21.10.1998



Bleiberecht für Deutsche

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*   Bleiberecht für Deutsche
Von Pascal Beucker

Die Migrationspolitik der Grünen.

Rupert Scholz schäumt. "Was jetzt geschieht, ist ein Umsturz, eine grundlegende Abwendung von Sinn und Geist unserer Verfassung", erklärte er der Berliner Morgenpost. In einer Presseerklärung legte der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion noch mal nach: "Eine derart radikale Umstrukturierung des Staatsangehörigkeitsrechts greift an die Grundlagen der Identität des deutschen Staatsvolkes."

Was den ehemaligen Verteidigungsminister und Stammtischverfassungsrechtler so in Rage bringt, ist die längst fällige Entideologisierung des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts. "Damit wird endlich Schluß sein mit einem wilhelminischen Verständnis vom Staatsvolk - ein wichtiger Schritt in die Berliner Republik", bewertete der bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir das rot-grüne Verhandlungsergebnis. "Der Bruch mit dem an den 'Blutsbanden' orientierten bisherigen Recht, die kürzeren Einbürgerungsfristen für in Deutschland lebende Immigranten und die Tolerierung der doppelten Staatsbürgerschaft - all das sind geradezu revolutionäre Veränderungen für diese Republik", kommentierte emphatisch der Türkei-Korrespondent der taz, Ömer Erzeren, die zwischen SPD und Bündnisgrünen getroffenen Vereinbarungen zum Staatsbürgerschaftsrecht. Doch hat der ausgehandelte Kompromiß einige nicht zu übersehende Schönheitsfehler.

Nicht zu unrecht stellten Cem Özdemir und die grüne Fraktionssprecherin Kerstin Müller in der gerade abgelaufenen Legislaturperiode des Bundestages fest, es könne "nicht von einer ernsthaften Reform gesprochen werden", wenn die zweite Generation der hier lebenden Nicht-Deutschen nicht einbezogen werde. Genau diese Einbeziehung aber war mit den Sozialdemokraten nicht zu machen. Sie befürworteten nur die Einbürgerung von Kindern, deren Eltern bereits in Deutschland geboren worden sind. Man traf sich in der Mitte, bei dem "Recht für die zweieinhalbte Generation", wie Kerstin Müller konstatierte.

Die Änderungern im Staatsangehörigkeitsrecht haben sich die Bündnisgrünen indes teuer erkauft. Die Forderung nach "offenen Grenzen" und einem allgemeinen Bleiberecht für alle Ausländer vertritt die Partei ohnehin seit 1991 nicht mehr. Der Rest fiel nun den Koalitionsverhandlungen zum Opfer. Es wird mit Rot-Grün weder ein Einwanderungsgesetz geben, noch eine Neuregelung des Ausländergesetzes. Ebensowenig konnten die Bündnisgrünen ein von ihnen gefordertes Niederlassungsgesetz durchsetzen, das die Gleichstellung von Drittstaatlern mit EU-Bürgern sicherstellen sollte.

Kaum Verbesserungen konnte die Öko-Partei bei der Asylpolitik erreichen. "Der Umgang mit Flüchtlingen ist auch ein Gradmesser für den demokratischen Rechtsstaat", hatten die Bündnisgrünen in ihrem Wahlprogramm geschrieben. Nun müssen sie feststellen, daß auch Rot-Grün kein Garant für eine humane Flüchtlingspolitik ist. Daß der "Asylkompromiß" von 1993 ohne die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag nicht rückgängig zu machen sein würde, war von vornherein klar.

Doch auch reale Verbesserungen auf der bestehenden Verfassungsgrundlage konnten die Bündnisgrünen nicht durchsetzen. So soll das sogenannte "Flughafenverfahren" lediglich überprüft werden. Auch in allen anderen zwischen den Koalitionären strittigen Punkten wurden lediglich Prüfaufträge vereinbart. In ihrem 9-Punkte-Programm zur Wahl hatten die Bündnisgrünen noch geschrieben: "Wir wollen der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention und der UN-Kinderrechtskonvention volle Geltung verschaffen. Flüchtlinge brauchen endlich einen effektiven Schutz."

Davon ist nicht viel übriggeblieben. Das deutsche Asylrecht verdient auch unter Rot-Grün seinen Namen nicht. Nur in einem Punkt konnte eine Verbesserung erreicht werden: Künftig sollen nicht nur politische und religiöse, sondern auch geschlechtsspezifische Verfolgungsgründe geltend gemacht werden können.

Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl hat den rot-grünen Kompromiß zur Asylpolitik als "enttäuschend und absolut nicht ausreichend" bezeichnet. Es sei beschämend, daß SPD und Grüne sich nicht einmal auf eine Härtefallregelung im Ausländergesetz geeinigt hätten. "Ein Politikwechsel darf nicht die Fortsetzung der Kantherschen Ausländerpolitik der Abwehr, Gleichgültigkeit und Ausgrenzung sein", kritisierte Pro-Asyl-Sprecher Heiko Kauffmann. Auch für die Bundesarbeitsgemeinschaft "Kirche in Asyl" sind die Vereinbarungen der zukünftigen Koalitionspartner unbefriedigend. Auf der Grundlage des gegenwärtigen Minimalkonsenses werde es weiterhin zu Abschiebungen in bedrohliche Situationen kommen, erklärte die Flüchtlingsorganisation.


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