08.04.1998



Yilmaz schmollt

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*   Yilmaz schmollt
Von Pascal Beucker

Die Bundesregierung hat den türkischen Premier in eine heikle Lage gebracht. Der bemängelt nun die deutsche Machtpolitik.

"Wir sind alte Freunde - und neue Feinde". So beschrieb der türkische Ministerpräsident Mesut Yilmaz vergangene Woche auf einem Tourismus-Symposium im südtürkischen Antayla, sein Verhältnis zur Bundesrepublik. Wenige Tage später kündigte der verärgerte Regierungschef an, Ankara wolle die Beziehungen zur Europäischen Union (EU) aussetzen. Bis zur Bundestagswahl am 27. September. Denn die neue Regierung - ob Kohl oder Schröder - werde "den historischen Fehler, uns für eine EU-Mitgliedschaft die Tür vor der Nase zuzuschlagen, nicht wiederholen".

Dabei hatte Yilmaz nach seinem Deutschland-Besuch im Oktober letzten Jahres noch voll auf Kohl und dessen Regierung gesetzt: "Kohl hat gesagt, daß er die Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU unterstützt", erklärte er hoffnungsfroh nach seiner Rückkehr in die Türkei und sprach von einer "Wende in bezug auf unsere Beziehungen mit der EU". Schließlich war er in Bonn freundlich empfangen worden: Kohl nannte seinen türkischen Kollegen einen "lieben alten Freund" und kündigte an, der Türkei bei der "Realisierung der Beitrittsperspektive" zur Europäischen Union "im Rahmen ihrer Möglichkeiten im Geiste der traditionellen deutsch-türkischen Freundschaft helfen" zu wollen. Außenminister Klaus Kinkel sekundierte: "Der türkische Zug bleibt auf dem europäischen Gleis, er wird nicht abgestellt auf einem Nebengleis." Yilmaz glaubte es. Für März war sein nächster Deutschland-Besuch geplant gewesen, um mit seinen "Freunden" über die weiteren Schritte zum EU-Beitritt zu beraten. Diesen Trip sagte er jedoch ab.

Denn der türkische Zug steht auf dem Abstellgleis. Seit dem Luxemburger EU-Gipfel vom Dezember letzten Jahres ist ein Beitritt in die Europäische Union in unerreichbare Ferne gerückt. Nicht einmal die Aufnahme in den erweiterten Kreis der Beitrittskandidaten schaffte die Türkei. Aber der türkische Premier weiß nun, wer im Hintergrund die Strippen gezogen hat. Der deutsche Kanzler sei wortbrüchig geworden und habe die Türkei nicht bei ihrem Beitrittswunsch unterstützt, denn die deutsche Regierung sei der "Architekt der Diskriminierung", so Yilmaz.

Seit ihm dies bewußt ist, geht er auf Distanz. Anfang März verglich Yilmaz die heutige deutsche EU-Erweiterungspolitik mit dem Expansionsdrang der Nationalsozialisten: "Die Deutschen verfolgen die gleiche Strategie wie früher; sie glauben an den Lebensraum." Kurz darauf relativierte der konservative Politiker, der unter anderem in Köln Wirtschafts- und Sozialwissenschaften studiert hat, zwar seine Äußerung. Er habe keine direkte Beziehung zwischen dem Nationalsozialismus und der Gegenwart herstellen wollen. Allerdings habe sich Deutschland eben noch nicht "von der Gewohnheit befreit, die Länder in Mittel- und Osteuropa in seinem Einflußbereich zu sehen", erklärte er der Financial Times.

Für die Bundesregierung sind solche "Entgleisungen" laut Kinkel "inakzeptabel". Yilmaz betreibe einen "Amoklauf", verkündete der FDP-Außenminister: Mit "völlig überzogenen Äußerungen" schade Yilmaz seinem Land, weil er "langsam das deutsch-türkische Verhältnis zu belasten beginnt". Yilmaz ficht das nicht an. Mit Blick auf mögliche Einbußen im Tourismusgeschäft durch seiner Äußerungen meinte er vergangene Woche nur: "Wenn die Deutschen so empfindlich sind und wegen meiner Aussagen die Türkei ablehnen würden, dann werden wir sie durch andere Nationalitäten ersetzen." Deutsche Touristen stellen bislang das größte Urlauberkontigent: Von zehn Millionen Ausländern, die im letzten Jahr die Türkei besuchten, stammte mehr als ein Fünftel aus der Bundesrepublik.

Allerdings steht Yilmaz innenpolitisch unter Druck und versucht, sich mit außenpolitischen rhetorischen Befreiungsschlägen Luft zu verschaffen. Denn seine Minderheitsregierung ist stark angeschlagen. Erst im März zeigte ihm das Militär, wer die wahren Herrscher der Türkei sind. Unverhohlen drohten die fünf ranghöchsten Generäle in einem Memorandum an die "Hohe Türkische Nation" mit einem möglichen Putsch, nachdem Yilmaz es gewagt hatte, bestimmte Anti-Islamismus-Maßnahmen des Militärs zu kritisieren.

Die Regierung lenkte ein und gab bekannt, daß gemäß den Forderungen des vom Militär dominierten Nationalen Sicherheitsrates umgehend Gesetzesvorhaben zur weiteren Zurückdrängung der islamistischen Bewegung erarbeitet werden sollen. Unangenehm für Yilmaz, verliert er doch an Boden bei der muslimisch-konservativen Wählerschaft. Durch Schritte in Richtung EU könnten Einbrüche in diesem Klientel durch Gewinne im bürgerlich-laizistischen Milieu kompensiert werden. Da kommt ihm der Stillstand in der EU-Frage äußerst ungelegen. Die innenpolitische Schwäche kann so nicht durch außenpolitische Erfolge aufgefangen werden.

Nicht einmal die Hilfe der USA hilft ihm bislang dabei, die harte Haltung der EU-Staaten und gerade der Bundesrepublik gegenüber dem Nato-Partner Türkei aufzuweichen. Die USA, so erklärte Vize-Außenminister Strobe Talbott Mitte März, seien als "interessiertes Nicht-Mitglied der EU" für die "volle Integration der Türkei in die europäischen Insitutionen". Noch deutlicher wurde der US-Vermittler im Zypern-Konflikt, Richard Holbrooke: Der Luxemburger Beschluß, den türkischen Beitrittswunsch zurückzuweisen, "beschädigt ernsthaft die Suche nach Stabilität in Südeuropa". Der CDU-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Wolfgang Schäuble, widersprach umgehend. Zwar müsse die Türkei "beim Westen gehalten werden", doch nicht als EU-Vollmitglied. Die "Identität" der EU dürfe nicht durch ständige Erweiterungen aufs Spiel gesetzt werden: "Wenn in Lima gleiche Probleme herrschen wie hier, sagen wir auch nicht: Peru muß in die EU."

So klagte Yilmaz am Wochenende der Bild am Sonntag sein Leid: "Während des kalten Krieges hielten uns alle immer für Europäer. Wir sind Gründungsmitglieder der Europarates. Wir sind an allen europäischen Gremien beteiligt. Aber jetzt, nach Ende des Kalten Krieges, betrachtet man die Türkei als Nicht-Europäer." Die Türkei ist zu einem Opfer des Endes der Blockkonfrontation geworden. Jetzt geht es nicht mehr um Verbündete im Kampf gegen das kommunistische Böse, sondern um die Verteidigung des "christlichen Abendlandes".

Damit beschäftigten sich bereits vor einem Jahr die konservativen und christdemokratischen Parteivorsitzenden Europas - unter ihnen auch Kohl. Bei ihrem Treffen in Brüssel kamen sie zu dem Schluß, das "christliche Abendland" müsse verteidigt werden. Dem EU-Beitrittswunsch der islamisch-geprägten Türkei wurde unter Hinweis auf die Unterschiede in Zivilisation und Religion eine brüske Absage erteilt. "Wenn die europäische Zivilisation nicht auf der Basis nur einer Religion beruht, dann muß die Türkei Mitglied der EU werden", meint der türkische Ministerpräsident. Yilmaz hat es damit auf den Punkt gebracht: Trotz aller offiziellen Argumente, die zur Zeit gegen einen EU-Beitritt der Türkei vorgebracht werden, wie der Nichteinhaltung der Menschenrechte, der ungelöste Zypern-Konflikt und das "Kurden-Problem", bleibt die islamische Prägung des Landes das größte ideologische Hindernis für eine Mitgliedschaft. Peru dürfte da die besseren Karten haben, schließlich ist es ein christliches Land.


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