01.04.1998



Interview mit Heiko Kretschmer

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Jungle World

*   Sind die Grünen die neuen Jusos?
Von Pascal Beucker

Auf dem Bundeskongreß der Jungsozialisten in der SPD, der am Wochenende in Essen stattfand, herrschten gemischte Gefühle: Einerseits hat die Mutterpartei SPD in Umfragen schon seit langem nicht mehr so gut abgeschnitten wie sechs Monate vor der Bundestagswahl. Andererseits hat die Parteispitze unter Federführung des Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder ein Programm vorgelegt, das mit sozialistischen Vorstellungen, wie sei die meisten Jusos noch immer für sich reklamieren, endgültig nichts mehr zu tun hat. Der Konflikt der Jusos mit Schröder zeigte sich auch daran, daß der Kanzlerkandidat dem Kongreß der Jugendorganisation keinen Besuch abstattete. Heiko Kretschmer (30) ist Mitglied des Juso-Bundesvorstandes und zählt zu den Repräsentanten der "Juso-Linken", die zur Zeit die Verbandsmehrheit stellen.

Wo ist Gerhard Schröder?

Heiko Kretschmer: Gute Frage. Vielleicht zu Hause?

Haben die Jusos Probleme mit dem SPD-Kanzlerkandidaten?

Heiko Kretschmer: Gerhard Schröder ist Kanzlerkandidat der SPD. Und wir wollen, daß die SPD stark genug wird, die amtierende Regierung am 27. September abzulösen. Insoweit hat er unsere Unterstützung, nächster Kanzler dieser Republik zu werden.

Kanzler mit welcher Koalition? Die SPD ist auf Distanz zu den Grünen gegangen und hält sich alle Optionen offen. Haben auch die Jusos Probleme mit der Koalitionsfähigkeit der Grünen?

Heiko Kretschmer: Diese Debatte halte ich für völlig verfehlt. Es gibt in dieser Republik keine andere Perspektive. Bei aller Solidarität für Gerhard Schröder, was seine Kandidatur betrifft: Es reicht ja nicht aus, einfach eine SPD-geführte Bundesregierung auf irgendeine Art und Weise zu installieren. Was wir brauchen, ist ein Regierungswechsel, der einen Politikwechsel darstellt. Das ist mit niemand anderem als den Grünen zu machen. Managementfehler, wie sie den Grünen in den letzten Wochen passiert sind, hat jeder schon einmal gemacht. Darüber eine Koalitionsdebatte aufzuziehen, halte ich für verfehlt. Es ist auch nicht unsere Aufgabe, den Grünen zu sagen, was sie tun sollen, so wie es nicht unsere Aufgabe ist, für sie Wahlkampf zu machen.

Die SPD-Führung hält es aber offensichtlich schon für ihre Aufgabe, den Grünen mitzuteilen, was sie zu fordern und was sie nicht zu fordern haben.

Heiko Kretschmer: Richtig, das hält sie. Aber ich halte das für eine völlige Fehleinschätzung. Es geht jetzt nicht darum, in sture Lagerauseinandersetzungen zu verfallen - Rot-Grün versus Schwarz-Gelb. Aber es geht schon darum, deutlich zu machen, daß wir gemeinsam etwas verändern wollen. Mit schulmeisterlichen Empfehlungen an die Adresse der Grünen kommen wir da nicht weiter. Ich glaube, die haben selber gemerkt, daß die letzten zwei Wochen alles andere als glücklich für sie verliefen. Wir haben von Schröder und Lafontaine die Vorlage eines Regierungsprogramms vorgesetzt bekommen, das noch so viele Schwächen aufweist, daß wir erst mal schauen sollten, den eigenen Laden in Ordnung zu bringen. In dem Programm wird versucht, eine neue sozialdemokratische Politik zu definieren, die sich in vielen Punkten vom solidarischen Politikmodell der SPD in der Vergangenheit entfernt. Das lehnen wir ab.

Die SPD versucht, die Grünen in eine Juso-Rolle zu bringen. Was bleibt da noch für die echten Jusos?

Heiko Kretschmer: Das mag eine Einschätzung von außen sein. Ich würde das Verhältnis von Jusos und Partei schon als vielschichtiger einschätzen. Es hat in den letzten Jahren durchaus Situationen gegeben, wo Jusos innerparteilich Erfolge errungen haben. Das markanteste Beispiel ist die Frage Umlagefinanzierung/Ausbildungsplatzfinanzierung, wo es gelungen ist, im Zusammenspiel mit der Gewerkschaftsjugend und anderen wichtigen Bündnispartnern außer- und innerhalb der Partei einen Druck zu entfalten, der dazu geführt hat, daß die SPD in einem zentralen Punkt für die Gestaltung von Zukunftsperspektiven von Jugendlichen eine Positionsveränderung vorgenommen hat. Insoweit gibt es Spielräume für die Jusos. Die sind natürlich begrenzt, gerade in einer medial so zugespitzten Situation, wie wir sie jetzt in der Wahlkampfphase erleben. Aber wir werden ja nach der Bundestagswahl dann eine etwas andere Situation haben, wo es darauf ankommt, daß die SPD und ihr Partner, die Grünen, in der Lage sein werden, den angesammelten Reformstau aufzubrechen und Veränderungen in dieser Republik herbeizuführen. Da können die Jusos eine wichtige Rolle spielen, weil sie nach wie vor eine Kraft sind, die sich als sozialistischer Richtungsverband in der SPD versteht und so auch für bestimmte Inhalte einsteht. Das ist ein Faktum, das auch von vielen außerhalb der Partei hoffentlich verstanden werden wird, so daß wir gemeinsam in den nächsten Jahren innerhalb wie außerhalb der Partei Druck ausüben können. Ich glaube, daß in den nächsten Jahren außerparlamentarische Auseinandersetzungen wieder eine Bedeutung erlangen können. Darauf wird die SPD reagieren müssen. Die entscheidende Frage ist, ob es gelingt, zu einem gemeinsamen Kampf zu kommen von Linken in dieser Partei und Linken in der Gesellschaft, in den Gewerkschaften, in den sozialen Bewegungen, in Flüchtlingsinitiativen, Arbeitsloseninitiativen et cetera. Eines ist klar: Dieser Kanzlerkandidat muß gedrückt werden, wenn er denn Kanzler ist, um auch eine linke Politik zu machen.

Wofür wollen denn die Jusos Druck ausüben?

Heiko Kretschmer: Wir haben im Augenblick ein zentrales Thema: das ist die Arbeitslosigkeit. Wir können nicht hinnehmen, daß fünf Millionen Menschen offiziell, wahrscheinlich sieben Millionen Menschen real arbeitslos sind. Wir müssen die Vollbeschäftigung als politisches Ziel wieder klar formulieren und entsprechende Maßnahmen ergreifen. Das geht nicht mit solchen Geschichten, wie "Kombi-Lohn", wie es die Partei vorschlägt, wo hintenrum wieder ein Niedriglohnsektor eingeführt wird. Was wir brauchen ist ein klares Investitionsprogramm, ist massive Arbeitszeitverkürzung, ist öffentliche Beschäftigung. Insgesamt geht es darum, diesen Nebel, der sich in sechzehn Jahren Kohl über diese Republik gelegt hat, zu lichten und deutlich zu machen, daß Politik in der Lage ist, tatsächlich auch Lebensrealitäten zu verändern. Wenn es uns nicht gelingt, den Menschen zu zeigen, daß Politik und politische Veränderung etwas mit ihrer Situation konkret zu tun haben, dann werden wir nicht lange von dem möglichen Wahlsieg zehren können.

Hat die SPD in den vergangenen Jahren zusammen mit der CDU nicht schon ausreichend demonstriert, wie Politik die Lebensrealitäten von Menschen verändern kann? Zum Beispiel bei der De-facto-Abschaffung des Asylrechts oder beim Großen Lauschangriff?

Heiko Kretschmer: Die Jusos haben an diesen Punkten immer in fundamentaler Opposition zur Partei gestanden. Das sind Auseinandersetzungen, wo wir weiter sagen, das waren katastrophale Fehler, weil wir hier den Rechten nachgegeben haben. Es gab und gibt keine vernünftigen Gründe, die für diese Grundrechtseingriffe gesprochen haben. Auch in den Debattenbeiträgen auf diesem Bundeskongreß ist deutlich geworden, daß wir immer noch nicht bereit sind, das hinzunehmen. Das Problem ist natürlich, daß Grundgesetzänderungen nicht so einfach rückgängig zu machen sind. Damit ist tatsächlich in dieser Republik etwas verändert worden. Wir müssen jetzt schauen, daß wir die vorhandenen Spielräume nutzen, um möglichst viel wieder zurückzuschrauben.

Es hat auf dem Bundeskongreß einen Streit über eine mögliche Zusammenarbeit mit der PDS gegeben. Was würden Sie Ihrem Kanzlerkandidaten raten, für den Fall, daß im Bundestag eine rot-grüne Koalition nur mit den Stimmen der PDS realisiert werden kann?

Heiko Kretschmer: Gerhard Schröder ist nicht der Mensch, der auf meine persönlichen Ratschläge hört. Daher stellt sich für mich die Frage so nicht. Wir tun alles dafür, eine rot-grüne Mehrheit hinzubekommen, die stabil regieren kann. Das Entscheidende muß sein, daß wir am 27. September einen Politikwechsel durchsetzen. Den kriegen wir nicht hin mit Parteien, die an der jetzigen Regierung beteiligt sind.


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