07.10.1998



Der Mann am Trampolin

Startseite
Jungle World

*   Der Mann am Trampolin
Von Pascal Beucker

Von Dutschke zu Erhard: Wie kein anderer verkörpert Schröders designierter Kanzleramtsminister Bodo Hombach dessen New SPD.

Bodo Hombach hat mal wieder ein gutes Timing. Der Titel des Buches, das er am 9. Oktober auf der Frankfurter Buchmesse präsentieren will: "Aufbruch - Die Politik der Neuen Mitte". Es sei ein "überzeugendes Plädoyer für den Aufbau einer neuen Chancengesellschaft", teilt der Econ Verlag mit. Der noch amtierende nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister schrecke nicht davor zurück, "auch seiner eigenen Partei deutliche Worte zu sagen und Denkblockaden in allen Lagern kompromißlos einzureißen".

Wer hätte anderes erwartet? "Schröders Denkfabrik" (Bonner General-Anzeiger) liebt klare Worte: "Die schlimmste Grausamkeit der Bundesregierung ist ihre Konfusion und ihre ökonomische Konzeptionslosigkeit", schrieb er der CDU-CSU/FDP-Koalition vor der Wahl ins Stammbuch. Das staatliche Handeln müsse "sich daran messen, ob es aktiviert, Eigeninitiative fördert und Selbständigkeit unterstützt." Schluß soll endlich sein mit der "Malefiz-Gesellschaft", in der immer nur alles blockiert wird. Was das für einen Sozialdemokraten wie Hombach bedeutet? "Unser Leitbild vom Sozialstaat ist nicht das Ruhenetz, sondern das Trampolin, das auffängt und in Eigeninitiative zurückfedert."

Der Zwei-Zentner-Mann weiß, was Modernität heißt: "Wenn wir unsere Gesellschaft erneuern und zukunftsfähig machen wollen, dann brauchen wir eine offene, neugierige, pragmatische SPD, die dem Hang zum linken Populismus widersteht und nicht einer Reideologisierung in der Wirtschaftspolitik verfällt." Eine "unideologische" sozialdemokratische Wirtschaftspolitik heiße, "die richtigen Zukunftsfragen zu stellen". Beispielsweise: "Was würde wohl Erhard heute tun?" Er hätte wieder Visionen: "Wer Erhard studiert hat, fragt sich: Liegt in ihm nicht die Chance für ein sozialdemokratisches Politikmodell, das dem Dirigismus abgeschworen, sich vom nostalgischen Sozialismus gelöst hat?" Einer wie Hombach hat in Schröders neuem Kabinett noch gefehlt.

Selbstverständlich hatte auch der heute 46jährige seine wilden linken Jahre. Noch nicht mal volljährig, soll der "Zeitgeist-Seismograph" (stern) in der 68er-Zeit an vorderster Front Dienst getan haben: "Dort, wo in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre die Linken gegen die Wasserwerfer standen" (Süddeutsche Zeitung). Rudi Dutschke persönlich habe damals dem vom Kampf durch eine Platzwunde am Kopf gezeichneten Bodo einen seiner berüchtigten gestreiften Pullover überlassen. Und natürlich war Genosse Bodo mit dem Proletariat auf Du und Du: Der Schulabbrecher machte eine Lehre als Fernmeldehandwerker bei der Duisburger Post. Vorübergehend verschlug es ihn sogar in die DKP-Jugendorganisation SDAJ.

Aber 1971 tritt Hombach der SPD bei. Er holt auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur nach und studiert sich ab 1973 bis zum Diplom-Sozialwissenschaftler hoch. Von 1974 bis 1978 arbeitet er parallel als Gewerkschaftssekretär bei der Postgewerkschaft und als persönlicher Referent des nordrhein-westfälischen DGB-Chefs. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in NRW macht Hombach 1976 zu ihrem bildungspolitischen Sekretär, ein Jahr später zum Landesgeschäftsführer. Hier erwirbt er sich erste Meriten im Kampf gegen den damals noch starken linken Flügel des Verbandes. Der rechte Mann für Rau, der ihn 1979 in die Düsseldorfer SPD-Zentrale holt und 1981 zum Landesgeschäftsführer der Partei macht. Eine Karriere im Rekordtempo. "Mit 24 Jahren hatte ich meinen ersten Dienstwagen", erinnert sich Hombach stolz.

Erste öffentliche Aufmerksamkeit erregt der umtriebige Mülheimer mit der Organisation der SPD-Kampagne für die Landtagswahl 1985. SPD wird klein gedruckt, Johannes Rau groß: Er ist die Lichtgestalt, der Familien- und Landesvater. Das hat Erfolg: Die SPD gewinnt mit 52,1 Prozent die absolute Mehrheit, die CDU wird deklassiert, die Grünen bleiben draußen. Hombach ist der "Manager des Sieges" (Rheinischer Merkur), "der Mobilmacher" (WAZ). "Es ist doch ganz erstaunlich und großartig, was der Bodo ohne Werbeagenturen in Szene gesetzt hat", schwärmt Rau.

CDU-Generalsekretär Heiner Geißler erklärt Hombach zur "gefährlichsten Waffe der SPD". Doch bei den Bundestagswahlen 1987 bleibt die Waffe stumpf. Zusammen mit dem SPD-Vorstandssprecher und Vize-Bundesgeschäftsführer Wolfgang Clement hat Hombach für den SPD-Kanzlerkandidaten Johannes Rau einen "Wahlkampf mit Herz" (Hombach) gezimmert. "Versöhnen statt spalten" lautet die schlichte Botschaft, mit dem die SPD-Strategen "in die CDU-Wählerschaft eindringen" (Clement) und gleichzeitig einer möglichen Koalition mit den Grünen eine strikte Absage erteilen wollen. Der Harmoniewahlkampf gegen Kohl geht grandios daneben. Der ohnehin in der "Baracke" nicht wohlgelittene Hombach wird noch vor der Wahl entmachtet und zieht sich nach Düsseldorf zurück.

Nun will Hombach in die Wirtschaft: Er versucht zunächst bei der Ruhrkohle AG, dann bei der Westdeutschen Landesbank unterzukommen. Beides mißlingt. Ein anderer Wechsel glückt: Er verläßt die eher linke GEW und schließt sich der IG Bergbau an. Da die Wirtschaftskarriere noch auf sich warten läßt, managt Hombach für Rau auch den Landtagswahlkampf 1990. Die SPD gewinnt erneut die absolute Mehrheit. Als Mülheimer Direktkandidat zieht Hombach erstmals in den Landtag ein.

1991 bekommt Hombach endlich seinen Wirtschaftsjob. Er wird Geschäftsführer der Stahlhandelsfirma des Preussag-Konzerns, behält aber sein Landtagsmandat. Abwechslung verschafft er sich Ende 1993 mit seinem Engagement für den südafrikanischen ANC, den er bei der Vorbereitung auf die 1994 angesetzten Wahlen berät. Nach den Landtagswahlen 1995 bietet das "wendige Multitalent" (Süddeutsche Zeitung) seine Dienste dem kommenden SPD-Kanzlerkandidaten Schröder an. Er managt dessen Landtagswahlkampf, der im März mit Schröders überwältigendem Sieg endet. Sein Motto: "Wer von Tony Blair nichts lernen will, den bestraft das Leben oder wenigstens der Wähler."

Während er im Bund auf Schröder setzt, intrigiert Hombach in Nordrhein-Westfalen gegen seinen Ziehvater Johannes Rau. Als die als unschlagbar geltende NRW-SPD 1995 nach drei Legislaturperioden ihre absolute Mehrheit verliert, hält er Clements Zeit für gekommen. In der Welt läßt er sich anonym zitieren, daß jede Zeit ihre Persönlichkeiten suche: "Bei ruhiger See freut man sich über den Kapitän, der im Ballsaal Hände schüttelt und die Kapelle dirigiert. Bei gefährlichen Wellen aber will man den Kapitän auf der Brücke sehen, wo er die Mannschaft anfeuert und kompetent Kommandos gibt."

Doch "Bruder Johannes" ist hartnäckig. Erst die Inthronisierung von Schröder zum SPD-Kanzlerkandidaten bedeutet sein Ende. Da der Kandidat den "Machertyp" Clement als Flankendeckung im Wahlkampf haben will, hat Rau nun keine Chance mehr: Er wird zum Rücktritt genötigt. Als sein Freund Clement im Mai dieses Jahres endlich zum Ministerpräsidenten aufsteigt, ist auch Hombach mit von der Partie: Am 9. Juni benennt ihn Clement als seinen Nachfolger im Ministerium für Wirtschaft und Mittelstand, Technologie und Verkehr.

Nun hat er also auch noch seinen "Stellungsbefehl" (Neue Zürcher Zeitung) in die Bundesregierung bekommen. Wie hätte Schröder auf ihn verzichten können? Wo ihm doch der Politmanager bereits im Wahlkampf unschätzbare Dienste geleistet hat. "Das System Schröder hat gegriffen", gibt sich Hombach am Abend des 27. September bescheiden. Dabei ist er es schließlich gewesen, der Schröder die Grundsatzreden und -beiträge aufschreibt, die er zuvor bei anderen abgeschrieben hat - wie Schröders Spiegel-Essay, in dem Hombach Roman Herzogs "Ruck"-Rede wortwörtlich kopiert. Nur ein Satz war neu. Er lautet: "Ich gebe dem nordrhein-westfälischen Wirtschaftspolitiker Bodo Hombach recht."


© Pascal Beucker. Alle Rechte an Inhalt, Gestaltung, Fotos liegen beim Autor. Direkte und indirekte Kopien, sowie die Verwendung von Text und Bild nur mit ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung des Autors.