01.12.1999



Loch im Arsch?

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*   Loch im Arsch?
Von Pascal Beucker

Die Chancen, dass dem Niederrhein das RWE-Projekt Garzweiler II doch noch erspart bleibt, stehen nicht schlecht - trotz Rot-Grün.

Nachher gab es mal wieder nur strahlende Sieger. Der gefundene Kompromiss sei ein "politischer Glücksfall", jubilierte der nordrhein-westfälische SPD-Ministerpräsident Wolfgang Clement. Auch die grüne NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn zeigte sich "sehr zufrieden". Am Freitag passierte die zweite Stufe der Ökosteuerreform den Bundesrat. Und Nordrhein-Westfalen stimmte zu. Friede, Freude, Eierkuchen - dabei standen nur wenige Tage zuvor die Zeichen auf Sturm.

Wochenlang hatte sich der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Wolfgang Clement mit seinen Genossen in Berlin und dem grünen Koalitionspartner gezofft. Wie einst Don Quixote gegen die Windmühlen war der designierte Bundespartei-Vize gegen die zweite Stufe der Ökosteuerreform angerannt. Sie sei "ökonomisch und energiepolitisch falsch", schimpfte Clement und drohte, im Bundesrat gegen die Reform zu stimmen. Das wäre ein Bruch des rot-grünen Koalitionsvertrages in NRW gewesen - und eine Desavouierung der rot-grünen Bundesregierung.

Clements Aufregung war verständlich. Denn ein Prestigeobjekt der Rhein-Ruhr-Sozis stand auf dem Spiel: der Braunkohletage-Abbau Garzweiler II. Aufgeschreckt hatte den Ministerpräsidenten ein Brief der Vorstände von RWE Energie und Rheinbraun, Manfred Remmel und Berthold Bonekamp: Da sich durch die geplante Steuerentlastung für Gas- und Dampfkraftwerke (GuD) mit einem Wirkungsgrad von 57,5 Prozent deren Stromerzeugungskosten um rund 0,7 Pfennig je Kilowattstunde reduzierten, geriete die Braunkohle in eine erheblich schlechtere Wettbewerbsposition, rechneten die Energiemanager vor. Auf der RWE-Hauptversammlung am 18. November legte Vorstandschef Dietmar Kuhnt nach und warnte vor "massiven Wettbewerbsnachteilen" für die Stein- und Braunkohle. Die mögliche Folge: "Vor allem würden unsere geplanten Investitionen in die Braunkohle in Milliardenhöhe in Frage gestellt." Was er meinte, war klar: Das Aus für Garzweiler II - und auch für das 25 Milliarden schwere Neubauprogramm für neue Kohlekraftwerksanlagen im rheinischen Revier. Die Ökosteuer bedeute eine "Beerdigung zweiter Klasse für Garzweiler II", frohlockte bereits die Grüne Bärbel Höhn.

Eine Steilvorlage für die christdemokratische Opposition sechs Monate vor den NRW-Landtagswahlen. "Die SPD hat die Arbeiter verraten", tönte landauf, landab CDU-Landeschef Jürgen Rüttgers. Die CDU beantragte eine Landtagssondersitzung über die "Auswirkungen der Ökosteuer in NRW". Zwei Tage vor der Bundesratsentscheidung wollte sie Clement und die SPD vorführen.

Bei der nordrhein-westfälischen SPD schrillten die Alarmglocken. Schließlich hatte sie immer wieder gerade im Streit mit ihrem grünen Koalitionspartner vor den Arbeitsplatzverlusten gewarnt, falls Garzweiler II nicht realisiert würde. Warnungen mit Wirkung: Mitte dieses Monats bekam der SPD-Landesvorsitzende Franz Müntefering schon mal eine Kostprobe, was den Genossen in den kommenden Wochen und Monaten hätte bevorstehen können. "Verräter!", "Lügner!" und "Aufhängen!" riefen ihm rund 8 000 Bergleute auf einer Kundgebung der IG Bergbau, Chemie, Energie in Köln entgegen. Sie machten den designierten Generalsekretär dafür verantwortlich, dass NRW-SPD-Abgeordnete im Bundestag für die Steuerreform gestimmt hatten.

Da galt es, zu retten, was noch zu retten war. Die SPD-Landtagsfraktion machte Front gegen die Ökosteuer. Einstimmig sprach sie sich gegen die Steuerbefreiung von Gas- und Dampfturbinenkraftwerken aus. Dieser "neue Subventionstatbestand" belaste die heimische Stein- und Braunkohle in nicht hinnehmbarer Weise. Ministerpräsident Clement versprach, "alles" gegen die Reform zu unternehmen, "was möglich ist". Notfalls auch gegen seine Koalitions-Grünen. "Hier in Nordrhein-Westfalen wackelt nicht der Schwanz mit dem Hund", kraftmeierte der oberste Sozi des Landes. "Garzweiler II muss kommen", gab sich Clement kämpferisch.

Die Grünen reagierten mit demonstrativem Selbstbewusstsein. "Nachbesserungen" kämen nicht in Frage, verkündeten sie. Die umweltfreundliche Gastechnologie, so der grüne Landessprecher Reiner Priggen, dürfe "nicht am Widerstand der Kohle-Ayatollahs" scheitern. Es sei "unverantwortlich, dass CDU und Teile der NRW-SPD die Bergleute und deren Familien in dieser Debatte im Vorfeld der Landtagswahl instrumentalisieren".

Verhärtete Fronten. Bis zum Montag letzter Woche. Da einigten sich die Spitzen von Bundesregierung und der beiden Regierungsfraktionen mit Kohlelobbyist Clement - auf "Nachbesserungen". Die Steuerbefreiung für GuD-Kraftwerke soll lediglich für Anlagen gewährt werden, die bis zum 31. März 2003 ans Netz gehen. Dafür machte man den Grünen Zugeständnisse bei der Förderung von umweltfreundlicher Kraft-Wärme-Kopplung und der Solarenergie.

Ein fauler Kompromiss. Denn schon die ursprüngliche war eine inkonsequente Regelung. Hätte Rot-Grün tatsächlich einen umweltpolitischen Akzent setzen wollen, wäre die Hürde für die Steuerbefreiung niedriger ausgefallen. Die ursprünglich geplante Beschränkung auf Anlagen, die einen elektrischen Wirkungsgrad von mindestens 57,5 Prozent der verwendeten Energie erreichen, sorgt dafür, dass kein einziges der bisher in der Bundesrepublik existierenden Gaskraftwerke in den Genuss der Mineralölsteuerbefreiung kommt. Und das, obwohl sie wesentlich umweltfreundlicher arbeiten als Kohlekraftwerke - Erdgas setzt bei der Verbrennung nicht einmal halb so viel Kohlendioxyd frei.

Dabei ist der Streit um die vermeintliche Begünstigung von Gaskraft gegenüber der Stein- und Braunkohle ohnehin eine Scheindebatte. Eigentlich geht es nur um eine Gleichstellung mit der schon immer mineralölsteuerfreien Kohle und Atomkraft. Denn Erdgas wird als einziger Brennstoff mit einer zusätzlichen Steuer belastet und somit künstlich unwirtschaftlicher gemacht. Durch die Befristung dürfte nun nur das deutsch-schwedische Unternehmen Vasa Energy, das in Lubmin bei Greifswald ein GuD-Kraftwerk plant, von der Steuerbefreiung profitieren können.

Stolz präsentierte sich Clement auf der Landtagssondersitzung am Mittwoch letzter Woche als Retter der Braunkohlekumpel. "Ich versuche, das Vertrauen der Bergleute zu hüten wie meinen Augapfel", rief er ins Plenum. Er könnte sich allerdings zu früh gefreut haben. Denn auch wenn RWE nun erst mal seine Drohung zurückgenommen hat, Garzweiler II nicht zu bauen, ist das Projekt keineswegs gesichert. Denn es rechnet sich nicht.

So baut RWE selbst ein hochmodernes Gaskraftwerk in Amsterdam. "In einem veränderten liberalen Energiemarkt hat die Braunkohle in dieser Form keine Chance mehr", konstatiert NRW-Umweltministerin Höhn. Mit den Ausstiegsdrohungen wegen der Ökosteuerreform habe der Konzern denn auch nur einen "Sündenbock in der Politik" gesucht. Damit könnte die grüne Ministerin Recht haben. Und Clement kann nur hoffen, dass RWE nicht vor den Landtagswahlen einen neuen Anlass für den Einstieg in den Ausstieg findet. Die Chancen, dass dem Niederrhein das große Loch doch noch erspart bleibt, stehen jedenfalls gut - trotz Rot-Grün.


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