26.08.1998



Von "Something Cool" zu "Keep Kohl"

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*   Von "Something Cool" zu "Keep Kohl"
Von Pascal Beucker

Als Berater seines Intimfeindes soll der an der Traumschiff-Affäre gescheiterte Lothar Späth eine politische Wiedergeburt erleben.

Das Cleverle ist wieder da. Ausgerechnet er! Galt für Lothar Späth nicht mal die Adenauersche Steigerungsformel Feind - Todfeind - Parteifreund? Helmut Kohls Not muß groß sein, wenn er fünf Wochen vor der Bundestagswahl als "Vorsitzenden des Beraterkreises für Zukunft und Innovation" seinen einst gefährlichsten parteiinternen Widersacher präsentiert, der ihn 1989 beinahe die Kanzlerschaft gekostet hätte.

Späth sei der "geeignete Mann" und werde "großartige Arbeit leisten", verspricht Kohl auf der gemeinsamen Pressekonferenz im Kanzleramt. Demonstrativ fürsorglich schüttet er seinem verhinderten Nachfolger Wasser ins Glas. "Es ist nur halb voll!" witzelt Späth, sichtlich die ungewohnte Geste genießend. Und die Vergangenheit? "Wir sind in einer konkreten Situation aneinander geraten - wie das häufig im Leben so ist", antwortet Kohl etwas mürrisch. Auch Späth mimt den Versöhnler. Daß man früher einmal "Krach gehabt" habe, müsse doch nicht bedeuten, daß man "sich erst im Sarg wiederbegegnet". Da wollen die beiden alten Schlachtrösser schon lieber gut christlich noch kurz vor dem Dahinscheiden miteinander ins reine kommen.

Jedem Journalisten, der ihn nach einer möglichen Rückkehr in die Politik befragte, hatte Späth in letzter Zeit die gleiche Antwort gegeben: "Das muß ich mir nicht mehr antun." Noch Ende Juli wehrte der 60jährige sich gegen die Vereinnahmung zu Wahlkampfzwecken: "Richtig ist, daß ich keine Lust habe, in CDU-Publikationen aufzutauchen, in denen vorne die Rote-Hände-Kampagne gefahren wird und hinten Späth erklärt, wie die Wirtschaftslage im Osten ist." Zum Leidwesen Kohls outete sich der Schwabe auch noch als Anhänger einer Großen Koalition unter Wolfgang Schäuble. Hat es da einen Meinungsumschwung gegeben? "Was ich mir alles vorstellen kann in Koalitionen, ist eigentlich uninteressant, weil ich keine bilde", antwortet er nun diplomatisch.

Innerhalb der CDU zählte Späth einst zum "Modernisiererflügel" um Geißler, Süssmuth und Blüm. Doch sein liberales Image war vor allem eines: ein Mißverständnis. Ob es um den Paragraphen 218, die Schul- oder die Asyl- und Ausländerpolitik ging - stets war Späth Hardliner. So forderte er, in "tiefer Angst", die Bundesrepublik könne ein Einwanderungsland werden, eine Einschränkung des Grundrechts auf Asyl. Das bestehende Asylrecht führe zu einer "Überforderung der Integrationskraft unseres Volkes", fabulierte er noch zu seiner Ministerpräsidentenzeit. Andererseits grenzte er sich auch immer wieder von noch gröberen Deutschtümlern in seiner Partei ab.

Reformer war Späth auf dem Feld der Wirtschaftspolitik, wo er sich einen Ruf als umtriebiger und kreativer "Macher" erwarb. Während sein Regierungsstil fast schon autokratische Züge trug, vermittelte er nach außen den Eindruck, hier führe ein moderner Manager einen Großbetrieb. "Technologietransfer" war Späths Lieblingswort. Unter seinem Kommando entwickelte sich sein "Musterländle" in den achtziger Jahren zum Exportweltmeister und zum reichsten Bundesland mit dem höchsten Inlands-Bruttosozialprodukt und der niedrigsten Arbeitslosigkeit. Allerdings hatte seine offensive Wirtschaftsförderungspolitik auch ihre Schattenseiten: Der Bund der Steuerzahler kritisierte, das Land wirtschafte permanent über seinen Verhältnissen - Reaganomics auf schwäbisch. Als Späth abtrat, hinterließ er einen gewaltigen Schuldenberg.

1989 begann der rasante Abstieg des CDU-Vorzeigepolitikers. Nach dem Rausschmiß von CDU-Generalsekretär Heiner Geißler planten die "CDU-Reformer" eine Palastrevolte gegen Kohl. Vorsichtig streuten sie in den Medien, der Kanzler habe abgewirtschaft, Späth solle an seine Stelle treten. Der erklärte an jeder passenden und unpassenden Stelle seine prinzipielle Bereitschaft - wenn er denn gerufen werde. Doch in der entscheidenden Situation fehlte der Verschwörergemeinschaft die Fortune. Geißler, Süssmuth & Co. kniffen. Auf dem CDU-Bundesparteitag stand Kohl alternativlos zur Wiederwahl als Parteivorsitzender. Späth hatte der Mut verlassen, gegen den "schwarzen Riesen" anzutreten. Der zögernde Frondeur wurde bitter abgestraft: Bei der Wahl zum Parteipräsidium fiel Späth durch, für den Vorstand trat er gar nicht mehr an.

Angeschlagen zog sich das "Brutusle vom Neckar" in sein Ländle zurück. Doch auch hier geriet er nun - inwischen dienstältester Ministerpräsident - ins Strudeln. Ein Parteispendenprozeß um den ehemaligen Bosch-Chef Hans Merkle erschütterte die CDU und brachte Späth selbst in den Verdacht der Beteiligung an illegalen Geldwäscheaktivitäten. Das Genick brach ihm jedoch ein Jahr später seine ungehemmte Reisefreudigkeit. Anfang 1991 kam heraus, daß sich Späth von verschiedenen Firmen seine Urlaubs- und auch einen Großteil der Dienstreisen finanzieren ließ. Einen Ägäis-Segeltörn des Ministerpräsidenten und seiner Familie mit einem SEL-Manager auf der Yacht "Something Cool" zahlte das Elektronikunternehmen: 90 000 Mark. Späth konnte nichts Verwerfliches erkennen: "Der Späth ist kein Playboy, der Späth ist nicht käuflich, der Späth ist nicht bestechlich."

Doch der Druck auf den Schwaben wuchs unaufhaltsam. Es wurde bekannt, daß Späth vom Oktober 1978 bis Dezember 1990 mehr als 550 Reisen unternommen hatte, deren Kosten Privatfirmen übernommen hatten. Die taz spöttelte: "Wer zu Späth kommt, der bezahlt die Spesen." Seine Unabhängigkeit sei jedoch immer gewahrt geblieben, er sei "kein Unternehmensknecht", erklärte Späth. Da ermittelte die Staatsanwaltschaft bereits bereits wegen des Verdachts der Untreue und Vorteilsnahme. Erst 1992 sollte dieses Verfahren eingestellt werden, die Käuflichkeit konnte ihm nicht nachgewiesen werden. Späth aber hatte die Segel längst gestrichen: Am 13. Januar 1991 erklärte er nach dreizehnjähriger Amtszeit seinen Rücktritt als Ministerpräsident.

Nicht einmal drei Monate später hatte das "Cleverle" ein neues lukratives Betätigungsfeld gefunden: Thüringens damaliger Ministerpräsident Josef Duchac berief ihn zu seinem "persönlichen Zeiss-Berater". Aus dem Politiker Späth wurde der Unternehmer Späth. Er entwickelte ein Konzept für den vor dem Kollaps stehenden VEB Carl Zeiss Jena und übernahm den Vorstandsvorsitz der neu gegründeten Jenoptik AG. Binnen sechs Jahren machte er aus dem einstigen DDR-Vorzeigeobjekt ein modernes High-Tech-Unternehmen. Eine Erfolgsstory mit Verlusten, die der "Mr. Industrie Ost" zu würdigen weiß: "Laßt uns fünf Minuten an die vielen denken, die diesen Erfolg mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes bezahlt haben."

Auf einen weiteren Schönheitsfehler weist der Jenoptik-Chef noch weniger gerne hin: Das Ost-Industrieprunkstück ist nur noch dem Namen nach ostdeutsch - vornehmlich besteht das Unternehmen aus westdeutschen Tochterfirmen. Schließlich galt es, die 3,6 Milliarden Mark, die zur Sanierung zur Verfügung standen, gewinnbringend einzusetzen, und so kaufte Späth kräftig im Westen auf. In diesem Sommer schaffte Jenoptik den Sprung an die Börse. Kein Wirtschaftswunder, kommentierte sogar Helmut Kohl, als er Späth noch nicht zu seinem Berater ernannt hatte: Mit vergleichbar hohen Subventionen der öffentlichen Hand hätte das jeder geschafft.

Das gilt jetzt nicht mehr. Nun gilt es, die Lichtgestalt des Ost-Aufbaus zu verkaufen, um verlorenes Terrain in Neufünfland wiederzugewinnen. Nach der Jenoptik soll Späth die fast abgeschriebene Bundestagsmehrheit für die Regierungskoalition sanieren. Ob die fünfzehn Experten, die unter seinem Vorsitz "strategische Konzepte entwickeln" sollen, "die auf die tiefgreifenden Umbrüche in der Weltwirtschaft und eine umfassende Modernisierung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen in unserem Land zielen", nach dem 27. September tatsächlich benannt werden, ist dabei nicht so wichtig. Was Späth im Kanzleramt noch bewegen könne, wurde Norbert Blüm vergangene Woche gefragt. Er antwortete kurz, bündig und ehrlich: "Wählerstimmen." Mehr nicht.


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