20.05.1998



Attentat mit Ansage

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Jungle World

*   Attentat mit Ansage
Von Pascal Beucker

Anschlag auf den türkischen Menschenrechtler Akin Birdal.

Wie in einem schlechten Gangsterfilm: Sie wollten über verhaftete Familienangehörige sprechen, erklärten die zwei jungen Männer, als sie am Dienstag vergangener Woche kurz vor zwölf Uhr die Zentrale des unabhängigen türkischen Menschenrechtsvereins Insan Haklari Dernigi (IHD) in Ankara betraten. Doch die vermeintlich Hilfesuchenden waren Killer. Ihr Ziel: der IHD-Vorsitzende Akin Birdal. Mit sechs Kugeln schossen sie den über die Grenzen der Türkei bekannten Menschenrechtler nieder. Danach verschwanden die beiden unerkannt.

Birdal gilt als Motor der türkischen Menschenrechtsbewegung. Der gelernte Landschaftsarchitekt steht seit 1992 dem IHD vor, den er 1986 mitbegründet hatte. Unermüdlich prangerte er den schmutzigen Krieg im kurdischen Teil der Türkei und die staatliche Repression im gesamten Land an, setzte sich für Gefolterte, politisch Verfolgte und vertriebene Kurden ein. So ist er seit langem ins Fadenkreuz staatlicher Verfolgung geraten. Immer wieder wurde er festgenommen, und die politische Justiz des Landes versuchte, ihn mit unzähligen Prozessen vor dem Staatssicherheitsgericht zum Schweigen zu bringen - bislang erfolglos. So scheiterte erst Ende Februar eine Anklage gegen Birdal und zehn weitere IHD-Mitglieder. Sie sollen Separatismus-Propaganda im Sinne der illegalen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verbreitet haben, behauptete die Staatsanwaltschaft. Die Anklage berief sich auf Reden Birdals und Aktivitäten des IHD im Dezember 1996 und forderte zunächst Haftstrafen bis zu drei Jahren sowie das Verbot des IHD, mußte dann jedoch aus Mangel an Beweisen auf Freispruch plädieren. Gegenwärtig sind noch zehn weitere Verfahren vor den Gerichten anhängig. Während der türkische Staat ihn für einen Staatsfeind hält, verfügt Birdal international über ein hohes Renommee. Nur wenige Tage vor dem Attentat traf sich der US-Botschafter mit ihm. Auch der deutsche Außenminister Klaus Kinkel besuchte Birdal mehrfach.

Akin Birdal hat den Mordanschlag schwerverletzt überlebt. Es war ein Attentat mit Ansage: In letzter Zeit hatte Birdal mehrfach Morddrohungen erhalten. Doch Polizeischutz hatten die Behörden dem Regimekritiker nicht gewähren wollen. Menschenrechtsaktivisten leben gefährlich in der Türkei: Nach Angaben von amnesty international sind seit 1991 bereits mehr als zehn IHD-Vertreter ermordet worden.

Zu der Tat hat sich eine "Türkische Brigade der Rache" (TIT) bekannt - eine Phantomorganisation. Der Name TIT ist seit langem bekannt. Bereits vor dem Militärputsch 1980 wurden unter ihm Attentate auf Gewerkschafter, Demokraten, Intellektuelle und Linke verübt. Seit Ende der achtziger Jahre taucht TIT insbesondere in den kurdischen Gebieten wieder häufiger auf. Doch unklar ist bis heute, ob es die "Rachebrigade" als reale Organisation tatsächlich gibt. Der Name soll vielmehr von Konterguerilla-Gruppen, bewaffneten Einheiten der faschistischen MHP und auch der Geheimdienstorganisation der Gendarmerie JITEM als Tarnung verwendet werden.

Das Attentat auf Birdal steht offenbar in Zusammenhang mit den "Enthüllungen" des PKK-Aussteigers Semdin Sakik. Laut Presseberichten soll Sakik bei seinen Verhören durch türkische Sicherheitsbehörden ausgesagt haben, Birdal sei Befehlsempfänger des PKK-Chefs Abdullah Öcalan. Die konservative Tageszeitung Hürriyet zitiert den ehemaligen PKK-Kommandeur, Öcalan habe über Birdal gesagt: "Er ist meine Waffe in der Türkei." In der Öffentlichkeit wurde Birdal daraufhin in den vergangenen Wochen als "Staatsfeind", "Vaterlandsverräter" und "PKK-Terrorist" diffamiert und zum Abschuß freigegeben. Der Menschenrechtsverein sieht in den von den Sicherheitsbehörden den türkischen Medien zugespielten "Geständnissen" Sakiks eine "Kampagne, um Dissidenten zum Schweigen zu bringen".

Ministerpräsident Mesut Yilmaz hat den Mordanschlag auf Birdal routinemäßig verurteilt. Verantwortlich für die Tat seien "Kreise in der Türkei, die kein Interesse am inneren Frieden" hätten. Da dürfte er näher bei der Wahrheit sein, als ihm lieb ist.


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