01.07.1998



Grenzschutz im Ausland

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*   Grenzschutz im Ausland
Von Pascal Beucker

Innenminister Kanther will Flüchtlinge aus Asien schon in der Türkei abfangen lassen.

"Wir bauen immerfort an diesem Sicherheitsgerüst, an den vielen Mosaiksteinen, aus denen es besteht", stellte Bundesinnenminister Manfred Kanther am vergangenen Donnerstag auf der letzten Sitzung des Bundestages vor der Sommerpause stolz fest. Sein "Sicherheitsgerüst" könnte demnächst in seinen Ausmaßen die Chinesische Mauer glatt in den Schatten stellen. Kanther denkt länderübergreifend: Er hat nun auch einen ersten Bauantrag in der Türkei gestellt.

Um die Bundesrepublik vor ungebetenen Gästen zu schützen, kämpft Kanther für die Einrichtung von Abschiebelagern an der türkischen Ostgrenze. Flüchtlingen aus dem Irak, dem Iran, Sri Lanka oder Pakistan soll es so verunmöglicht werden, auf dem Landweg über die Türkei in die EU zu gelangen. Damit das Schlupfloch Türkei wirkungsvoll geschlossen wird, sollen zudem Experten zur Ausbildung türkischer Grenzschützer abgestellt werden. Der deutsche Innenminister weiß sich hierbei auf einer Linie mit seinen EU-Amtskollegen. Sie verhandeln seit Monaten mit der Türkei. Eine Einigung scheint kurz bevorzustehen. Am vergangenen Donnerstag trafen sich in Brüssel die politischen Direktoren der EU-Innenminister mit Abgesandten der türkischen Regierung. Noch herrschen Differenzen um die konkrete Ausgestaltung, über die grundsätzliche Bereitschaft zur Zusammenarbeit gegen Flüchtlinge besteht jedoch Übereinstimmung.

Strittig ist die Frage, ob das Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR Zugang zu den geplanten Abschiebelagern erhalten soll. Die Türkei lehnt dies ab, da sie befürchtet, der UNHCR könnte Flüchtlinge anerkennen und so ihre Abschiebung aus der Türkei verhindern. Ohne UNHCR haben die Flüchtlinge keine Chance. Ein annähernd faires Asylverfahren gibt es für sie in der Türkei nicht. Die türkische Regierung hat zwar die Genfer Flüchtlingskonvention unterschrieben, jedoch in einer Zusatzerklärung eine entscheidende Einschränkung gemacht: Sie gelte nur für Flüchtlinge aus Europa. Die sind an der türkischen Ostgrenze nicht zu erwarten. Während Manfred Kanther vehement für die Einrichtung der Abschiebelager auch ohne Einhaltung der Flüchtlingskonvention eintritt, sperren sich die Innenminister der skandinavischen Länder und Belgiens noch gegen den deutschen Pragmatismus. Eine mögliche Einigungslinie deuteten die türkischen Vertreter jedoch bereits an: Der UNHCR wird zwar zugelassen, aber als Gegenleistung erhält die Türkei verstärkte Unterstützung bei ihrem Kampf gegen die PKK.

Jegliche humanitäre Bedenken gegen eine solche Zusammenarbeit mit der Türkei hat ebenfalls am Donnerstag die parlamentarische Versammlung des Europarates in Strasbourg vom Tisch gewischt. Die Versammlung beschloß einen Bericht des ständigen Ausschusses "für Einwanderungs-, Flüchtlings- und Bevölkerungsfragen" über die humanitäre Lage der kurdischen Flüchtlinge und Vertriebenen im Südosten der Türkei und im Irak. Die Ursprungsfassung des Berichtes fand noch wenig schmeichelhafte Worte: Das von der Türkei installierte Dorfschutzsystem in den kurdischen Gebieten gebe im Hinblick auf die Menschenrechte "Anlaß zu ernsthafter Besorgnis". Es gebe eine "unkontrollierte Gewaltzunahme" in Türkisch-Kurdistan, "die Millionen Menschen aus ihren angestammten Dörfern vertreibt".

Das türkische Militär solle seine Einsätze gegen die Zivilbevölkerung einstellen, wurde gefordert. Gegen Angehörige der türkischen Streitkräfte, die der Verletzung von Menschenrechten beschuldigt werden, müsse ermittelt und die staatliche Konterguerilla aufgelöst werden. Es solle eine "nichtmilitärische Lösung für die bestehenden Probleme in den Südost-Provinzen" gefunden werden. - So stand es in der von der Schweizer Ausschußvorsitzenden Ruth-Gaby Vermot-Mangold eingebrachten Berichtsversion.

Doch in der vom Europarat beschlossenen Fassung ist davon nichts mehr zu lesen. Mit zahlreichen mündlichen Änderungsanträgen torpedierten die zwölf türkischen Europaratsdelegierten konsequent ihnen nicht genehme Berichtsteile. Mit Erfolg: Die konservative Mehrheit der 286 Parlamentarier stimmte alle türkeikritischen Passagen heraus. Nichtmal der Begriff "Kurde" taucht mehr auf. Nun wird nur noch auf die "schwierige soziale und ökonomische Lage in der Südosttürkei" hingewiesen, die Ursachen bleiben ungenannt. Vermot-Mangold konstatierte bitter einen "Abschied des Europarates von der Menschenrechtspolitik zugunsten einer Komplizenschaft".

Manfred Kanther wird sich gefreut haben. Genauso wie über die am gleichen Tag von einer großen Koalition aus CDU/CSU, FDP und SPD im Bundestag beschlossene Befugniserweiterung des Bundesgrenzschutzes - ein weiterer "Mosaikstein" für sein "Sicherheitsgerüst".


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