08.07.1998



Ein moderner Patriarch

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Jungle World

*   Ein moderner Patriarch
Von Pascal Beucker

Streit um Kandidat Jost Stollmann: Die Gewerkschaften halten Schröders künftigen Wirtschaftsminister für untragbar.

Die deutschen Gewerkschaften nehmen übel. "Wir propagieren doch nicht den Politikwechsel in Bonn und geben dafür acht Millionen Mark aus, um dann einen SPD-Wirtschaftsminister zu erleben, der nicht für unsere Ziele steht", motzte ein nicht namentlich genannter Gewerkschaftschef in Bild am Sonntag. Der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bau-Agrar-Umwelt, Klaus Wiesehügel, forderte Jost Stollmann in einer anderen Zeitschrift der Arbeiterbewegung auf, von selbst Schröders Schattenkabinett zu verlassen. Gerhard Schröder habe "wohl nicht gewußt, wie nah Stollmann der CDU und der Politik des Bundeskanzlers Kohl steht", erklärte Wiesehügel dem Focus: "Wenn Stollmann wirklich Schröder unterstützen will, sollte er von sich aus gehen."

Die Bundeskonferenz der Fachgruppe Druckindustrie und Zeitungsverlage in der IG Medien verabschiedete eine scharfe Protesterklärung: "Ein Mann mit solcher Grundhaltung ist nicht nur für eine SPD-Regierung untragbar." Zuvor hatte bereits der IG-Metall-Vorsitzende Klaus Zwickel Linie gezogen. "Ein Mann wie Stollmann, der Betriebsräte in seinem Unternehmen boykottiert und keine Regelungen nach dem Betriebsverfassungsgesetz zuläßt, kann nie die Zustimmung der Gewerkschaften erwarten", verkündete Zwickel. Die von Stollmann geäußerte Skepsis gegen Mitbestimmung und gegen ein "Bündnis für Arbeit" sei altmodisch.

Weniger verbiestert zeigte sich Zwickel am Dienstag vergangener Woche bei seinem Treffen mit einem von Schröder nicht als Wirtschaftsminister nominierten Unternehmer, dem Gesamtmetallpräsidenten Werner Stumpfe. Es sei zwar nicht der Beginn einer neuen Freundschaft gewesen, bemerkte Zwickels Stellvertreter Walter Riester, der ebenfalls an dem Spitzentreffen teilnahm, doch sei ein "produktiver Dialog" in Gang gesetzt worden.

Auch Stumpfe zeigte sich nach dem Treffen erfreut: "Allein der Umstand, daß wir uns zusammengesetzt haben und in einer Atmosphäre der Sachlichkeit und in einem sehr freundlichen Klima miteinander umgegangen sind, ist schon ein hoffnungsstiftendes Ereignis gewesen." Riester würde solche Arbeitgeber- / Arbeitnehmer-Funktionärstreffen gerne institutionalisieren. Mittels eines ständigen gemeinsamen Gremiums könne man mitbekommen, "in welchen Strukturen sich die andere Seite bewegt". Der potentielle Blüm-Nachfolger als Sozialkasper der Bundesregierung liebäugelt mit einer "Einrichtung, die die Chance bietet, über wichtige Fragen zu sprechen". Die "Sprachlosigkeit" zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften sei häufig "irrational".

Zumindest ist sie ebenso irrational, wie die Ablehnung Stollmanns durch die sozialdemokratische Gewerkschaftsführungsriege bei gleichzeitiger Unterstützung Schröders. Denn in ihren Äußerungen unterscheiden sich der Kanzlerkandidat und sein Wunschwirtschaftsminister nicht. Ihm gehe es "völlig unideologisch" nicht um links oder rechts, sondern "um Durchsetzung" eines Modernisierungskurses, erklärte Stollmann unbekümmert dem stern. "Gestalten und Führen" seien seine Stärken. Das Land brauche eine "klare politische Führung", die nach der Wahl "unbequeme Entscheidungen" vollziehen müsse.

Entsprechend eindeutig fielen auch die Reaktionen der SPD-Führung auf die Kritik an Stollmann aus. "Das SPD- Präsidium hat den Vorschlag Gerhard Schröders und Oskar Lafontaines für Jost Stollmann einmütig unterstützt", erklärte ein SPD-Sprecher gegenüber dpa: "Und dabei bleibt es. Anders lautende Spekulationen in Wochenendblättern sind ohne jeden Wahrheitsgehalt."

Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Renate Schmidt verteidigte die Berufung Stollmanns als "Aufbruchsignal für unser Land". Es sei eine Chance, wenn der Sachverstand eines ideenreichen Top-Unternehmers genützt werden könne, verkündete Schmidt. Auch SPD-Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering verteidigte die Berufung von Stollmann. Sie sei "ein wichtiges Zeichen dafür, daß die Partei offen ist und sich der Mitte zuwendet". Die an dem Computerunternehmer geäußerte Kritik hält Müntefering nicht für relevant. "Wenn man sich mal genauer anguckt, was an Stollmann kritisiert wird, dann sind das Aussagen über Helmut Kohl und Betriebsräte. Für beides wird er nicht zuständig sein. Kohl ist dann in Rente. Und Betriebsräte wird es auch in Zukunft geben." 

Auch der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Bodo Hombach nahm Stollmann in Schutz, da dieser "ein Praktiker mit Visionen und Werten" sei. Laut Schröders Wahlkampfberater könnte die Politik von dem Unternehmensgründer mehr lernen, als dieser von der Politik lernen müsse. Der ehemalige Gewerkschaftssekretär plädiert schon seit längerem für "eine offene, neugierige, pragmatische SPD, die dem Hang zum linken Populismus widersteht und nicht einer Reideologisierung in der Wirtschaftspolitik verfällt". Da ist Stollmann genau der rechte Mann.

Während die SPD in der Sache Stollmann auf stur geschaltet hat, bekommen die Gewerkschaften inzwischen Unterstützung von gewichtiger Seite. Im Handelsblatt lobte Arbeiterführer h.c. Norbert Blüm die Unternehmensmitbestimmung als "Erfolgsmodell unseres Sozialstaats". Sie habe sich in jahrzehntelanger Praxis bewährt und stelle gerade durch die Kooperation der Sozialpartner einen Standortvorteil dar. Im Gegensatz zum Vorstandsvorsitzenden von Daimler-Benz, der bei der Fusion mit Chrysler in erfreulicher Deutlichkeit Vorzüge der deutschen Mitbestimmung betont habe, wolle Jost Stollmann "zurück zum Patriarchat wie zu Kaiser Wilhelms Zeiten", sagte Blüm.

Auch für das gewerkschaftliche Lieblingskind, das legendäre "Bündnis für Arbeit", warf sich der christdemokratische Bundesarbeitsminister in die Bresche: "Das Bündnis für Arbeit ist zwar institutionell in Frage gestellt worden, aber im Denken und Handeln des Alltags ist es in Deutschland inzwischen eine starke Realität." Im Zusammenspiel von Politik und Sozialpartnern sei viel für die Flexibilisierung und Modernisierung von Tarifverträgen, Arbeitsrecht und Arbeitsförderungsrecht erreicht worden. Offensichtlich hat der DGB die acht Millionen Mark für seine SPD-Wahlkampagne schlecht investiert.


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