08.07.1999



"Die Grünen sind nicht mehr unsere Freunde"

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analyse & kritik

*   "Die Grünen sind nicht mehr unsere Freunde"
Von Pascal Beucker

Hungerstreikende Flüchtlinge aus grünem Büro geräumt.

Ralf Schmidt kann endlich wieder in Ruhe arbeiten. Elf Tage lang hatte der Kreisgeschäftsführer der Kölner Grünen mit einem guten Dutzend Flüchtlingen die Büroräume am Ebertplatz teilen müssen. Es war eine schlimme Zeit. "Während der Besetzung wurden Materialien aus dem Büro gestohlen, Wände besprüht und Möbel zerstört", klagten die Domstadt-Grünen. Und tatsächlich: Als Pressevertreter durch die geschändeten Räume geführt wurden, mußten sie eine schlimme Entdeckung machen. In der Küche des Büros fanden sie im Kühlschrank mit Edding geschrieben: "Nie wieder Fischer!"

Aber der böse Spuk ist vorbei. Am 15. Juni, um 9 Uhr morgens, räumte die Polizei die Geschäftsstelle des bundesweit größten grünen Kreisverbandes. Die Grünen hatten Anzeige wegen "Hausfriedensbruch" gestellt. Aus "Sicherheitsgründen". Es war höchste Zeit. "Wir haben einen Hinweis von Außen bekommen, daß mit Drogen gehandelt wird", berichtete Kreissprecherin Heidi Näpflein in einer eilig einberufenen Pressekonferenz nach der Säuberung. In einem späteren Gespräch am selben Tag konkretisierte sie ihren Vorwurf: "Uns ist eine Postkarte zugekommen, wo jemand seinen Verteiler suchte und sagte, der sitzt ja jetzt bei euch, sagt ihm mal Bescheid: Wir brauchen Stoff." Und dann noch der anstehende Weltwirtschaftsgipfel in Köln! "Wir wußten nicht, was auf uns zukommt", verkündete Näpflein. "Wir hatten einfach Angst, daß während des Weltwirtschaftsgipfels Gewalttaten von unserem Büro ausgehen." Da die ungebetenen Gäste aus aller Herren Länder der mehrfachen Aufforderung, die Geschäftsstelle zu verlassen, nicht nachkamen, war entschlossenes Handeln angesagt: "Somit war die Räumung leider eine notwendige Konsequenz", so Näpfleins Sprecherkollege Stefan Peil.

Elf Tage lang hungerten die Flüchtlinge in der grünen Kreisgeschäftsstelle. Einen ihrer Mitstreiter hatten sie schon verloren: Der Peruaner Alex Alayo Chavez war am 8. Juni auf der Autobahn zwischen Köln und Hamburg von deutschen Zivilpolizisten festgenommen und unter dem Vorwurf des illegalen Aufenthalts inhaftiert worden. Seitdem sitzt er im Abschiebeknast in Büren und wartet auf seine Abschiebung. Doch die anderen Besetzer von der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen wollten weiter durchhalten. Bis zum Weltwirtschaftsgipfel. "Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört", hatten sie verkündet und wollten mit ihrem Hungerstreik gewaltfrei "gegen rassistischen Terror und für die Menschenrechte, Gerechtigkeit und Frieden" demonstrieren. Das Büro der Grünen hatten sich die Menschen aus Kamerun, Nigeria, Togo, Peru, Sri Lanka und Türkisch-Kurdistan ausgesucht, weil gerade diese Partei sich wie keine andere plakativ den Einsatz für Menschenrechte auf ihre Fahnen geschrieben hat. Und bezeichneten die Grünen nicht zudem noch in ihrem Bundestagswahlprogramm für sich den "Schutz von Flüchtlingen als oberstes Prinzip der Asylpolitik"? Die Flüchtlinge hätten es wissen müssen: Auch grünes Papier ist geduldig.

Der Polizeieinsatz am Morgen des 15. Juni überraschte einige der Besetzer noch im Schlaf. Zwölf Männer und zwei Frauen wurden vorläufig festgenommen und zum Polizeipräsidium verbracht. Am späten Nachmittag wurden sie wieder auf freien Fuß gelassen. Außer Raveenthiran Tharmalingam. Denn der Tamile, dessen Aufenthaltsberechtigung abgelaufen ist, wurde mit drei Haftbefehlen gesucht. Wegen angeblicher Verstöße gegen das Ausländerrecht - also "Straftaten", die ein deutscher Staatsbürger nicht begehen kann. Tharmalingam wurde am folgenden Tag dem Haftrichter vorgeführt, dann mit Auflagen wieder freigelassen. Er bleibt weiterhin akut von Abschiebung bedroht. Doch Grünen-Geschäftsführer Schmidt hat damit keine Probleme: "Jeder mußte sich darüber im klaren sein, was passieren kann, wenn er die Geschäftsstelle nicht verläßt." Wer nicht hören will, muß fühlen.

Pünktlich mit der Schließung der Wahllokale am 13. Juni hatte der grüne Sprecherrat seine Entscheidung für die Räumung getroffen. Einen Tag später stellte die Partei den Strafantrag und bat, so ein Polizeisprecher, "ausdrücklich um Räumung". Mitten im Europawahlkampf hätte sich so etwas schlecht gemacht. Schließlich hofften die Kölner Grünen auf den Wiedereinzug ihrer Europaparlamentarierin Edith Müller. Vergeblich. Platz 9 der grünen Kandidatenliste hätte bei den letzten Europawahlen noch für ein Mandat gereicht - diesmal nicht. Gegenüber den 6,4 Prozent bundesweit schnitten die Kölner allerdings mit 14,2 Prozent gut ab.

Edith Müller war wie der Bundestagsabgeordnete Volker Beck von Anfang an in die Räumungsüberlegungen einbezogen worden. Denn ihre Wahlkreisbüros befinden sich ebenfalls in den Räumen der Geschäftsstelle am Ebertplatz. Beide hätten die Entscheidung mitgetragen, erklärte Heide Näpflein. Doch nicht nur das: Sowohl Müller als auch Beck hätten am liebsten bereits am ersten Tag der Besetzung räumen lassen. Erst nach einer Intervention der grünen NRW-Landessprecherin Barbara Steffens ließen sie sich dazu bewegen, erst einmal abzuwarten. Bis zur Europawahl. Einen Zusammenhang zwischen Europawahl und Räumung wies Kreissprecherin Näpflein allerdings entschieden zurück. "Dann hätten wir schon Sonntagnacht entsorgt", so Näpflein.

Immerhin zogen die Grünen noch am Tag der Räumung ihre Strafanzeige gegen die Flüchtlinge zurück. Wenn auch nicht ganz freiwillig. Denn dazu war eine erneute Besetzung erforderlich - diesmal der Fraktionsgeschäftsstelle am Rathaus. Kurz vor Beginn der letzten Ratssitzung vor der Sommerpause "besuchten" rund 30 Menschen die Stadtratsgrünen und forderten die Rücknahme der Anzeige. Außerdem verlangten sie, daß sich die Grünen für die Freilassung sowohl von Raveenthiran Tharmalingam als auch von Alex Alayo Chavez einsetzen sollten. Mehrstündige Verhandlungen unter anderem mit der Fraktionssprecherin und grünen Oberbürgermeisterkandidatin Anne Lütkes folgten. Nachdem der Kreisverband auf Druck der Fraktion schriftlich dem Polizeipräsidium mitgeteilt hatte, "den Strafantrag wegen Hausfriedensbruch gegen die ‚Karawane' sowie ggf. weitere Strafanträge in diesem Zusammenhang" zurückzuziehen, zogen die Kurzzeitbesetzer wieder aus den Fraktionsräumen ab.

Auch die Führung der Ratsfraktion der Kölner Grünen war von der Räumung vorab informiert gewesen - und unterstützte sie. Die Partei habe versucht, Absprachen mit den Flüchtlingen zu treffen, die von ihnen jedoch nicht eingehalten worden seien, rechtfertigte Fraktionsgeschäftsführer Volker Bulla den Polizeieinsatz. "Es gab Regelverletzungen", so Bulla. Auch Ratsherr Jörg Frank warf den Flüchtlingen vor, sie hätten sich nicht an Absprachen gehalten. Außerdem seien "Trittbrettfahrer" unter den Besetzern gewesen. "Die Situation ist einfach unerträglich geworden", meinte Frank.

Humanität grüner Art

Doch nicht alle Grünen waren mit der Flüchtlingsentsorgungsaktion ihres Kreisverbandes einverstanden. Ihre Wahlkreisbüros in der grünen Geschäftsstelle haben auch die drei Landtagsabgeordneten Daniel Kreutz, Alexandra Landsberg und Marianne Hürten. Sie wußten nichts von der bevorstehenden Räumung - bis es zu spät war. "Wir haben nicht daran gedacht, die anzurufen", erklärte Bulla. Die drei seien "nicht so präsent hier bei uns" und deshalb aus seiner Sicht "nicht so groß betroffen" gewesen.

Es hätte auch nur unnötige Diskussionen gegeben. Denn der Kreisverband wußte, wie die Anwort gelautet hätte, wenn die Parteilinken Kreutz, Landsberg und Hürten um ihre Zustimmung zu der Polizeiaktion gebeten worden wären. Entsprechend entsetzt zeigte sich denn auch Kreutz, als er von der Räumung erfuhr. Sein erster Kommentar: "Spontan würde ich das als verbrecherisch bezeichnen." Schnell fügte er jedoch hinzu: "Aber ich weiß natürlich, daß man das so nicht sagen darf." Seinem Kreisverband teilt er zwei Tage später, am 17. Juni, schriftlich mit: "Eure Entscheidung, Polizeigewalt gegen Flüchtlinge einzusetzen, halte ich für politisch unerträglich und distanziere mich davon entschieden."

In einem "Offenen Brief", den der Sprecherrat und der Fraktionsvorstand der Kölner Grünen ebenfalls zwei Tage nach der Räumung veröffentlichten, wird die polizeiliche Beendigung der "gewaltsamen Besetzung" als humanitärer Akt gerechtfertigt: Ein "verantwortlicher Umgang mit der Gesundheit der Hungerstreikenden" sei "nicht gewährleistet" gewesen, schreiben die Spitzen der Kölner Grünen. Dies sei für den grünen Sprecherrat "ein entscheidender Grund" gewesen, "einer Räumung zuzustimmen". Außerdem sei den Flüchtlingen einen Tag vor der Räumung vom Kreissprecher Stefan Peil "unmißverständlich" mitgeteilt worden, "daß die Grünen die Besetzung in Anbetracht der unhaltbaren gesundheitlichen Situation der Hungerstreikenden, der undurchschaubaren politischen Absicht und des ersichtlichen Gruppenzwangs nicht länger dulden werden". Der vermeintliche "Hinweise" auf Drogenhandel, zunächst als einer der zentralen Räumungsgründe benannt, findet in dem "Offenen Brief" keine Erwähnung mehr. Dafür wird sich darüber beklagt, daß bei Pressekonferenzen "die von der Karawane organisierten Journalisten oft für eine antigrüne, aggressive Stimmung" gesorgt hätten. So seien anwesende Grüne "immer wieder als Kriegstreiber, Rassisten und Menschenverachter bezeichnet" worden.

Nachdem sie sich bereits von ihren pazifistischen Wahlversprechen verabschiedet hätten, gäben die Grünen in Köln nun "offenkundig auch ihr Wahlversprechen auf, sich für die Rechte von Migranten und Flüchtlingen einzusetzen", kritisierte Sengül Senol die Räumungsaktion. Die Ratsfrau, die aus Protest gegen die grüne Kriegszustimmung Ende Mai die Grünen verließ und nun als Parteilose für die PDS zur kommenden Oberbürgermeisterwahl antritt, warf ihrer alten Partei vor, sie hätte "mit einer fadenscheinigen Begründung einen Anlaß für die Kriminalisierung von Flüchtlingen geschaffen, die sich für ihre Menschenrechte einsetzen". Als "menschenverachtend" bezeichnete der Verein "Kölner Appell gegen Rassismus" kurz und knapp die Räumung und das Kölner Netzwerk "Kein Mensch ist illegal" sah in ihr "die vorerst letzte Zuspitzung der grünen Politik". Die Flüchtlinge seien von Beginn der Besetzung an "einer rassistischen Diffamierungskampagne der Grünen ausgesetzt" gewesen. Das Versprechen einer menschlichen Flüchtlingspolitik sei auf der Strecke geblieben. Statt dessen trügen die Grünen "politische Verantwortung für ein rassistisch strukturiertes Ausländergesetz, für die Existenz von Abschiebegefängnissen und den Tod von Flüchtlingen bei der gewaltsamen Abschiebung in Folterstaaten", erklärte das Netzwerk. Mit der Räumungsaufforderung an die Polizei hätten die Grünen bewußt die Abschiebung von Flüchtlingen als mögliche Konsequenz billigend in Kauf genommen.

Die geräumten Flüchtlinge warfen den Grünen vor, sie hätten durch die polizeiliche Räumung "mögliche Abschiebungen bewußt vorangetrieben". Als "schmutzige Lügenkampagne gegenüber uns Hungerstreikenden" bezeichneten sie die von grüner Seite erhobenen Vorwürfe des Diebstahls und des Drogenhandels. "Diese unerhörten und absurden Vorwürfe bedienen sich nicht nur rassistischer Stigmata, wie man sie sonst nur aus rechten und faschistischen Kreisen kennt, sondern stimmen zudem in die, vor allem von der CDU/CSU-Fraktion geschürte, rassistische Debatte um ‚straffällig gewordene Ausländer‘ ein." Durch ihre diffamierenden Aussagen trügen die Grünen "maßgeblich dazu bei, das rassistische Klima und die Pogromstimmung in diesem Land gegenüber uns Flüchtlingen, Migranten und Migrantinnen weiter anzuheizen", empörten sich die Aktivisten der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen.

Sie haben aus ihrem praktischen Erlebnis grüner Realpolitik gelernt. "Die Grünen sind nicht mehr unsere Freunde - das ist nun sicher", konstatierte Viraj Mendis aus Sri Lanka, nachdem ihn die Polizei am Abend des 15. Juni wieder freigelassen hatte.


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