16.12.1998



Lewer dood as grön

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*   Lewer dood as grön
Von Pascal Beucker und Thomas Meiser

Vom Parteilinken zum rechten Einzelkämpfer - mit Klaus Matthiesen starb ein Sozialdemokrat, der die Grünen haßte wie kaum ein anderer.

Am Dienstag vergangener Woche hatte Klaus Matthiesen nochmal einen großen Auftritt. Als Vorstandsvorsitzender des Kölner Entsorgungs- und Rohstoffkonzerns Intersoh AG lud er zur Bilanzpressekonferenz. Es war sein erster öffentlicher Auftritt als Wirtschaftsmanager - und sein letzter. Am kommenden Morgen fand ihn seine Frau tot in seinem Bett.

Mit Matthiesen sei ein "ganz außergewöhnlicher Politiker" gestorben, würdigte der Landesvorsitzende der nordrhein-westfälischen SPD, Franz Müntefering, den 57jährigen, der fünfzehn Jahre lang die sozialdemokratische Politik zwischen Rhein und Ruhr maßgeblich mitgestaltet habe. Für außergewöhnlich hielt sich der vom Parteilinken zum rechten Flügelmann Konvertierte auch selbst: "Matthiesen ist sicherlich ein Unikat - nicht mehr und nicht weniger."

Seine politische Karriere begann der gelernte Sozialpädagoge mit den Landtagswahlen 1971 in Schleswig-Holstein. Als einzigem SPD-Kandidaten gelang es dem damals Dreißigjährigen, der übermächtigen CDU ein Direktmandat abzunehmen. Zwei Jahre später trat er die Nachfolge des "roten Jochen" Steffen als Fraktions- und Oppositionsführer im Kieler Landtag an. Der schleswig-holsteinische Landesverband galt damals als "linker Bürgerschreckverein", und Matthiesen zählte sich selbstverständlich zum linken Flügel. Er stritt gegen Berufsverbote, sprach sich gegen die vom SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt forcierte Nato-Nachrüstung aus und kämpfte vehement gegen den Ausbau der Kernenergie. Zweimal trat der Mann mit dem Störtebekerbart als Spitzenkandidat seiner Partei gegen den CDU-Ministerpräsidenten Gerhard Stoltenberg an - und verlor.

Darauhin verzichtete der kantige Friese 1981 auf eine erneute Kandidatur in Schleswig-Holstein. Für zwei Jahre wurde es ruhiger um ihn, seine Politkarriere hatte ihren ersten Knick.

Dankbar nahm Matthiesen 1983 den Ruf des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Johannes Rau nach Düsseldorf an. "Bruder Johannes" machte den erklärten AKW-Gegner zu seinem Landwirtschafts- und 1985 auch noch zum Umweltminister. Der "Klare aus dem hohen Norden" sollte die ökologische Front gegen die aufstrebenden NRW-Grünen sichern. Durchaus erfolgreich: Erst 1990 schafften die Grünen den Sprung in das Landesparlament.

Seinen Kampf gegen die verhaßte Öko-Partei führte Matthiesen mit allen Tricks. So begleitete er den Landtagswahlkampf 1990 mit einer "Müllvermeidungskampagne". Für rund fünf Millionen Mark gab er in Zeitungsanzeigen, Fernseh- und Rundfunkspots "Müllspartips" vom "Umweltminister". Die Aktion hätte ihn beinahe den Kopf gekostet. Der Landesrechnungshof bescheinigte ihm, "daß mit der Kampagne die Grenzen rechtmäßiger Öffentlichkeitsarbeit hin zur unzulässigen Wahlwerbung überschritten wurden". Matthiesen überlebte den Skandal - die absolute SPD-Mehrheit im Landtag machte es möglich.

1995 verlor die siegesgewohnte NRW-SPD allerdings diese Vormachtstellung. Rot-grüne Zeiten brachen an - ein Graus für Matthiesen, der das Umweltministerium ausgerechnet an seine Intimfeindin, die vormalige grüne Fraktionsvorsitzende Bärbel Höhn, abtreten mußte. Matthiesen sattelte um. In einer Kampfabstimmung setzte er sich knapp als Chef der SPD-Landtagsfraktion durch.

Unter dem Motto "Ich stehe für Rot pur" galt von nun an sein ganzes Engagement der Malträtierung des kleinen Koalitionspartners. Besonders im Konflikt um den Braunkohletagebau Garzweiler II ließ Matthiesen keine Gelegenheit aus, um die Grünen vorzuführen.

Ende Oktober gab Matthiesen dann überraschend seinen Wechsel in die Wirtschaft bekannt. Nachdem auch in Bonn die Weichen auf Rot-Grün gestellt waren, sah er offensichtlich keine Perspektive mehr für seine Hardliner-Position.

Die NRW-Grünen quittierten den Abschied des Rot-Grün-Destrukteurs mit einem unüberhörbaren Seufzer der Erleichterung. "Es war ihm ganz egal, ob es hier eine Koalition gab, er war ein Überzeugungstäter", bilanzierte der Grünen-Fraktionschef Roland Appel.

Nach seinem Tod rang sich die Partei dennoch einige Worte der Trauer ab. Matthiesen sei ein "Vollblutpolitiker" gewesen, konstatierte die NRW-Landtagsfraktion kühl, "der sich für seine Überzeugung und für die Interessen seiner Fraktion uneingeschränkt eingesetzt hat". Auf eine späte Rache an Matthiesen konnte sie dabei nicht verzichten: Konsequent schrieben die Landtagsgrünen in ihrem Nachruf seinen Namen falsch.


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