04.11.1998



Troubleshooter ohne Schießkuli

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*   Troubleshooter ohne Schießkuli
Von Pascal Beucker

Hamburgs Polizeipräsident Ernst Uhrlau soll für die Sozialdemokraten das Image der Geheimdienste aufpolieren.

Sein Vorgänger Bernd Schmidbauer galt als "Agent 008 - der Mann für alle Fälle". Aber kann man bei diesem Job wirklich auf blöde Witze verzichten? Beispielsweise auf den: Sein Name ist Uhrlau, Ernst Uhrlau. Das hört der von der rot-grünen Bundesregierung bestellte Geheimdienstkoordinator gar nicht gerne. Er habe "nicht die Absicht, aus dem 008 einen 009 oder 000 zu machen", antwortet Ernst Uhrlau auf solche Spielereien. Der neue Job stelle für ihn vielmehr eine "persönliche und ehrenvolle Herausforderung" dar, erklärt der Hamburger. Bundeskanzler Gerhard Schröder habe ihm das Amt persönlich angetragen. Ihn selbst habe es "besonders gereizt, in einer Regierung mit völlig neuen Rahmenbedingungen auf dem Weg zur Berliner Republik tätig zu sein".

Anders als sein Vorgänger muß Uhrlau dabei aber auf ein Ministeramt verzichten. Der 51jährige Sozialdemokrat wird in Bonn als Abteilungsleiter im Range eines Ministerialdirektors arbeiten. Der Job des Geheimdienstkoordinators ist eine ursozialdemokratische Einrichtung: 1975 wurde er von Uhrlaus Landsmann Helmut Schmidt geschaffen.

Ernst Uhrlau ist ein Mann vom Fach: Abschluß als Diplom-Politologe, Öffentlicher Dienst, Landespolizeischule, Referent bei den Hamburger Innensenatoren Staak und Pawelczyk. 1981 wurde er Vizechef des Landesamtes für Verfassungsschutz, 1991 Hamburger VS-Chef. Zuvor hatte er noch einen kurzen Abstecher zum Verfassungsschutz-Aufbau nach Brandenburg gemacht.

1996 wechselte der verheiratete Vater von zwei Söhnen nach intensivem Drängen des damaligen Bürgermeisters Henning Voscherau und des Innensenators Hartmuth Wrocklage auf den Posten des Hamburger Polizeipräsidenten. Die Behörde hatte unter Uhrlaus nur wenige Monate amtierendem Vorgänger Arved Semerak (CDU) immer wieder für negative Schlagzeilen gesorgt. Die regierende SPD brauchte dringend einen Troubleshooter, der wieder für Ruhe sorgte.

Nun also geht's nach Bonn. In der Administration der Hansestadt ist die Trauer über den verlorenen Sohn groß. Sein Weggang sei ein "großer Verlust für die Polizei und für Hamburg", klagte Bürgermeister Ortwin Runde. Innensenator Wrocklage sekundierte: "Hamburg verliert einen hervorragenden Polizeipräsidenten." Und er selbst einen potentiellen Nachfolger. Immer wieder war Uhrlau als künftiger Innensenator im Gespräch gewesen, zuletzt erst vor wenigen Wochen, nachdem der derzeitige Amtsinhaber mit seinem Dienstwagen einen parkenden Jeep gerammt und anschließend auch noch Fahrerflucht begangen hatte.

Die Grün-Alternative Liste war ebenfalls des Lobes voll. Uhrlau habe es geschafft, sich loyal gegenüber dem Primat der Politik zu verhalten, habe intern aber auch die Sache der Polizei beim Senator vertreten, konstatierte der GALer Manfred Mahr. CDU-Fraktionschef Ole von Beust stellte kurz und bündig fest: "Uhrlau war ein erstklassiger Präsident." Der neue Kanzler habe "eine gute Entscheidung" getroffen.

Was Uhrlau solche Lobeshymnen einbringt, ist sein ausgeprägtes Medienbewußtsein, das ihn schon als Hamburger Verfassungsschützer auszeichnete. Der Liebhaber von Musik, Literatur und italienischer Küche entspricht nicht dem klassischen Bild des Geheimdienst-Dunkelmanns. Er sucht vielmehr die Öffentlichkeit und versteht es blendend, seine Anliegen zu vermarkten. Als "Analytiker von hohen Graden" (Frankfurter Rundschau), genießt er selbst bei Linken Respekt. Dabei sind die öffentlich zur Schau gestellten Analysefähigkeiten Uhrlaus nur im Vergleich zu seinen zumeist recht tumb wirkenden Kollegen wirklich hervorstechend. Dem Hamburger Abendblatt teilte er beispielsweise 1995 alarmiert mit: "Ich sehe eine immer schärfere Abgrenzung zwischen 'Ossis' und 'Wessis'. Wir rücken auseinander!" Wie viele Informanten er beschäftigen mußte, um zu dieser beeindruckenden Erkenntnis zu gelangen, verriet er leider nicht.

Auch sein Versuch, die "Antiimperialistischen Zellen" zur neuen Bedrohung von links, "gefährlicher als die RAF" (Uhrlau), zu stilisieren, adelte ihn nicht gerade als "uneitlen Analytiker" (taz). Das Schreckensbild einer links-muslimischen deutschen Terrorgruppe brach in sich zusammen, nachdem die beiden einzigen mutmaßlichen AIZ-Mitglieder festgenommen worden waren.

Daß sich der als Kenner des politischen Extremismus in der Bundesrepublik Geltende in den vergangenen Jahren vor allem dem Rechtsextremismus widmete, hatte vor allem pragmatische Gründe. Früher als andere erkannte er, daß der Verfassungsschutz nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch der nicht-staatstragenden Linken eines neuen Betätigungsfeldes zur Legitimierung bedurfte. So erklärte er 1992 in einem taz-Interview den Aufschwung des Rechtsextremismus als eine "Umkehrung der 68er Bewegung". Zwar gab Uhrlau zu, daß die damalige Asyldebatte "sowohl Republikanern als auch DVU, als auch den Neo-Nazis Wind in die Segel gebracht hat", allerdings dürfe nicht vergessen werden, "daß auch die steigenden Asylbewerberzahlen und die Erfahrungen mit Engpässen in den Kommunen Breitenwirkung erzielt haben". Ein guter Sozialdemokrat.

Uhrlau hat sich seinen neuen Job im Bund aussuchen können. Auch als Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND) war er im Gespräch gewesen, da der von Kohl eingesetzte Amtsinhaber, der parteilose Hansjörg Geiger, als Staatssekretär in das von Herta Däubler-Gmelin (SPD) geführte Justizministerium wechselt. Doch die Arbeit als Koordinator zwischen Bundesnachrichtendienst, Bundesamt für Verfassungsschutz und Militärischem Abschirmdienst erschien Uhrlau attraktiver.

Wieder einmal soll er den Skandalen eines Amtvorgängers ein Ende setzen: Mit dem Namen des seit 1991 amtierenden Bernd Schmidbauer verbinden sich die Affären um den Münchener Plutonium-Schmuggel 1994 und um den Privatagenten Werner Mauss. Die rot-grüne Bundesregierung will nun die Arbeit der Dienste in besserem Lichte erscheinen lassen. Alles soll transparenter und offener wirken, ohne daß es zu gravierenden Änderungen der tatsächlichen Arbeit kommt: Kontinuität in geschickterer Verpackung. Uhrlau ist der Mann, der die staatlich organisierte Spitzeltätigkeit als wichtiges Instrument der Demokratie verkaufen kann.

Nachrichtendienste werde die Bundesrepublik auch künftig brauchen, erklärte Uhrlau vergangene Woche zu seiner neuen Tätigkeit: "Wenn ich die Dienste in ihrer Existenz in Frage stelle, bedeutet dies, daß ich darauf verzichte, relevante sicherheits- und außenpolitische Informationen zu bekommen, die auf dem freien Markt nicht verfügbar sind."

Darauf will selbstverständlich auch Rot-Grün nicht verzichten: "Ich sehe nicht, daß die Nachrichtendienste durch die jetzige Koalition in Frage gestellt werden. (...) Die Nachrichtendienste sind notwendig als Frühwarnsysteme der wehrhaften Demokratie." Das haben auch Ernst Uhrlaus Vorgänger schon so gesehen.


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