung komme nicht in Frage, so die Niederrheinerin Kerstin Griese: "Ich würde niemals eine Mehrheit auf Bundesebene von den Stimmen der PDS abhängig machen." Griese hält die PDS "für eine bürgerliche und konservative Partei, die meines Erachtens ihre Vergangenheit erst mal aufarbeiten sollte". Beide Positionen setzten sich nicht durch: Die Jusos setzen auf Rot-Grün - und, wenn notwendig, auch mit den Stimmen der PDS.


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