22.10.1998


Schimanski:
Auf Abwegen

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taz

*   Auf Abwegen
Von Pascal Beucker

Der WDR lädt zum "Muttertag": Am Sonntag startet die neue "Schimanski"-Staffel.

Nein, zu seinem Auftritt bei "Wetten daß ...?" wolle er nichts mehr sagen. Daß er Thomas Gottschalk düpiert hat? Der lebe noch, er lebe noch. Mehr gäbe es da nicht hinzuzufügen. "Das ist Schnee von vorgestern." Götz George reagiert gereizt. "Haben Sie wirklich nichts besseres zu schreiben?", antwortet er schmallippig der Kollegin. Schließlich ist er ins Kölner Filmhaus des WDR gekommen, um über Angenehmeres zu reden. Über jemanden, der in den letzten siebzehn Jahren zu Georges Alter ego geworden ist: Schimanski. Für die neue dreiteilige Staffel gilt es, die Werbetrommel zu rühren. Der WDR hat zur Premiere von "Muttertag" geladen, der ersten Folge, die am kommenden Sonntag nach der "Tageschau" laufen wird.

"Wenn ich in Duisburg noch mit beiden Beinen ankommen will, sollte ich jetzt besser nicht zu Fuß gehen." Schimanski ist wieder im Einsatz. Ein ungemütlicher Auftrag, den er da übernommen hat. Auf Bitten der Oberstaatsanwältin Julia Schäfer (Suzanne von Borsody) hat es ihn nach Kroatien verschlagen. Er sucht den vermißten Sohn ihrer Freundin. Christian Wörner soll als Söldner im Balkankrieg gekämpft haben. Angeblich ist er gefallen - doch seine Mutter (Eleonore Weisgerber) will nicht daran glauben, obwohl man ihr den Totenschein ihres Sohnes zeigt. Also ist Schimanski auf dem Weg in die kroatische Ortschaft, aus der das letzte Lebenszeichen von Christian kam. Eigentlich eine recht idyllische Gegend, durch die der Ermittler mit seinem Geländewagen fährt. Wären da nicht die brennenden Dörfer am Rande, die ständigen Kontrollen durch paramilitärische Milizen - und die Minenfelder. Schimi hat nicht aufgepaßt: Er ist in ein Minenfeld gefahren. Scheißgegend.

Drehbuchautor Horst Vocks, der schon den ersten "Schimi" "Tatort Ruhrort" 1981 schrieb, läßt diesmal seinen Helden fernab Duisburgs ermitteln: In Kroatien. Die Ausläufer des Krieges in Jugoslawien zum Hintergrund eines Krimis zu machen - ein gewagtes Unterfangen. Doch es ist gelungen. Herausgekommen ist mit "Muttertag" ein engagierter und gleichwohl spannender Film. "Das zeigt, daß die Figur Schimanski belastbar ist - die kann man überall hinstellen, auch in ein Krisengebiet", erklärt Götz George. "Nur immer Räuber und Gendarm zu spielen" sei ihm "einfach zu wenig".

Eine Postkarte hatte der Sohn seiner Mutter geschickt. Mit Grüßen zum Muttertag. Die Karte zeigt ein kroatisches Dorf - vor dem Bürgerkrieg. Zerbombte und zerschossene Häuser gab es damals noch nicht. Heute sieht die Ortschaft anders aus. Schimanski hat ein Bild von Christian Wörner dabei. Aber niemand will ihn hier je gesehen haben. Doch so leicht gibt Schimi nicht auf. Er quartiert sich im einzigen Hotel am Platz ein. Sie haben es wiederaufgebaut. Auch der holländische Pathologe Dr. Jonathan Gordon (Johan Leysen) ist in dem Schuppen abgestiegen. Gordon wird von Alpträumen geschüttelt. Er wacht nachts schreiend mit dem Bild seiner Frau in der Hand auf. Der Glasrahmen ist zerbrochen, die Scherben haben sich in das Fleisch gebohrt. Schimi hilft dem Gebrochenen. "Sie stellen keine Fragen?" "Nur wenn ich muß", antwortet Schimanski. Gordon arbeitet für das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag, ist auf der Suche nach Massengräbern. In einem der Massengräber vermutet er seine amerikanische Frau.

"Schimanski klärt nicht auf, belehrt nicht, oder nimmt für sich in Anspruch, im Besitz der Wahrheit zu sein", erläutert Georg Feil von Colonia Media, die für den WDR "Muttertag" produziert hat. "Aber er geht dorthin, wo niemand hingeht, und sieht mit kritischem Bewußtsein, was nicht verleugnet werden darf." Nicht verleugnet werden darf, daß es in diesem "Wahnsinn des Bürgerkrieges" kein Gut und Böse gibt: "Da hat keiner mehr recht, nur der Tod ist eindeutig, und die Lebenden vielleicht bald tot." Und noch etwas anderes zeigt dieser "Schimanski", stellt Feil fest: "Daß Deutsche in diesen Krieg verstrickt waren, und zwar mehr als wir wahrhaben wollen. Daß deutsche Geschäftsleute aus der sicheren Etappe heraus operiert und Geld gemacht haben - daß das Kapital dem Teufel die Hand gereicht hat."

Irgend jemanden scheinen die Nachforschungen Schimanskis mächtig zu stören. Nur knapp entgeht der Duisburger Kommissar einem Mordanschlag. Der Fotograf, der für 200 Mark Bildabzüge des vermißten Wörner erstellen wollte, hat nicht so viel Glück. Er ist massakriert worden. Schimanski stößt auf den Kommandanten Marko (Sylvester Groth). Der gilt in der Gegend als Kriegsheld. Inzwischen arbeitet er auf eigene Rechnung und unterhält eine Miliz, die Mittel für den Wiederaufbau "organisiert". Vor allem jedoch verbreiten die Millizionäre Angst und Schrecken unter der Bevölkerung - und mehren den Reichtum von Marko. Die Polizei kann nicht einschreiten.Oder will sie nicht? Und die SFOR-Truppen? Die schert hier nix. Marko führt Schimanski zu Wörners Grab. Nicht gerade heldenhaft sei dieser gestorben. "Wetten, daß sie nicht explodiert", habe er gesagt und sich auf eine Mine gesetzt. Der Deutsche habe die Wette verloren, berichtet Marko.

"Muttertag" hat Kinoqualität. Rund eine Million Mark kostete der Film mehr, als ein "normaler" "Schimanski", gibt Georg Feil zu. Die Filmstiftung NRW machte es möglich. Es hat sich ausgezahlt. Gedreht wurde "Muttertag" im August und September 1997 in Duisburg, Köln - und in Kroatien. In einem ehemaligen Kriegsgebiet Krieg spielen? "Das hat schon etwas Komisches", beschreibt Götz George die Dreharbeiten. Nicht nur die Schauspieler hätten am kroatischen Drehort Biograd Uniformen getragen. Dabei meint er nicht alleine die SFOR-Soldaten, die das Team als Statisten verpflichtet hatte, um Schimi per Hubschrauber aus brenzliger Situation zu retten. Für George ein unangenehmes Gefühl: "Wenn ein Mann einen Kampfanzug an hat, ist er kein Mann mehr, sondern Soldat - das hat mich beunruhigt." Die "Schimanski"-Crew mußte sich mit den unübersehbaren und allzeit präsenten Folgen des Bürgerkrieges auseinandersetzen: Um ihre Angehörigen trauernde Menschen. Zerstörte Häuser. Befestigte Minenfelder. Und ganz reale Soldaten. "Für uns alle war das schon eine ziemliche Belastung", erklärt Regisseur Mark Schlichter. Doch der Film gewinnt so beinahe authentische Züge. Die atmosphärische Dichte von "Muttertag" resultiert gerade daraus, daß er vor Ort gedreht wurde.

Etwas stimmt an der Geschichte von Marko nicht. Schimanski ahnt, daß Marko ihm nicht die Wahrheit über das Schicksal Wörners erzählt hat. Und langsam dämmert ihm, daß es in diesem Fall um mehr geht als um die Suche nach einem vermißten Sohn. Ohne vorherige Warnung ist er auf die Jagd nach einem Kriegsverbrecher geschickt worden. Die kostet ihn beinahe das Leben. Aber natürlich bringt Schimanski den Bösewicht am Ende zur Strecke. Als er sich am Schluß mit Gordon in einem Straßencafé in Den Haag betrinkt, ist nicht nur das Wetter trübe. Was beide in Kroatien erlebt haben, hinterließ bei ihnen tiefe Spuren. Der holländische Arzt wird wieder zurückgehen, will dort weiter für Gerechtigkeit kämpfen. Schimanski blickt ungläubig. "Wenn ich ein Narr bin, was sind dann Sie?" fragt ihn Gordon. "Ich stelle mir keine Fragen, die ich nicht beantworten kann."

60 Jahre ist Götz George in diesem Jahr geworden. Ein gutes Alter für den Vorruhestand. Aber davon will er weiterhin nichts wissen. Schimanski prügelt sich wie zu seinen wildesten Zeiten, fliegt durch Fenster, springt auf Autos und von Häuserdächern. Zur Zeit dreht George bereits an einem neuen "Schimi". "Sehnsucht" heißt er und soll den Auftakt der nächsten Staffel im kommenden Jahr bilden. Dann erhält er auch einen neuen Assistenten. Mit einem "extrem schrägen Einstieg" wird Julian Weigert an die Seite Schimis kommen, verrät George. Weigert soll eine "völlig neue Figur mit neuer Funktion" spielen. Doch auch er wird kaum den vom zu früh verstorbenen Eberhard Feik gespielten Thanner vergessen machen können - Schimanskis kongenialen Partner. Vielleicht kann er sich ja zumindest besser behaupten als Steffen Wink, der in der Rolle des Tobias Schrader nicht über den Part eines farblosen Stichwortgebers für den omnipräsenten George hinausgekommen ist. Mit der jetzt anlaufenden Staffel endet dieses mißlungene Experiment. Am 15. November und 6. Dezember strahlt die ARD die anderen Folgen der zweiten "Schimanski"-Staffel aus. In "Rattennest" und "Geschwister" wird der gealterte und doch junggebliebene Kommissar dann nicht gegen Kriegsverbrecher kämpfen, sondern ganz profan mit eiskalten Industriebossen und korrupten Bauunternehmern die Klingen kreuzen. Und Schimi kehrt in sein gewohntes Ambiente zurück und ermittelt dort, wo er sich am besten auskennt: In Duisburg und seiner Umgebung.


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