18.11.1998



Der Premier als Pate

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Jungle World

*   Der Premier als Pate
Von Pascal Beucker

Der türkische Regierungschef Yilmaz soll in Mafia-Geschäfte verwickelt sein.

Rettet Öcalan Mesut Yilmaz? Noch einen Tag vor der spektakulären Verhaftung des PKK-Führers in Rom schien das politische Schicksal des türkischen Ministerpräsidenten besiegelt. Nachdem nicht nur die konservative und islamistische Opposition Mißtrauensanträge gegen seine Minderheitskoalition gestellt, sondern auch noch die bisher tolerierende Republikanische Volkspartei (CHP) ihm die Unterstützung entzogen hatte, stand Mesut Yilmaz vor dem Aus.

Nun haben die Berichte über den Coup von Rom erstmals die Schlagzeilen über die möglichen Mafia-Verstrickungen des Premiers verdrängt. Denn im Kampf gegen die PKK steht die Nation zusammen. Unmittelbar nach Bekanntwerden des großen Ereignisses unterbrachen alle türkischen Fernsehsender ihr Programm: "Staatsfeind Nummer eins gefaßt". Yilmaz wird sein Glück kaum fassen können. Er hat eine Verschnaufpause im Ränkespiel um die Macht am Bosporus erhalten.

In arge Bedrängnis hatten den nationalliberalen Politiker die Aussagen des Bauunternehmers Korkmaz Yigit gebracht. Der bis dahin weitgehend unbekannte Yigit hatte im September für öffentliches Aufsehen gesorgt, als er binnen kürzester Zeit unter anderem die beiden renommierten liberalen Tageszeitungen Milliyet und Yeni Yüzyil, zwei Fernsehsender und zwei Banken für insgesamt rund 1,6 Milliarden US-Dollar kaufte.

Doch lange konnte sich der zuvor hauptsächlich im deutschen Bausektor tätige Millionär nicht an seinen neuen Besitztümern erfreuen. Yigit sitzt inzwischen in Istanbul in Untersuchungshaft. Ihm werden Verbindungen zur Unterwelt vorgeworfen. Der in Nizza in Auslieferungshaft sitzende Mafia-Pate Alaatin Cakici hatte Tonkassetten in der Presse lanciert, auf denen Telefongespräche zwischen ihm und Yigit aufgezeichnet waren. In ihnen geht es um eine mögliche Hilfestellung Cakicis beim Kauf der staatseigenen Bank Turk Tikaret Bankasi (TTB). Den Aufnahmen nach pflegten der Mafioso und der Unternehmer einen freundschaftlichen Umgang: Der eine sprach von "Bruderherz", der andere von "mein Lieber".

Doch Yigit sieht sich zu Unrecht beschuldigt. Er glaubt, vom Ministerpräsidenten Yilmaz persönlich reingelegt worden zu sein. Zudem fühle er sich "als jemand, der sein Ansehen und seine Ehre verloren hat", erklärte der Unternehmer in einem einstündigen Videoband, das er am Dienstag vergangener Woche von den zwei ihm gehörenden Fernsehsendern Channel 6 und Channel E ausstrahlen ließ. Weil er nicht mehr viel zu verlieren habe, sehe er nun "kein Hindernis, offen zu reden".

Unangenehm für Yilmaz: Detailliert berichtete Yigit von seinem mißglückten Versuch, die TTB zu kaufen, und der Rolle, die Wirtschaftsminister Günes Taner und Ministerpräsident Mesut Yilmaz dabei spielten. Der Unternehmer behauptete, ursprünglich weder an dem Erwerb des Geldinstitutes noch der Tageszeitung Milliyet interessiert gewesen zu sein. Vielmehr hätten ihn die beiden Politiker persönlich zum Kauf gedrängt. Daß Yigit für den Coup 200 Millionen Dollar fehlten, störte nicht; der Wirtschaftsminister hätte ihm schnelle und unbürokratische Kredite zugesichert.

Doch dann änderten Yilmaz und Taner ihre Meinung. Ein Mitbewerber beim Bankenkauf brüstete sich damit, die Unterstützung des Staatspräsidenten, des Regierungschefs und des Mafia-Bosses Cakici zu besitzen. Dies sei ihm von einem Parlamentsabgeordneten zugetragen worden, berichtete Yigit. Selbst wenn er den Zuschlag für die Bank bekommen sollte, würde er sie nicht erhalten, sei dem Unternehmer übermittelt worden. Der glaubte seinem Informanten nicht.

Das war ein Fehler: Die türkische Regierung fror die Privatisierung der TTB ein, nachdem Yigit aus dem Kampf um die Bank bereits mit einem Gebot von 600 Millionen Dollar als Sieger hervorgegangen war. Offizieller Grund: die bekanntgewordenen Kontakte zwischen Yigit und Cakici. Seit Montag letzter Woche sitzt der Neu-Medienmogul nun wegen seiner Mafia-Kontakte in Untersuchungshaft. Das ausgestrahlte Videoband hatte Yigit bereits am 24. Oktober aufgenommen. Er ahnte offenbar, was ihm drohte. Sein Anwalt übergab es am letzten Dienstag weisungsgemäß an die Medien.

Yigits Berichte lösten ein politisches Erdbeben in Ankara aus. Mesut Yilmaz wies selbstredend alle Vorwürfe einer Verwicklung in Mafia-Geschäfte entschieden zurück und bezeichnete sie als "gezieltes Komplott" gegen ihn. Die Anschuldigungen dienten nur dem Zweck, einen wirksamen Kampf gegen die Mafia zu verhindern, verteidigte sich der Angegriffene. Ein Regierungs-chef solle dann zurücktreten, wenn er die Öffentlichkeit belogen habe, erklärte er in einer Fernsehsendung. Für ihn gebe es hingegen keinen Rücktrittsgrund: "Ich habe nie gelogen."

Für den 51jährigen kommt die Yigit-Affäre sehr ungelegen. Sie verschlechtert seine Aussichten für die im April kommenden Jahres angesetzten Neuwahlen zum türkischen Parlament. Yil-maz hatte immer viel Wert auf sein Saubermann-Image gelegt, das nun beschädigt ist. Zu seinem Amtsantritt im Sommer 1997 hatte er vollmundig versprochen, mit den Verbindungen zwischen Staat und Mafia aufzuräumen. Noch Anfang letzter Woche hatte das ehemalige Mitglied der faschistischen Grauen Wölfe geschworen, "die Bande zwischen der Mafia und den Politikern zu zerschlagen", auch wenn "Freunde, Verwandte oder Parteimitglieder" betroffen sein sollten. Allerdings beschränkten sich seine Aufklärungsbemühungen bislang vor allem darauf, seine Intimfeindin, die frühere Ministerpräsidentin Tansu Ciller, zu diskreditieren.

Kein Wunder, daß gerade Cillers Partei des Rechten Weges (DYP) umgehend den Rücktritt des Ministerpräsidenten forderte. Ebenso wie die islamisch-fundamentalistische Tugendpartei, Nachfolgerin der verbotenen Refah-Partei, reichte die DYP zudem einen Mißtrauensantrag im Parlament ein. Doch nicht nur die Opposition machte gegen Yilmaz Front. So erklärte der Vorsitzende der sozialdemokratischen Republikanischen Volkspartei (CHP), Deniz Baykal: "Eine solche Regierung verdient nicht mehr meine Unterstützung." Die Korruptions- und Mafia-Vorwürfe könnten nicht von einer Regierung untersucht werden, die nicht mehr regierungsfähig sei, so Baykal.

"Yilmaz muß zurücktreten - wenn er das nicht tut, wird er mit einem Mißtrauensvotum aus dem Amt gejagt", sekundierte CHP-Fraktionschef Onder Sav. Ohne die 55 Mandate der bislang seine Regierung tolerierenden CHP hat Yilmaz keine Chance im Parlament. CHP-Chef Baykal verkündete dementsprechend, er erwarte den Sturz der Regierung "in spätestens zehn Tagen".

Der Vorsitzende der zur Yilmaz-Koalition gehörenden Demokratischen Türkei-Partei (DTP), Hüsamettin Cindoruk, konstatierte daher auch: "Diese Regierung ist am Ende". Auch Cindoruk ist laut Yigit in die Affäre um den TTB-Deal verstrickt. Kommende Woche wird das Parlament voraussichtlich über die Mißtrauensanträge entscheiden. Die Istanbuler Börse reagierte auf die Regierungskrise mit einem Kurssturz in Höhe von zeitweilig fast 18 Prozent.

Dann kam die Verhaftung Öcalans - und damit vermutlich die Rettung für Yilmaz. Keiner spricht vorerst mehr von den etwaigen Mafia-Verstrickungen der Regierung. Schließlich stelle die Festnahme des PKK-Chefs Abdullah Öcalan in Rom einen großen Erfolg seiner Regierung dar, verkündete Yilmaz stolz am Freitag letzter Woche in Ankara. Die Türkei könne sich jetzt kein Machtvakuum leisten und habe definitiv auch kein Verständnis dafür, so Yilmaz. Dieser Argumentation werden sich auch seine Kritiker schwer verschließen können. Denn nun gilt es dem Ministerpräsidenten den Rücken zu stärken bei seinem Kampf um die Übergabe des "Staatsfeindes Nr. 1" an die Türkei. Das ist schließlich eine nationale Aufgabe, bei der weder ein türkischer Politiker noch die türkischen Medien im Abseits stehen wollen.

Wieviel Zeit Yilmaz so gewonnen hat, ist allerdings nicht absehbar. Lange wird er seinen Kopf nicht mehr aus der Schlinge ziehen können. Die englischsprachige türkische Tageszeitung Turkish Daily News geht davon aus, daß Korkmaz Yigit bislang gerademal zehn Prozent seines Wissens ausgeplaudert hat. So sollen noch mindestens drei weitere Videobänder existieren, die Yilmaz weiter in Bedrängnis bringen könnten. Wenn sie veröffentlicht werden, dürfte ihm nicht einmal Öcalan mehr helfen können.


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