Magazin KONKRET
Heft 7/98

   Flotter Dreier

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*  Flotter Dreier
Von Pascal Beucker

Gerhard Schröder hat im Kampf um die Kanzlerschaft zwei Genossen, die auch nichts anderes im Kopf haben als er: die Karriere

Der Politikwechsel kommt, die New SPD ist auf dem Weg: "Unser Leitbild vom Sozialstaat ist nicht das Ruhenetz, sondern das Trampolin, das auffängt und in Eigeninitiative zurückfedert." Der Sozialdemokrat Bodo Hombach nimmt bei seiner Kritik an der CDU/CSU/FDP-Koalition kein Blatt vor den Mund. "Die schlimmste Grausamkeit der Bundesregierung ist ihre Konfusion und ihre ökonomische Konzeptionslosigkeit." Das gesamte staatliche Handeln müsse "sich daran messen, ob es aktiviert, Eigeninitiative fördert und Selbständigkeit unterstützt."

Der Zwei-Zentner-Mann, "Schröders Denkfabrik" (Bonner General-Anzeiger), weiß, was Modernität heißt: "Wenn wir unsere Gesellschaft erneuern und zukunftsfähig machen wollen, dann brauchen wir eine offene, neugierige, pragmatische SPD, die dem Hang zum linken Populismus widersteht und nicht einer Reideologisierung in der Wirtschaftspolitik verfällt." Eine unideologische sozialdemokratische Wirtschaftspolitik heißt, die richtigen Zukunftsfragen zu stellen. Beispielsweise: "Was würde wohl Erhard heute tun?" Er hätte wieder Visionen: "Wer Erhard studiert hat, fragt sich: Liegt in ihm nicht die Chance für ein sozialdemokratisches Politikmodell, das dem Dirigismus abgeschworen, sich vom nostalgischen Sozialismus gelöst hat?"

Ein entschlossener Verfechter des neuen sozialdemokratischen Politikmodells ist auch der 57-jährige Wolfgang Clement. Er sei zwar "im Gerechtigkeitsdenken aufgewachsen, nur: die Antworten auf die Fragen nach der Gerechtigkeit liegen im wirtschaftlichen Erfolg." Der neue nordrhein-westfälische Ministerpräsident will sein Bundesland "als wirtschaftliches Kraftzentrum" unschlagbar machen. "Nach jahrelangem Abstiegskampf in der Bundesliga", schreibt die Die Woche über den passionierten VfL Bochum-Fan, "strebt er mit Nordrhein-Westfalen die europäische Champions League an". Wenn seiner Politik gefolgt werde, verspricht Clement, schaffe er "eine Halbierung der Arbeitslosenzahl bis 2005" in Nordrhein-Westfalen.

Von linker Gedanken Blässe war Clement nie angekränkelt, obwohl seine Karriere zu legendärer Zeit begann. Nach dem ersten juristischen Staatsexamen geht der Sohn eines Baumeisters 1968 als politischer Redakteur zur Westfälischen Rundschau. Schon während seines Studiums hatte er dort ein Volontariat absolviert. Schnell avanciert der als unideologisch und pragmatisch geltende Clement zum stellvertretenden Chefredakteur. In die SPD tritt der ehemalige Messdiener 1970 ein – die Ostpolitik Willy Brandts hat es ihm angetan.

Elf Jahre später beginnt sein politischer Aufstieg. Willy Brandt macht den ehrgeizigen Journalisten zum SPD-Vorstandssprecher. Im Juni 1985 erfolgt die Beförderung zum Stellvertreter des Bundesgeschäftsführers Peter Glotz. Es ist die Zeit des Kanzlerkandidaten Johannes Rau. Clement gilt als sein Gewährsmann in der Baracke. Zusammen mit Bodo Hombach zimmert er einen "Wahlkampf mit Herz" (Hombach) für "Bruder Johannes". "Versöhnen statt spalten" lautet die schlichte Botschaft, mit dem die SPD-Wahlkampfstrategen "in die CDU-Wählerschaft eindringen" (Clement) wollen und gleichzeitig einer möglichen Koalition mit den Grünen eine strikte Absage erteilen.

Doch der Harmoniewahlkampf gegen Kohl geht grandios daneben. Als Raus Niederlage absehbar ist und es über die absurde Wahlkampfstrategie einer "eigenen Mehrheit" für die SPD zum Streit im SPD-Präsidium kommt, überwirft sich Clement im Herbst 1986 mit seinem Mentor Brandt. Er kündigt seinen Job bei der Partei und geht als Chefredakteur zum ehemals sozialdemokratischen Boulevardblatt Hamburger Morgenpost. "Strukturell nähert er sich damit den Grünen an und überholt sie möglicherweise gar", kommentiert die taz, denn "so schnell wie die Chefredakteure der MoPo, ihrer sechs in den letzten drei Jahren, ist noch kein einziger grüner Parlamentarier rotiert."

Auch Clement rotiert nach kurzer Zeit: Nachdem er die Auflage der Zeitung weit genug heruntergebracht hat, kehrt er zu seinem anderen Erfolgsmodell zurück und übernimmt im Januar 1989 die Leitung von Raus Düsseldorfer Staatskanzlei. Hier erwirbt er sich das Image des "knochenharten Machers" und wird für die SPD zur Allzweckwaffe: Ob bei den Energiekonsensgesprächen oder den Verhandlungen zum deutsch-deutschen Einheitsvertrag – immer ist Clement an vorderster Front für die SPD dabei. Er erreicht wenig, aber das mit vollem Einsatz. So auch in seinem unerschütterlichen und vergeblichen Einsatz für Bonn als Bundeshauptstadt: "Wenn wir über drei Themen verhandeln wollten, kommt er mit einer Liste von 25 Themen. Was für die alten Germanen die Keule war, ist für Clement der dicke Vorgang", beschreibt sein Widerpart, der Berliner CDU-Senator Peter Radunski, Clements Verhandlungsstrategie.

Der Mann sei "hart im Nehmen", konstatiert die Berliner Zeitung: "Daran mag es liegen, dass Wolfgang Clement der Ruf des Erfolgreichen nachgeht, obwohl eine Kette schwerer Niederlagen seine Karriere begleitet." Bereits vor der Landtagswahl im Mai 1990 wird Clement erstmalig für die Rau-Nachfolge als Ministerpräsident ins Gespräch gebracht. Doch der verhinderte Kanzler will es nach der verlorenen Bundestagswahl noch mal wissen, bezeichnet jegliche Nachfolgediskussionen als "ärgerlich" und "absurd" und kündigt gar an, im Falle eine Wahlsieges in NRW eine erneute Kandidatur als Ministerpräsident für 1995 "nicht ausschließen" zu wollen.

Clement bleibt in Wartestellung. 1993 rückt er über die SPD-Landesliste in den Landtag nach. Nun erfüllt der fünffache Familienvater immerhin auch die formalen Kriterien für das Ministerpräsidentenamt. Nachdem er 1994 nicht Bundespräsident hat werden können, kandidiert Rau 1995 tatsächlich zum Leidwesen Clements erneut als Ministerpräsident. Aber die als unschlagbar geltende NRW-SPD verliert nach drei Legislaturperioden ihre absolute Mehrheit. Sie ist nun auf einen Koalitionspartner angewiesen. Will die SPD ihre Bundesratsmehrheit erhalten, kommt hierfür nur eine Koalition mit den ungeliebten Grünen in Frage. Spekulationen über einen Rau-Rückzug machen die Runde, doch der will immer noch nicht aufs Altenteil und lässt sich, für viele überraschend, auf das unerwartete und unerwünschte rot-grüne Experiment ein.

Clement, der als seine hervorstechendste Eigenschaft "Loyalität, auch zu meinen eigenen Lasten, wenn es sein muss", angibt, muss die Verhandlungen mit den als schwierig und links geltenden nordrhein-westfälischen Grünen führen. Er verhandelt die Öko-Partei schwindelig und wird so zum "Architekten" von Rot-Grün in NRW. Als "ehrlichen Makler" lobt ihn der grüne Parteisprecher Rainer Priggen blauäugig, und nicht wenige Grüne wünschen sich Clement lieber heute als morgen an Raus Platz. Sie verwechseln Clements Machtinstinkt mit politischer Sympathie für das rot-grüne Projekt und werden erst später merken, dass er sie über den Tisch gezogen hat.

Clement, der die Zusammenarbeit mit den Grünen unter Freunden "eine Strafe Gottes" nennt, übernimmt ein "Superministerium" im neuen Kabinett. Alle Sprengsätze des rot-grünen Bündnisses fallen in seine Zuständigkeit: die gesamte Wirtschafts- und Energiepolitik, Garzweiler II, der Flughafen- und Straßenbau. Er weiß seine Kompetenzen zu nutzen und spielt den "sozialdemokratischen Zuchtmeister" (taz). Keiner hat es bislang so gut wie Clement verstanden, die Grünen am Nasenring durch die Regierungsmanege zu führen: "Flughafenausbau und Straßenbau, Förderung von Bio- und Gentechnik, Ja zur PVC-Herstellung" - in allen wichtigen Punkten habe sich die SPD gegenüber den Grünen in der Landespolitik durchgesetzt, bilanzierte Anfang dieses Jahres der SPD-Fraktionsvorsitzende im NRW-Landtag, Klaus Matthiesen: "Wo wären wir denn, wenn nicht Wolfgang Clement immer wieder mit klarer, deutlicher Handschrift geschrieben hätte?"

Mit der Inthronisierung von Gerhard Schröder zum SPD-Kanzlerkandidaten im März ist auch für Clement das Warten vorbei. Schröder will den "Machertyp" als Flankendeckung im Wahlkampf; Rau wird zum Rücktritt genötigt. Am 27. Mai wählt ihn der nordrhein-westfälische Landtag mit 124 von 220 abgegebenen Stimmen. Auch die große Mehrheit der grünen Fraktion stimmt für den "Genossen Gnadenlos", obwohl Clements Freund Hombach im Focus angekündigt hatte, was ihnen blüht: Nordrhein-Westfalen spiele jetzt für den Bundestagswahlkampf Schröders eine große Rolle. Hier würde nun gezeigt, "wie man mit den Grünen industrielle Großprojekte und nötige Infrastrukturmaßnahmen realisieren kann".

Zur 68er-Zeit, die an Clement so spurlos vorbeizog, soll Bodo Hombach, Jahrgang 1952, bereits an vorderster Front seinen Dienst getan haben: "dort, wo in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre die Linken gegen die Wasserwerfer standen" (Süddeutsche Zeitung). Rudi Dutschke persönlich habe damals dem vom Kampf durch eine Platzwunde am Kopf gezeichneten Bodo einen seiner berühmt-berüchtigten gestreiften Pullover überlassen. Das hat Folgen: Mit 16 tritt Hombach der SPD bei. Darauf ist er bis heute stolz: "Ich bin mit 16 in die Partei eingetreten, ich habe den Stallgeruch", müffelt er denjenigen entgegen, die sich fragen, warum dieser Hombach eigentlich in der SPD ist. Er lernt Fernmeldehandwerker macht auf dem zweiten Bildungsweg Abitur, macht sein Diplom als Sozialwissenschaftler und geht als bildungspolitischer Sekretär zur nordrhein-westfälischen GEW. Hier erwirbt er sich erste Meriten im Kampf gegen den damals noch starken linken Flügel des Verbandes. Der rechte Mann für Rau, der ihn 1981 in die Düsseldorfer Landesparteizentrale und ein Jahr später zum Landesgeschäftsführer der Partei macht.

Erste öffentliche Aufmerksamkeit erregt Hombach mit der Organisation des SPD-Wahlkampfes für die Landtagswahl 1985. SPD wird klein gedruckt, Johannes Rau groß: Er ist die Lichtgestalt, der denkbar beste Familien- und Landesvater. "Wir in Nordrhein-Westfalen – und unser Ministerpräsident", lautet die schlichte Botschaft. Nur Rau könne das Land "führen" – und nur er alleine. Das hat Erfolg: Die SPD gewinnt mit 52,1 Prozent deutlich die absolute Mehrheit, die CDU wird deklassiert und die Grünen schaffen nicht den Sprung ins Parlament. Hombach ist der "Manager des Sieges" (Rheinischer Merkur), "der Mobilmacher" (WAZ). "Es ist doch ganz erstaunlich und großartig, was der Bodo ohne Werbeagenturen in Szene gesetzt hat", schwärmt Rau.

CDU-Generalsekretär Heiner Geißler erklärt Hombach zur "gefährlichsten Waffe der SPD". Doch bei den Bundestagswahlen ‘87 bleibt die Waffe stumpf. Nach der Demission Clements wird Hombach entmachtet. Er versucht zunächst bei der Ruhrkohle AG, dann bei der Westdeutschen Landesbank unterzukommen. Beides misslingt. Er verlässt die "linke" GEW und schließt sich der IG Bergbau an. Da die Wirtschaftskarriere noch auf sich warten lässt, managt Hombach für Rau auch den Landtagswahlkampf 1990. Die SPD gewinnt erneut die absolute Mehrheit. Der Wahlkampfchef zieht als Mülheimer Direktkandidat erstmalig in den Landtag ein.

Weniger erfolgreich agiert er im gleichen Jahr als Wahlhelfer für Friedhelm Farthmann, der in Thüringen seinen Traum verwirklichen will, jenseits vom "Tittensozialismus" doch noch mal irgendwo Ministerpräsident zu werden. Der "genitale Hasardeur" (Heidemarie Wieczorek-Zeul) scheitert und bleibt dem nordrhein-westfälischen Landtag als Fraktionsvorsitzender erhalten.

1991 bekommt Hombach endlich seinen Wirtschaftsjob. Er wird einen Geschäftsführer beim Stahlhandelskonzern Preussag, behält aber sein Landtagsmandat. Abwechslung verschafft er sich Ende 1993 mit seinem Engagement für den African National Congress (ANC), den er auf Bitten von ANC-Generalsekretär Cyril Ramaphosa bei dessen Vorbereitung auf die 1994 angesetzten Wahlen in Südafrika berät. Nach den Landtagswahlen bietet das "wendige Multitalent" (Süddeutsche Zeitung) seine Dienste dem kommenden SPD-Kanzlerkandidaten Schröder an. Er managt dessen Landtagswahlkampf, der im März mit dem überwältigenden Sieg Schröders gelungen endet. " Als Clement im Mai dieses Jahres zum Ministerpräsidenten aufsteigt, ist auch Hombach mit von der Partie: Am 9. Juni benennt ihn Clement als seinen Nachfolger im Ministerium für Wirtschaft und Mittelstand, Technologie und Verkehr. Gemeinsam wollen die beiden von Düsseldorf aus ihrem Hoffnungsträger Gerhard Schröder den Weg ins Kanzleramt bahnen.

Das Motto des Trios hat Hombach ausgegeben: "Wer von Tony Blair nichts lernen will, den bestraft das Leben oder wenigstens der Wähler." Und Hombach ist es auch, der Schröder die Grundsatzreden und -beiträge aufschreibt, die er zuvor bei anderen abgeschrieben hat - wie Schröders Spiegel-Essay, in dem Hombach die "Ruck"-Rede Roman Herzogs wortwörtlich kopierte. Nur ein Satz war neu. Er lautete: "Ich gebe dem nordrhein-westfälischen Wirtschaftspolitiker Bodo Hombach recht."


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