25.11.1998



Heiße Kartoffel am Mittelmeer

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*   Heiße Kartoffel am Mittelmeer
Von Pascal Beucker

Deutsche Politiker geben sich weiterhin alle Mühe, um den PKK-Gevatter Abdullah Öcalan aus dem Land fernzuhalten.

Wenn Bundeskanzler Gerhard Schröder am Freitag mit seinem italienischen Amtskollegen Massimo D'Alema in Bonn zusammentrifft, wird er einiges zu erklären haben. Seit über acht Jahren behaupten die deutschen Behörden, Adullah Öcalan für diverse Straftaten zur Verantwortung ziehen zu wollen.

In dem 1990 ausgestellten internationalen Haftbefehl wirft die Bundesanwaltschaft dem PKK-Führer die Rädelsführerschaft in einer terroristischem Vereinigung und Mord vor. Am Donnerstag vergangener Woche hat der Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof auf Antrag des Generalbundesanwaltes diesen Haftbefehl noch erweitert. Neben der Ermordung eines vermeintlichen Verräters 1984 in Rüsselsheim wird "Apo" (Gevatter) nun auch verantwortlich gemacht für eine Brandanschlagsserie gegen türkische Einrichtungen im November 1993 sowie eine ganze Reihe von Liquidierungen ehemaliger Weggefährten in den achtziger Jahren.

Nachdem Öcalan in Rom festgesetzt wurde, hat die bundesdeutsche Justiz nun erstmals die Möglichkeit, dem lange Gesuchten den Prozeß zu machen - wenn die Bundesregierung seine Auslieferung beantragt. Das wäre ganz im Interesse des italienischen Ministerpräsidenten. "Es ist vernünftig, ein Auslieferungsgesuch aus Deutschland zu erwarten", erklärte D'Alema am Wochenende. Lamberto Dini wurde konkreter: Er erwarte jetzt einen deutschen Auslieferungsantrag. Der neue, erweiterte Haftbefehl der Bundesanwaltschaft sei dafür "ein gutes Zeichen", ließ der italienische Außenminister wissen.

Doch die Bundesregierung will Öcalan nicht. Seit seiner Verhaftung übt sich Bonn im Krisenmanagement, um seine Überantwortung nach Deutschland zu verhindern. Zur Abwendung des Unheils verhandelten Innenminister Otto Schily und Außenminister Joseph Fischer in der letzten Woche in Rom hinter verschlossenen Türen mit der italienischen Regierung. Schließlich hatte Schily gerade erst im Berliner Tagesspiegel erklärt: "Die Grenze der Belastbarkeit Deutschlands durch Zuwanderung ist überschritten." Und dann soll man sich ausgerechnet diesen Ausländer ans Bein binden?

Am Freitag verkündete Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye das vorläufige Ergebnis der rot-grünen Anti-Apo-Beratungen: "Die Bundesregierung hat ihr Auslieferungsersuchen vorerst zurückgestellt." Im Fall Öcalan stehe man vor einer "vielschichtigen politischen Problematik". Es liege näher, ihn in die Türkei zu bringen, als einen Strafprozeß in der Bundesrepublik zu führen, so Heye. Nach Auffassung der Bundesregierung hätten die "türkischen Aspekte" der dem PKK-Chef zur Last gelegten Verbrechen besonderes Gewicht, erklärte der Regierungssprecher. An dieser Position hat auch die Ausweitung des Haftbefehls "nichts geändert", stellte der Sprecher des Justizministeriums, Bernhard Böhm, fest.

Aber an die Türkei wird Öcalan nicht ausgeliefert werden, das weiß auch die Bundesregierung. Denn die italienischen Gesetze verbieten die Auslieferung in ein Land, in dem einem Angeklagten die Todesstrafe droht. In Rom kommentierte der türkische Diplomat Mumtaz Soysal empört: "Aus politischen Erwägungen hat Deutschland seine Pflichten als Rechtsstaat hintangestellt."

Die Türkei hat ein Problem: Wenn die deutsche Regierung nicht in den nächsten Wochen einen Auslieferungsantrag stellt, wird der "Staatsfeind Nummer eins" bald als freier Mann durch Italien reisen können. Außer aus Bonn und aus Ankara liegen keine Haftbefehle gegen ihn vor - und der türkische hat für die italienischen Justiz wegen der drohenden Todesstrafe keine Bedeutung.

Die linksliberale La Repubblica bezeichnete die Haltung der deutschen Regierung als "Heuchelei". Es sei ein Widerspruch, erst einen internationalen Haftbefehl auszustellen, dann aber keine Auslieferung zu wollen, stellte die römische Tageszeitung fest: "Bonn will die heiße Kartoffel offensichtlich in der Hand Italiens belassen."

Die bundesdeutschen Zeitungen zeigten sich da verständnisvoller. Für die Frankfurter Rundschau ist der Fall Öcalan ein einfaches Rechenexempel: "In Deutschland wohnen hundertmal so viele Kurden wie in Italien, ähnlich kraß unterschiedlich ist das Verhältnis der türkischen Wohnbevölkerung in den beiden Ländern." Was das bedeutet? "Öcalan nördlich der Alpen vor Gericht - das würde zum großen Risiko für die innere Sicherheit."

Ähnliche Ängste plagen auch die Neue Westfälische. Der deutsche Verzicht sei richtig, denn würde dem PKK-Chef hier der Prozeß gemacht, drohe "die Bundesrepublik zum Austragungsort des türkisch-kurdischen Konflikts" zu werden. Öcalan sei "kein gewöhnlicher Verbrecher, sondern ein wandelnder politischer Sprengsatz", urteilte die Berliner Zeitung. Wer die Bundesregierung des Opportunismus zeihe, müsse sich fragen lassen, "ob ihm das Gerechtigkeitsprinzip brennende Autos - und erheblich mehr - wert ist".

Bekanntlich geht dem Deutschen sein Auto über alles. Erstaunlich nur, daß in keinem einzigen Kommentar auf das kleine Problem eingegangen wird, auf welcher Grundlage die Justiz Prozesse gegen PKK-Aktivisten oder -Sympathisanten führen will, wenn auf die Verfolgung des Oberbösewichts verzichtet wird. Erst am Mittwoch vergangener Woche hat sie einen Funktionär der Organisation zu 39 Monaten Haft verurteilt, weil er sich der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, versuchter schwerer Brandstiftung sowie Sachbeschädigung schuldig gemacht haben soll.

Offensichtlich ist es ein Fehler der kurdischen Freundinnen und Freunde Öcalans, denen seit Jahren ohne große Bedenken in der Bundesrepublik der Prozeß gemacht wird, nicht ähnlich bedrohlich zu wirken wie ihr Anführer. Dann wäre das PKK-Verbot wohl längst aufgehoben.


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