17.12.1998



Nachruf auf Klaus Matthiesen

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taz

*   Ein streitlustiger Sozialdemokrat
Von Pascal Beucker und Thomas Meiser

Zum Tode des ehemaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Klaus Matthiesen.

Am Dienstag vergangener Woche hatte Klaus Matthiesen noch mal einen großen Auftritt gehabt. Als Vorstandsvorsitzender des Kölner Entsorgungs- und Rohstoffkonzerns Interseroh AG lud er zur Bilanzpressekonferenz. Er sei "voller Tatendrang" gewesen, habe sich gut gelaunt und "topfit" präsentiert, berichteten anwesende Journalisten nachher. Es war der erste öffentliche Auftritt in seinem neuen Job als Wirtschaftsmanager gewesen - und sein letzter. Am Morgen des folgenden Tages, am Mittwoch, den 9. Dezember, fand seine Frau den 57jährigen tot in seinem Bett.

Mit Klaus Matthiesen sei ein "ganz außergewöhnlicher Politiker" gestorben, würdigte der Landesvorsitzende der nordrhein-westfälischen SPD, Franz Müntefering, den Politiker, der 15 Jahre lang die sozialdemokratische Politik zwischen Rhein und Ruhr maßgeblich mitgestaltet hatte. Das war der als Parteilinker Gestartete und als rechter Flügelmann Geendete ohne Zweifel stets gewesen. Er selber sagte über sich: "Matthiesen ist sicherlich ein Unikat - nicht mehr und nicht weniger."

Am 15 Februar 1941 in Gangerschild bei Flensburg als Sohn eines Landarbeiters geboren, und aufgewachsen in einer kinderreichen Familie, hatte Klaus Matthiesen sich früh nach oben gekämpft. Nach Volks- und Realschule und einer Ausbildung als Postbediensteter gelang ihm über den zweiten Bildungsweg der soziale Aufstieg. Er studierte an der Fachhochschule für Sozialarbeit in Flensburg, wurde Sozialpädagoge und avancierte zum Studienleiter einer Akademie in der Erwachsenenbildung.

Seine politische Karriere begann mit den Landtagswahlen 1971 in Schleswig-Holstein. Als einziger sozialdemokratischer Kandidat gelang es dem gerademal Dreißigjährigen, der 1966 in die SPD eingetreten war, der übermächtigen CDU ein Direktmandat abzunehmen. Zwei Jahre später trat Matthiesen die Nachfolge des "roten Jochen" Steffen als SPD-Fraktionsführer und Oppositionsführer im Kieler Landtag an. Der schleswig-holsteinische Landesverband der SPD galt damals als "linker Bürgerschreckverein", und Matthiesen zählte sich selbstverständlich zum linken Flügel in der Partei. Er stritt gegen Berufsverbote, sprach sich gegen die vom SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt forcierte Nato-Nachrüstung aus und kämpfte vehement gegen den Ausbau der Kernenergie.

Zweimal trat der Mann mit dem Störtebekerbart als Spitzenkandidat seiner Partei gegen den CDU-Ministerpräsidenten Gerhard Stoltenberg an - und verlor. Bei den Landtagswahlen 1979 unterlag er denkbar knapp. Nach den ersten Hochrechnungen hatte Matthiesen sich schon als der Sieger gesehen und ließ sich vor den laufenden Kameras von seinen Parteifreunden als neuer Landeschef feiern. Doch er hatte sich zu früh gefreut: Als das Endergebnis bekannt gegeben wurde, fehlten ihm ganze 690 Stimmen. Erstmals waren die Grünen zur Wahl angetreten und hatten 2,4 Prozent der Stimmen eingeheimst. Sie machte Matthiesen für seine Niederlage verantwortlich. Er verzieh es ihnen nie.

Nachdem ihm klar geworden war, daß sich Helmut Schmidt nicht von der politischer Unterstützung für den von Matthiesens Kontrahenten Stoltenberg propagierten Bau des AKW Brokdorf würde abbringen lassen, verzichtete der kantige Friese 1981 auf eine erneute Kandidatur in Schleswig-Holstein. Für zwei Jahre wurde es ruhiger um ihn, seine Politkarriere hatte ihren ersten Knick.

Dankbar nahm Matthiesen 1983 den Ruf des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Johannes Rau nach Düsseldorf an. Rau machte den erklärten AKW-Gegner zu seinem Landwirtschafts- und 1985 auch noch zum Umweltminister. Der "Klaren aus dem hohen Norden", wie Matthiesen in Düsseldorfer SPD-Kreisen alsbald genannt wurde, sollte die ökologische Front gegen die aufstrebenden Grünen an Rhein und Ruhr sichern. Durchaus erfolgreich: Erst 1990 schafften die Grünen den Sprung in das Landesparlament des bevölkerungsreichsten Bundeslandes.

Seinen Kampf gegen die verhaßte Öko-Partei führte Matthiesen, der seinen Wahlkreis in Bergkamen im Ruhrgebiet hatte, mit Verve - und allen Tricks. So begleitete er den Landtagswahlkampf 1990 auf ganz besondere Weise: mit einer "Müllvermeidungskampagne", mit der "der Umweltminister in NRW" in Zeitungsanzeigen, Fernseh- und Rundfunkspots "Müllspartips" gab. Die Kampagne kostete rund 5 Millionen Mark und lief exakt bis zur Landtagswahl.

Diese Aktion hätte dem Kettenraucher beinahe seinen Kopf gekostet. Der NRW-Landesrechnungshof bescheinigte ihm, "daß mit der Kampagne die Grenzen rechtmäßiger Öffentlichkeitsarbeit hin zur unzulässigen Wahlwerbung überschritten wurden". Das Landesverfassungsgericht kam zu der Auffassung, daß die Finanzierung der Kampagne, "rechtswidrig" erfolgt sei und gegen die Landesverfassung verstoßen habe. Auf Nachfragen der Opposition im Landtag antwortete der Minister mit Ausflüchten und nachweislichen Unwahrheiten. CDU-Fraktionschef Linssen warf dem Umweltminister daraufhin "ein großangelegtes Betrugsmanöver auf Kosten der Steuerzahler" vor. CDU, FDP und Grüne forderten den Rücktritt des Ministers, der Landtag setzte einen Untersuchungsausschuß ein. Der Angegriffene sah sich von einer "Schmutzkoalition" "übel verleumdet" und schlug zurück: "Das wird ein Rohrkrepierer, und zu gegebener Zeit wird politisch abgerechnet." Der norddeutsche Poltergeist überlebte den Skandal - die absolute SPD-Mehrheit im Landtag machte es möglich.

1995 jedoch verlor die die siegesgewohnte NRW-SPD bei den Landtagswahlen diese Mehrheit. Rot-Grün brach über das Land herein. Ein Graus für den erklärten Grünen-Hasser Matthiesen, der noch kurz zuvor Rot-Grün als "großes Verhängnis" für Nordrhein-Westfalen bezeichnet hatte und nun das Umweltministerium räumen mußte. Mit der vormaligen grünen Fraktionsvorsitzenden Bärbel Höhn trat ausgerechnet eine Intimfeindin seine Nachfolge an, die ihn in der vorausgegangenen Legislaturperiode immer wieder scharf angegriffen hatte.

Matthiesen sattelte um. In einer Kampfabstimmung und gegen den erklärten Willen von Ministerpräsident und SPD-Landeschef Rau setzte sich der inzwischen längst als Repräsentant des rechten Parteiflügels Geltende knapp als neuer Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion durch. Unter dem Motto "Ich stehe für Rot pur", galt sein ganzes Engagement in der neuen Position der Malträtierung des kleinen Koalitionspartners. Er fuhr stets "harte Kante" und ließ keine Gelegenheit aus, wortgewaltig die "Industriefeinde" auch auf der Regierungsbank zu attackieren. Schließlich werde er "nicht dafür bezahlt, daß die Grünen immer stärker und meine eigene Partei immer schwächer wird", erklärte Matthiesen streitlustig. Besonders im Konflikt um den Braunkohletagebau Garzweiler II ließ Matthiesen keine Gelegenheit aus, die Grünen und ihre Umweltministerin vorzuführen. Die Durchsetzung des von der Öko-Partei bekämpften Megalochs am Niederrhein wurde zu seiner Herzensangelegenheit, bei der der selbsternannte "SPD-Fundi" keine Kompromisse kannte.

Ende Oktober verkündete Matthiesen dann überraschend seinen Ausstieg aus der Politik und seinen Wechsel in die Wirtschaft. Die Entscheidung sei ihm nicht leichtgefallen, denn er habe immer "mit Leib und Seele" für seine Partei gearbeitet, erklärte er der erstaunten SPD-Landtagsfraktion. Doch nun wolle er die ihm gebotene Chance wahrnehmen, "noch in meinem beruflichen Leben auf einem anderen Gebiet außerhalb der Politik engagiert mitzugestalten." Nachdem auch in Bonn die Weichen auf Rot-Grün gestellt waren, sah er offensichtlich keine Perspektive mehr für seine Hardliner-Position. Seinen Traum, doch noch einmal Ministerpräsident eines Landes zu werden, hatte der lange als Kronprinz von Johannes Rau Gehandelte schon früher aufgeben müssen. Wolfgang Clement hatte im Frühjahr dieses Jahres "Bruder Johannes" beerbt.

Die NRW-Grünen quittierten den Abschied des Rot-Grün-Destrukteurs mit einem unüberhörbaren Stoßseufzer der Erleichterung. "Es war ihm ganz egal, ob es hier eine Koalition gab, er war ein Überzeugungstäter", bilanzierte verbittert der Grünen-Fraktionschef Roland Appel. Landessprecher Reiner Priggen und der grüne Minister Michael Vesper verabschiedeten den Streithansel gar mit einem spöttischen Ständchen und trällerten wohlgelaunt: "Viel Glück und viel Segen auf all deinen Wegen." Matthiesen kommentierte die kuriose Einlage auf seine Weise: "Über Geschmack läßt sich streiten." Am 4. November trat er seinen Dienst als Vorstandschef bei der Interseroh AG an. Doch für seinen geplanten Neuanfang jenseits der Politik blieb ihm nur ein Monat.

Klaus Matthiesen war ein verbaler Raufbold von hoher Qualität. Nicht umsonst zeugen die zahlreichen Nachrufe seiner politischen Freunde und Feinde vor allem von einem: dem bis heute andauernden Respekt vor der unbändigen Streitlust des Norddeutschen. So stellte SPD-Ministerpräsident Clement über seinen langjährigen politischen Weggefährten fest, er sei "ein Freund klarer und deutlicher Worte" gewesen, "der sich und anderen viel abverlangte". Die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis würdigte Matthiesen ebenso wie der nordrhein-westfälische CDU-Fraktionschef Linssen als einen Mann "mit Ecken und Kanten". "Er war oft kein bequemer Gesprächspartner, hatte vor notwendigen Konflikten keine Angst", erklärte Franz Müntefering. Auch die NRW-Landtagsfraktion der Grünen rang sich Worte des Trauers ab. Sie bescheinigte ihm, ein "Vollblutpolitiker" gewesen zu sein, "der sich für seine Überzeugung und für die Interessen seiner Fraktion uneingeschränkt eingesetzt hat". Wie tief die Abneigung der Landtagsgrünen gegen Matthiesen bis heute sein muß, dokumentiert noch ihr Nachruf: Konsequent wird sein Name falschgeschrieben.

Am Montag wurde der in zweiter Ehe verheiratete Klaus Matthiesen beerdigt. Er hinterläßt einen erwachsenen Sohn und eine Tochter.


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