24.06.1998



Sprecher für sich

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Jungle World

*   Sprecher für sich
Von Pascal Beucker

Grüne distanzieren sich von Trittin.

Jürgen Trittin hat den Anschluß verpaßt. Nur wenige hundert Meter von ihm entfernt waren sie in Berlin angetreten, die 300 Rekruten des Jägerbataillons 1 und des Luftwaffenausbildungsregiments 1, um öffentlich zu geloben, "der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen". Doch anstatt stolz auf die starke Truppe zu sein, mischte sich der grüne Parteisprecher unter linke Krawallmacher, die sich zu einer "Gelöbnix-Kundgebung" versammelt hatten. "Wer öffentliche Gelöbnisse veranstaltet, muß sich selbst über Rechtsradikale und Neonazis in der Armee und in der Gesellschaft nicht wundern", rief er den Demonstranten zu. "Wer am Jahrestag von Lidice hier ein Gelöbnis veranstaltet und sich dabei auf Traditionen beruft, der stellt die Bundeswehr selbst in die Tradition der Wehrmacht." Denn es habe "nur eine Zeit in Deutschland gegeben, wo öffentlich gelobt und verteidigt wurde, und das waren nicht die Zeiten der Demokratie, sondern des blanken faschistischen Terrors". Wie will eine Partei Regierungsfähigkeit erlangen mit einem Sprecher, der die deutsche Vergangenheit nicht umdefinieren will und sogar noch auf Kontinuitäten hinweist?

Dabei hatten sich die Bündnisgrünen so bemüht, ihre historischen Lektionen zu lernen, um endlich mitmarschieren zu dürfen. Fünfzehn Jahre hat es immerhin gedauert. Doch nun schaltet die CDU wieder Anzeigen in Bild: "Der Grüne Trittin haßt die Bundeswehr. Wir danken unseren Soldaten". Da sind starke Krisenreaktionskräfte gefordert. Die grünen Abgeordneten setzen zum öffentlichen Gelöbnis an: "Helle Empörung" herrsche in weiten Teilen der Partei über die Rede ihres Sprechers, meldet gehorsamst der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Gerd Poppe. Waltraud Schoppe ergänzt, Trittin stürze die Partei "in Ratlosigkeit, anstatt sie nach vorn zu bringen". Mit "seinen radikalen Pöbeleien" schade er "unserer Partei", sekundiert der Abgeordnete Manuel Kiper in Bild am Sonntag, der Zeitung der deutschen Friedensbewegung: Trittin solle "die Courage haben, sich bei den Soldaten zu entschuldigen".

Auch der parlamentarische Geschäftsführer Werner Schulz hält Trittins Rede für "unangemessen". Ob Regierungssprecher Otto Hauser oder Parteisprecher Trittin - manchmal sprächen "Sprecher eben nur für sich". Trittin müsse "endlich akzeptieren, daß ein demokratisches Land Streitkräfte hat", meint der Haushaltspolitiker Oswald Metzger: "Sein Berliner Vergleich der Bundeswehr mit der Wehrmacht, die auf Adolf Hitler vereidigt war, ist grotesk, unhistorisch, unpolitisch und auch unanständig gegenüber Mitgliedern der Bundeswehr." Da es "in der Politik auch so etwas wie Anstand" gebe, so Metzger, solle Trittin zurücktreten. Franziska Eichstädt-Bohlig wird noch deutlicher: "Ich sehe keine Zukunft mehr für die Grünen mit Trittin." Soweit mag Fraktionssprecherin Kerstin Müller nicht gehen, aber auch sie will "etwas unglückliche Formulierungen" in Trittins Rede entdeckt haben. Und Joseph Fischer würdigte im Bundestag ausdrücklich die Bundeswehr als "Parlamentsarmee": "Ich teile Trittins Kritik nicht." Um auch letzte Zweifel zu beseitigen, brachte Fischer eine Resolution ein, in der die grünen Fraktionäre der Bundeswehr "für die riskante Arbeit" in Bosnien ausdrücklich danken.

Wenn er Fischer "manchmal höre", gab Verteidigungsminister Volker Rühe Ende letzter Woche im Parlament zu Protokoll, dann habe er Angst, "daß Sie die sofortige Bombardierung Bagdads fordern", nur um weiter als "Realpolitiker" dazustehen. Doch es wird den Grünen wohl nichts nützen, daß sie vor der Bundestagswahl antimilitaristische und pazifistische Restposten sturmreif schießen, um sich den Traum von einem Außenminister Fischer zu erfüllen: SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder hat am vergangenen Freitag erklärt: "Eine starke SPD ist Voraussetzung für eine rot-grüne Koalition." Daher müßten die Sozialdemokraten sowohl das Wirtschaftsressort als auch die Ministerien für Inneres und für Außenpolitik selbst besetzen. Die Bomben für Bagdad könnten dann vorerst im Depot bleiben.


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