12.08.1998



Schroeder ohne Peanuts

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*   Schroeder ohne Peanuts
Von Pascal Beucker

Mit Besuchen bei Staatsoberhäuptern in aller Welt versucht der SPD-Kanzlerkandidat den Weltpolitiker Kohl auszustechen - mit der außenpolitischen Maxime "Ändern wird sich nichts".

Eine Anekdote stand am Anfang der ersten "großen außenpolitischen Rede" des SPD-Kanzlerkandidaten an der altehrwürdigen Georgetown University in Washington: In der Nacht nach der Bundestagswahl 1972 sei überraschend auf Willy Brandts Siegesparty ein unerwarteter Gast aufgetaucht: der junge US-amerikanische Senator Edward Kennedy. Einer der wohlgelaunten Gäste fragte ihn: "Senator, was machen Sie hier?" Kennedy habe mit einem strahlenden Lächeln geantwortet: "I love to be with the winners." So ähnlich wünscht sich Gerhard Schröder auch den Abend des 27. September. Die Chancen, daß US-amerikanische Politiker mit dem Namen Schröder nicht nur den Klaviervirtuosen der Charly-Brown-Truppe assoziieren, dürften seit Mittwoch vergangener Woche gestiegen sein.

Bislang hatte Gerhard Schröder nicht nur in den USA als außenpolitische Nullnummer gegolten. Vor seiner Nominierung zum Kanzlerkandidaten der SPD war er durch populistische Sprüche gegen den Euro und die EU-Bürokratie in Brüssel aufgefallen, die sich vor allem durch eins auszeichneten: durch Unkenntnis. So tönte er beispielsweise, Brüssel sei der Ort, "wo man für jede Bürgschaft über 200 000 Mark eine Genehmigung holen muß". Tatsächlich müssen Bürgschaften erst ab zehn Millionen Mark angemeldet werden. Das passiert Schröder nicht mehr, seitdem er realisiert hat, daß er im Falle seiner Wahl im ersten Halbjahr 1999 die Präsidentschaft der Union übernehmen muß. Jetzt preist er die EU als "ein völlig neuartiges Modell des politischen Zusammenlebens" und als "friedliche Insel von Fortschritt und Demokratie" - das ist zwar ebenfalls wenig gehaltvoll, klingt aber besser. Themen der Weltpolitik sparte Schröder bislang gänzlich aus, mit Ausnahme widersprüchlicher Auslassungen zum Kosovo-Konflikt. Was machte es schon? Außenpolitisch interessierte ihn, was ihm innenpolitisch von Nutzen sein konnte: So konzentrierte sich Schröders Interesse an US-amerikanischer Politik vor allem darauf, wie Clinton es geschafft hat, ins Weiße Haus zu ziehen. Die Bundestagswahlen seien durchaus vergleichbar mit den Präsidentschaftswahlen in den USA 1992, analysierte Gerhard Schröder Ende Juni in dem US-Magazin Newsweek. Clinton habe sich auf innenpolitische Themen wie Arbeitsplätze und Wirtschaft konzentriert, Bush hingegen sei ein elder statesman gewesen, dessen Reputation auf seiner Außenpolitik basierte. Da bestehe eine Analogie zur heutigen Situation in Deutschland: Seine eigene Wahlkampagne konzentriere sich auf inländische ökonomische Punkte, während Kohl seine europäische Politik vorantreibe. Daß er mit seiner Wahlkampfstrategie ebenso erfolgreich sein werde wie seinerzeit Clinton gegen Bush - daran besteht für Schröder selbstverständlich kein Zweifel.

Allerdings hat der SPD-Kanzlerkandidat inzwischen begriffen, daß auch er ein außenpolitisches Profil braucht, wenn er seine Wahlchancen gegenüber dem "Weltpolitiker" Kohl nicht unnötig schmälern will. Gerade wegen der permanenten Attacken der Regierungskoalition auf den potentiellen Koalitionspartner - die Grünen seien wegen ihrer Positionen zur Nato und zu militärischen Auslandseinsätzen der Bundeswehr ein außenpolitisches "Sicherheitsrisiko" - sehen Schröders Wahlkampfstrategen Handlungsbedarf: Kontinuität muß demonstriert werden. So reist der Kandidat nun um die Welt, um außenpolitische Kompetenz zu demonstrieren. Ob in Jerusalem, in Warschau, in Brüssel oder wie in der vergangenen Woche in Washington - überall präsentiert sich Schröder dabei als verjüngter Kohl-Klon. Auf die Frage, was sein Regierungswechsel für die Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands bedeuten würde, erklärte Schröder in den USA: "Es wird unter einer SPD-geführten Bundesregierung keinen Wechsel in der grundsätzlichen Orientierung der deutschen Außen-, Europa- und Sicherheitspolitik geben." Sorgsam ist der Kanzlerklandidat bemüht, in kein Fettnäpfchen zu treten. So vermied er bei seinem Besuch in Israel Ende März genauere Positionsbestimmungen zum Nahost-Konflikt. Mehr als die Aussage, daß der Friedensprozeß weitergehen müsse, war ihm nicht zu entlocken. Im Gespräch mit dem israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu stellte Schröder zwar fest, es gebe unterschiedliche Ansichten zwischen Israelis und Europäern; von Journalisten nach einer Einschätzung des Konflikts befragt, antwortete er hingegen nur knapp: "Sie werden mich nicht aufs Glatteis führen." Er sei schließlich noch nicht Kanzler.

Redseliger wurde Schröder erst, als Fragen zur deutschen Innenpolitik gestellt wurden. Hier bewegte er sich wieder auf sicherem Terrain, als er mit Blick auf die Grünen-Äußerungen zu Beschränkungen bei Urlaubsflügen erklärte, seine Mutter sei jetzt 85 Jahre alt: "Falls sie erst in fünf Jahren nach Mallorca fliegen dürfte, weiß ich nicht, ob sie das mit 90 noch miterleben könnte." Auch in den USA vermied Schröder tunlichst originelle eigene Ideen. War er dem renommierten Nationalen Presseclub am Mittwoch noch als "ehemals bekennender Marxist und noch immer passionierter Raucher von Havanna-Zigarren" vorgestellt worden, zerstreute er umgehend alle Bedenken, er könnte immer noch Anhänger linken Gedankengutes sein. Seine Vergangenheit brauche niemanden zu irritieren, seine Position habe sich "wirklich geändert". Das habe "zu tun mit Lebenserfahrungen, die ich gemacht habe". Die transatlantische Partnerschaft sei für ihn "in erster Linie Ausdruck gemeinsamen Eintretens für die Werte, die unser Zivilisationsmodell begründen". Einer dieser Werte sei die Marktwirtschaft. Über seinen Auftritt an der Georgetown University urteilte die Frankfurter Rundschau: "Eine Rede, wie sie zur Hälfte der Kanzler, zur anderen Hälfte der US-Botschafter in Deutschland hätten halten können." Auch bei seinem 55minütigen Treffen mit Bill Clinton betonte Schröder vor allem seine Gemeinsamkeiten mit dem US-Demokraten. So würden beide für Demokratie und Menschenrechte eintreten, allerdings könnte die Vertretung dieser Ziele problematisch sein, "vor allem dann, wenn wichtige Interessen kollidieren". Ausdrücklich lobte der deutsche Sozialdemokrat in diesem Zusammenhang Clintons China-Politik: "Ich stimme mit der amerikanischen Regierung völlig darin überein, daß jetzt die Zeit ist, mit China einen verstärkten Dialog und eine intensive Kooperation zu entwickeln." Ansonsten hob Schröder immer wieder die unverbrüchliche Partnerschaft mit den USA hervor und bekannte sich nochmals eindringlich zur Nato. Die Stimmung während des Gesprächs sei "irre" gewesen, zitiert die Frankfurter Rundschau einen Anwesenden. Einzig die US-amerikanische Kritik an der bundesrepublikanischen Rückführungspraxis bosnischer Kriegsflüchtlinge wies Schröder zurück. Schließlich seien von den 350 000 Flüchtlingen nur 2 000 abgeschoben worden - und das seien zumeist Straffällige gewesen. Das hätte Kohl nicht besser erklären können.

Nach Clinton will Gerhard Schröder noch vor den Bundestagswahlen Tony Blair in Großbritannien und dem italienischen Premier Romano Prodi seine Aufwartung machen. Hinter den Kulissen sollen die Berater der vier "Modernisierer" bereits jetzt an einem "Netzwerk" gleichgesinnter Kabinette arbeiten. Die Washington Post berichtete im Juni über Überlegungen der Clinton-Administration, einen neuen Zusammenschluß zu entwickeln, der zwischen Sozialistischer Internationale und der Demokratischen Union der Christdemokraten angesiedelt sein könnte. Da wäre Schröder gut aufgehoben.


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