Für seine
nachdenkliche Rede gegen den Kosovo-Krieg erntete Oskar
Lafontaine am 1. Mai stürmischen Beifall. Sein einstiger
Rivale, Verteidigungsminister Scharping, wurde
ausgepfiffen.
Die Redner auf den traditionellen
Kundgebungen zum "Tag der Arbeit" hatten keinen
leichten Stand. Gellende Pfeifkonzerte gegen
DGB-Spitzenfunktionäre, "Mörder"-Rufe für
Mitglieder der Bundesregierung - den ersten 1. Mai unter
Rot-Grün hatte sich der Deutsche Gewerkschaftsbund
anders vorgestellt. Nur einer erntet keine Buhrufe bei
seinem Auftritt: Oskar Lafontaine.
Daß der saarländische
DGB ausgerechnet den prominentesten Frührentner der
Republik als Hauptredner eingeladen hatte, hatte schon
vorher für Aufregung gesorgt. Es werfe "ein
seltsames Licht auf die Praxis des Deutschen
Gewerkschaftsbundes, wenn sich auf der einen Seite
Einzelgewerkschaften darum bemühen, den
Bundesverteidigungsminister Scharping auf der 1.
Mai-Veranstaltung in Ludwigshafen wieder auszuladen, und
dann der DGB auf der anderen Seite Oskar Lafontaine reden
läßt, von dem man leider befürchten muß, daß er eine
Rede gegen die amtierende Bundesregierung hält",
polterte der nordrhein-westfälische
SPD-Landtagsabgeordnete Friedhelm Farthmann.
Es sei zu befürchten,
daß Oskar Lafontaine "ein Faß aufmachen"
wolle, warnte auch der Chef des rechten "Seeheimer
Kreises" in der SPD, Gerd Andres. "Wer im
nachhinein gegenüber der Regierung nicht illoyal sein
will, der hält am besten den Mund", empfahl Andres
seinem ehemaligen Parteichef. Und der Vorsitzende der
SPD-Bundestagsfraktion, Peter Struck, mahnte: "Auch
für einen ehemaligen SPD-Vorsitzenden gilt: Wenn er
anderer Meinung ist, dann sollte er zum Telefonhörer
greifen, anstatt sich vor ein Mikrofon zu stellen."
Bis zuletzt hatte der
SPD-Parteivorstand offenbar noch auf ein Wunder gehofft.
Geradezu trotzig verschickte die kommissarische
Sprecherin Marlies Stieglitz am vergangenen Mittwoch eine
Liste, an welchen Orten und zu welcher Zeit
SPD-Präsidiumsmitglieder auf den
Gewerkschaftskundgebungen zum 1. Mai sprechen würden.
Darauf stand: "Reinhard Klimmt. 11 Uhr.
DGB-Kundgebung in Saarbrücken; Deutsch-Französischer
Garten." Doch es nutzte alles nichts. Am Samstag
betrat nicht Klimmt, sondern sein Vorgänger im
Ministerpräsidentenamt die Bühne: Oskar ist wieder da.
Ohne Krawatte, im
Straßenanzug und offenen blauen Hemd stellt er sich den
12 000 Menschen, die nach Saarbrücken gekommen sind, und
den unzähligen Fernsehkameras. Er spricht ruhig und
bedächtig. "Differenziert" möchte er sich mit
Jugoslawien beschäftigen, "weil niemand von uns
einfache, fertige Antworten haben kann". Doch der
56jährige läßt keine Zweifel, was für ihn im
Vordergrund aller Überlegungen steht: "Wie kann das
Leid der Menschen möglichst schnell gelindert werden,
wie kann dort möglichst schnell Frieden hergestellt
werden?"
Lafontaine distanziert
sich zu Beginn seiner Rede von einem Plakat mit der
Forderung "Schröder muß weg", das den
Bundeskanzler mit Hitlerscheitel und -bärtchen zeigt:
"Dieser Stil der Auseinandersetzung führt nicht
weiter." Denn der einstige starke Mann der SPD will
argumentieren, aufklären - und er will, daß dieser
Krieg endlich aufhört.
Es geht ihm um die
Menschen in Jugoslawien: "Natürlich denken wir alle
an die Menschen im Kosovo, die Vertreibung erleiden, die
getötet wurden. Aber wir denken auch an die Menschen in
Serbien, die sich ängstigen, die darunter leiden, daß
bombardiert wird. Wir denken an die Menschen in Serbien,
die Opfer der Bombardements geworden sind. Und: Ich denke
auch an die Deserteure der Armeen, die verfolgt werden,
die ebenfalls leiden dafür, daß sie sich nicht am Krieg
beteiligen wollen."
Lafontaines Rede ist eine
Ohrfeige: für die Nato, für die amtierende
Bundesregierung wie auch für deren Vorgängerin. Er
höre so oft, daß die Deutschen keinen Sonderweg
beschreiten sollten, sagt Lafontaine. Aber er müsse dann
daran erinnern, "daß sie zu Beginn einen Sonderweg
beschritten haben, als sie gegen die Widerstände in
Paris, in London und in Washington die Anerkennung der
Teilstaaten durchgesetzt haben, weil man die Begriffe von
Freiheit und Selbstbestimmung falsch verstanden
hat". Denn Freiheit und Selbstbestimmung seien
überhaupt nur vorstellbar, wenn sie mit Solidarität und
Mitmenschlichkeit verbunden seien. "Deshalb war es
falsch, dieser Kleinstaaterei, die auf völkischen
Differenzen beruhte, auch noch Anerkennung zu
geben." Ein Fehler sei es auch gewesen, "daß
durch das Bombardement der Nato vor einigen Jahren in der
Krajina es ermöglicht worden ist, daß die Kroaten die
Serben vertrieben haben".
Zwar bestehe überhaupt
kein Zweifel, daß Milosevic eine verbrecherische Politik
verfolge, die verurteilt werden müsse. Aber:
"Dennoch sind wir verpflichtet, kritisch zu
überlegen, ob die bisherigen Entscheidungen richtig
waren." Lafontaines Antwort ist eindeutig. Zwei
schwere Fehler seien gemacht worden, die langfristig
wirken werden. Der eine: Das Beiseiteschieben der Uno.
Wer internationalen Frieden wolle, müsse das
internationale Recht stärken. "Und das
internationale Recht kann nur durch die Vereinten
Nationen konstituiert werden, nicht durch andere, die
sich selbst mandatieren." Der andere Fehler: Die
augenblickliche Schwäche Rußlands auszunutzen und
Rußland nicht mit einzubeziehen. In Europa und in der
Welt könne kein Frieden ohne Rußland erreicht werden.
"Wir haben eine Verpflichtung zum fairen Umgang mit
Rußland, Rußland einzubeziehen."
Sind alle Wege genutzt
worden, um eine friedliche Lösung zu erreichen?
Lafontaine bezweifelt das. Wenn er nun Vorschläge höre,
jetzt solle ein Öl-Embargo gegen Jugoslawien
verwirklicht werden, könne er "manchmal bitter
werden". Dann denke er: "Ein Ölembargo geht
nicht, weil man mit Öllieferungen Geld verdienen kann,
ein Waffenembargo geht nicht, weil an Waffenlieferungen
Geld verdient werden kann. Was scheinbar in einer Welt,
in der Geldverdienen so sehr das Handeln bestimmt, geht,
sind Waffenlieferungen, Öllieferungen und
Kriegsführung, weil an allem Geld verdient werden kann.
Das ist die bittere Wahrheit."
Er hoffe, daß die
europäischen Regierungen und die Clinton-Administration
erkennen werden, "daß sie sich in eine Sackgasse
verrannt haben und daß es notwendig ist, an den
Verhandlungstisch zurückzukehren", ruft Lafontaine
seinen Zuhörern zu. Die militärische Vorgehensweise der
Nato wäre überhaupt nur begründbar gewesen, wenn man
darauf gesetzt hätte, "daß nach militärischen
Angriffen es wie vor einigen Jahren zu einer Unterschrift
von Milosevic kommen würde, und daß diese Unterschrift
dann die Kriegshandlungen beenden würde". Wenn man
damit aber nicht rechnen konnte, wenn vielmehr "wie
dann nachher" im Vordergrund der Diskussionen stand,
der Schutz der Bevölkerung im Kosovo das wichtigste Ziel
der militärischen Einsätze war, dann ist die
militärische Einsatzplanung für mich derzeit unter
keinem Gesichtspunkt nachvollziehbar". Er höre
jetzt oft den Satz: "Die Nato müsse ihr Gesicht
wahren, sie könne jetzt nicht anders, sie müsse jetzt
siegen." Doch wessen Sieg wäre dieser Sieg
eigentlich? fragt der Privatier. "Es geht nicht um
Sieg und um Gesichtswahrung. Es geht darum, Menschenleben
zu retten und das Elend zu beenden in Jugoslawien."
Das bedeutet für Oskar
Lafontaine: "Und deshalb fordere ich hier vom
Französischen Garten aus die Verantwortlichen auf,
darauf hinzuwirken, daß diese Bombardierung eingestellt
wird und daß man unter Einbeziehung der Vereinten
Nationen, unter Einbeziehung Rußlands, auch unter
Konsultation Chinas am Verhandlungstisch einen Weg
findet, um Mord und Vertreibung in Jugoslawien zu
stoppen." Frenetischer Applaus brandet dem
ehemaligen SPD-Chef entgegen.
Während Lafontaine in
Saarbrücken seine Friedensbotschaft verkündet,
protestieren in Ludwigshafen mehrere Hundert Kriegsgegner
lautstark gegen den Hauptredner der dortigen
DGB-Veranstaltung. Als einige Demonstranten von der
Polizei abgeführt werden, führt das zu lautstarkem
Protest. Den restlichen trotzt Rudolf Scharping
entschlossen: "Ihr dürft nicht glauben, daß ihr
mich mit Geschrei oder Trillerpfeifen aus dem Konzept
bringt." Und sein Konzept heißt weiterhin und
unerschütterlich: Krieg.
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