Magazin KONKRET
Heft 3/98

   Gute Manieren

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*  Gute Manieren
Von Pascal Beucker

Die Studentenproteste haben die Lage an den Hochschulen nicht verändert: eine Bilanz.

"Zehn Wochen war die Uni krank, nun paukt sie wieder - Gott sei Dank", reimte die "Frankfurter Rundschau" über das Ende des vermeintlich "größten studentischen Ausstands seit 1968". So hat man den Studentenprotest gern: mediengerecht, wohldosiert und -temperiert - bevor er überkochen kann, ist er auch schon wieder vorbei.

Indes hatte es die Studentenbewegung im Wintersemester 1997/98 auch schwer: Ausgerechnet in der biederen "Zeit" riet ein "Creativ-Direktor" der Werbeagentur Scholz & Friends: "Seid radikal!" Der Chef der Frankfurter Börse, Werner Seifert, versprach demonstrierenden Studenten, zehn zusätzliche Praktikantenstellen und spendete großherzig 26 Computer. Auch Bundesbildungsminister Jürgen Rüttgers fand es richtig, daß der akademische Nachwuchs laut und deutlich für bessere Lehre und Forschung eintrat. Schließlich wollten "die jungen Menschen" "nicht die Weltrevolution, sondern bessere Studienbedingungen". Sogar Helmut Kohl erklärte den Studenten seine "Sympathie und Unterstützung". Als hätten alle nur auf den Aufstand der "Kuscheltiere" ("Süddeutsche Zeitung") gelauert.

Längst ist es ein nationaler Konsens, daß sich an den Universitäten schon wg. Standort etwas ändern muß. Eine grundlegende Reform soll her. Das Rezept lautet: Mehr Wettbewerb und Leistungsorientierung für Hochschulen und Studierende - kostenneutral, versteht sich. Das bedeutet: mehr Markt und weniger Studenten. Der Ruf nach Studiengebühren wird dabei immer lauter. Er kommt nicht mehr nur von Konservativen oder dem unvermeidlichen Peter Glotz. Alle großen Blätter propagieren inzwischen ihre Einführung. Ihnen allen kamen die Proteste ganz recht, bewiesen die Aktionen der Studenten doch, daß die Situation an den Hochschulen nicht mehr tragbar sei.

Von Anfang an wehrten sich die Studierenden - wenn auch verhalten - gegen derartige Instrumentalisierungsversuche. In der Öffentlichkeit wurden sie jedoch, was immer sie auch erklärten, weitgehend auf die platte Forderung "Mehr Bücher - mehr Geld!" reduziert. Die Forderungskataloge der Streikenden enthielten dagegen mehr: Da wurde die Verwirklichung des Grundrechtes auf Bildung ebenso gefordert wie die Abschaffung aller Gesetze und Regelungen, die Studierende ohne deutschen Paß diskriminieren, eine stärkere Frauenförderung war ebenso gewünscht wie mehr Hochschuldemokratie - alles hart am Uni-Tellerrand, aber trotzdem mehr, als von einer Studentengeneration zu erwarten war, die mit der geistig-moralischen Wende in die Schule kam. Auch wenn die studentische Protestbewegung sich explizit nicht als "links" verstand, dokumentieren ihre Forderungen den immer noch vorhandenen Einfluß der studentischen Linken. Auf dem Protesthöhepunkt Anfang Dezember waren unterschiedlichen Schätzungen zufolge zwischen 500.000 bis 800.000 der insgesamt über zwei Millionen Studierenden in Aktion. An rund 100 Hochschulen wurden Vorlesungen und Seminare boykottiert und blockiert. Die "Tagesschau" meldete die neuesten "Streikzahlen", das "heute journal" schickte seine Kamerateams von einer Uni zur anderen, und natürlich ließ es sich keine Zeitung nehmen, einen Reporter zur Gießener Justus-Liebig-Universität zu schicken - dort hatte der Protest Ende Oktober seinen Anfang genommen.

Allerdings gab's überall auch "phantasievolle Aktionen" - soweit die Kameras reichten. Da versammelten sich Hunderte im Kreis um ein einziges Buch, um auf die katastrophale Lehrmittelausstattung aufmerksam zu machen. Sportstudenten joggten durch die Straßen unter dem Motto: "Wir laufen unseren Scheinen nach." Professoren hielten ihre Veranstaltungen in Zügen ab - "auf dem Weg in die Zukunft". Am Tag vor Nikolaus stellten 80 Studenten der Kieler Universität ihre Schuhe mit Wunschzetteln vor den Eingang des schleswig-holsteinischen Landtages. Vor dem Hamburger Rathaus spielten sie Reise nach Jerusalem - der Sieger erhielt einen symbolischen Gutschein für einen Studienplatz. Natürlich durfte auch die Aktionsidee "Die Bildung geht baden - wir auch" nicht fehlen: Ulmer Studenten stiegen in die eiskalte Donau, Kasseler Jung-Akademiker in die Fulda, und der Hamburger Nachwuchs sprang in die Alster. Eine "Spaßguerilla für ein reibungsloses Studium" konstatierte die "Süddeutsche Zeitung".

Aber nicht alle studentischen Einfälle wurden begrüßt: Als am 3. Dezember Studierende die 26 Computer, die ihnen kurz zuvor gespendet worden waren, auf dem Frankfurter Börsenplatz zertrümmerten, straften Funk, Fernsehen und Zeitungen die Undankbaren mit Nichtachtung. Auch als in Köln über 2.000 Studierende die Gleise vor dem Kölner Hauptbahnhof besetzten, um den Zugverkehr lahmzulegen, reagierten die Medien wenig euphorisch. Die Kölner Boulevardzeitung "Express" ließ Bildungsminister Rüttgers mit dem Zeigefinger drohen: Bleibt gewaltfrei! Eine unnötige Ermahnung: Der überwiegenden Mehrheit der Protestler stand ohnehin nicht der Sinn nach "Radikalisierung". Mit Beginn der Weihnachtsferien war es mit der Streikbewegung eigentlich schon wieder vorbei, auch wenn viele ihrer Protagonisten das nicht wahrhaben wollten. Vielerorts wurden die Vorlesungsboykotte nur "ausgesetzt" - in der irrigen Annahme, die Proteste würden nun eine "neue Qualität" gewinnen.

Die "FAZ" kannte die Studierenden besser: "Es hat lange gedauert, bis die Studenten protestierten, und alle, die so ‚normal' sind, wie es der Bundeskanzler sagt, also die meisten, werden auch nicht lange auf die Straße gehen: Sie wollen durch Demonstrationen nicht erreichen, daß sie im Studium zurückfallen und die Not noch vergrößern", stellte sie bereits Mitte Dezember fest. Weniger analysestark erwies sich dagegen die "junge Welt". In ihr erwartete ein Schlachtenbummler noch Anfang Januar Großes. Die "Streikstudenten" würden "eine Restlinke" erledigen, "die ihr Verlierergeplärre zur letzten Bastion gegen den Faschismus erklärt hat und die sich längst für nichts mehr interessiert als für ihre Selbstzerfleischung", prophezeite er und irrte: Nicht nur die gesellschaftliche Restlinke hat die Studierendenproteste unbeschadet überstanden, auch ihre Überbleibsel an den Universitäten haben von ihnen profitiert. Viele linke Hochschulgruppen haben Zulauf wie seit langem nicht mehr. Seit Anfang Februar gibt es sogar wieder einen linken Verband: Gruppen aus dreizehn Städten gründeten in Bochum ein "Bündnis linker und radikaldemokratischer Hochschulgruppen".

Ansonsten sind von den Protesten vor allem Kuriositäten geblieben: In Berlin, Köln und einigen anderen Städten versuchen Studierende, die FDP zu unterwandern, um "studentische Belange endlich wirksam in die Politik zu tragen". "Wir verbinden mit unserer Initiative keine weiteren Orientierungen als eben genannte Einbringung der Betroffeneninteressen. Wie diese im einzelnen aussehen und umgesetzt werden sollen, wollen wir nicht vorgeben", so das studentische "Projekt Absolute Mehrheit" in Berlin. Andere wollen lieber gleich eine eigene "Studentenpartei" gründen: "für eine ehrliche, vernünftige und zukunftsfähige Politik" - und zur Bundestagswahl antreten. Manche arbeiten auch fieberhaft an der Gründung einer "Studierendengewerkschaft", um "unsere Bewegung voranzubringen". In ihr könnte sich eine interessante Mischung finden: Eine "In oder Out"-Umfrage des Hochschulmagazins "Audimax" im Herbst letzten Jahres ergab, daß zwar 63 Prozent der bundesdeutschen Studierenden "politisches Engagement" irgendwie klasse finden - wesentlich größerer Beliebtheit erfreuten sich allerdings "gute Manieren" (87 Prozent), "Karriere machen" (89 Prozent) und "Sparen" (80 Prozent). Auch der "Tag der deutschen Einheit" schnitt mit 67 Prozent besser ab - dafür sind zehn Wochen Remmidemmi doch ganz schön viel gewesen.


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