Der neue
Bundeswirtschaftsminister kommt aus dem Pott und hat ein
Herz für Kumpel und Konzerne.
Ein Sohn des Ruhrgebiets an
Schröders Seite - und das ohne SPD-Parteibuch. Der neue
Bundeswirtschaftsminister Werner Müller konnte sich die
Ochsentour durch Ortsvereine und Unterbezirke sparen.
Denn er hat einen Stallgeruch, gegen den kein
aufstrebender Jungsozialist anstinken kann: Müller kommt
aus der "Wirtschaft", jener mythischen Welt, in
der die Hoffnungsträger des kleinen Mannes, des
Bundeskanzlers und der NRW-SPD zu Hause sind. Anders als
Wahlkampf-Minister Jost Stollmann ist Müller kein
Repräsentant moderner Branchen, sondern, wie der Stern
zu Recht feststellte, "ein Vertreter der alten
Industrien" - für die Kumpel im Bergbau Anlaß zu
falscher Zuversicht.
Mit Stollmann verbindet
den gebürtigen Essener allerdings ein im Ruhrgebiet
untypischer Hang zur Gängelung der Gewerkschaften, wie
er in den vergangenen Wochen demonstrierte. Müller
mahnte die Arbeitnehmervertreter zu "maßvollen
Lohnabschlüssen". Vorgänger Günter Rexrodt hätte
es nicht besser machen können. Die Süddeutsche Zeitung
bescheinigt dem neuen Bundeswirtschaftsminister denn
auch, er verleihe dem Amt ein Gewicht, "das es
angeblich nicht mehr haben kann". Der Staat habe
bereits mit der Kindergelderhöhung und der Senkung der
Einkommenssteuer "ein Stück mehr in die Lohntüte
getan", verkündete Müller in der Frankfurter
Allgemeinen Sonntagszeitung kurz vor Jahresende und
erklärte: "Die Lohntüte wird nicht in erster Linie
durch mehr Geld dicker, sondern durch weniger Steuern und
Abgaben." Deshalb sei nun Lohnzurückhaltung
angesagt. "Wenn man mühsamst genug die Lohnkosten
um 0,8 Prozent senkt und parallel dazu von den
Gewerkschaften sechs Prozent direkt gefordert werden,
dann gibt es irgendwo einen Kurzschluß", dozierte
Schröders Duz-Freund. Ganz so, als wäre er immer noch
in seinem Interimsjob als selbständiger Industrieberater
tätig.
So haben sich die
deutschen Gewerkschaften das Ende der Kohl-Ära nicht
vorgestellt. Was haben sie nicht alles getan, um endlich
eine Bundesregierung nach ihrer Fasson zu bekommen. Acht
Millionen ließen sie sich die Wahlkampfhilfe für die
SPD kosten. Sogar das Geschwätz von Schröders
"Neue Mitte"-Wahlkampfgag Jost Stollmann hatten
sie ertragen, nur um das große Ziel nicht zu gefährden.
Und nun? Nun gibt es die so ersehnte neue Bundesregierung
und einen neuen Bundeswirtschaftsminister - doch der
redet ganz wie der alte. Ungerechte Welt.
"Es wäre sicherlich
hilfreich, wenn der Bundeskanzler seinem
Wirtschaftsminister deutlich machen würde, daß auch in
diesem Felde der Politik der Kanzler die Richtlinien
bestimmt", erklärte der Vorsitzende der Deutschen
Angestellten-Gewerkschaft (DAG) Roland Issen deutlich
hilflos. Müller solle doch bitte schön die Tarifpolitik
denen überlassen, "die am Ende auch den Kopf dafür
hinhalten müssen", forderte Issen. Auch die Chefin
der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV),
Margret Mönig-Raane, zeigte sich brüskiert: "Es
wäre klüger gewesen, er hätte sich nicht
eingemischt." Die Gewerkschaften bräuchten keine
Nachhilfe in Volkswirtschaft und in
gesamtwirtschaftlicher Verantwortung, so Mönig-Raane.
Der DGB-Vorsitzende Dieter Schulte sprach kurz und knapp
von einem "Kurzschluß" des
Wirtschaftsministers. IG Metall-Chef Klaus Zwickel wurde
deutlicher und drohte mit dem Scheitern von Schröders
Lieblingsprojekt, dem sagenumwobenen "Bündnis für
Arbeit". Bisher habe die Bundesregierung im Bündnis
für Arbeit nicht in die Tarifpolitik hineingeredet, und
er hoffe, so Zwickel, "daß das auch so
bleibt". Denn: "Wer Tarifpolitik ins Bündnis
tragen will, zerstört dieses Bündnis. Ich jedenfalls
würde dann aufstehen und gehen."
Die Gewerkschaften haben
von dem neuen Bundeswirtschaftsminister anderes erwartet.
Im Vergleich zum ebenfalls parteilosen Jost Stollmann und
dessen Auslassungen á la Yuppie-Stammtisch erschien
ihnen der bedächtig erscheinende Müller vordergründig
als eine begrüßenswerte Alternative - zu Unrecht. Er
wolle sich für eine "Renaissance der sozialen
Marktwirtschaft" einsetzen, erklärte Müller nach
seiner Nominierung. Das bedeute: Es gehe ihm darum, die
Grundgedanken Ludwig Erhards zu bewahren. Eine
populistische Floskel, die suggeriert, man wolle
Wohlstand für alle und meint, daß in den 70er Jahren
errungene und später verteidigte sozialstaatliche und
tarifrechtliche Standards wenn nicht abgewickelt, dann
jedenfalls keineswegs fortgeschrieben gehören. Dieser
Logik folgend gibt Müller Appelle zum Maßhalten aus -
wie es sich für einen Wirtschaftsmanager gehört.
Anders als die
Arbeitnehmer(vertreter) haben das Revier und die hier
operierenden Stromkonzerne einen festen Platz in Müllers
Herz. Der heutige Wirtschaftsminister wurde 1946 in Essen
geboren, studierte zeitweise in Duisburg und legte im
Pott den Grundstein für seine Karriere, die den
Zigarilloraucher in die Führungsetagen großer
Stromkonzerne führte. Zunächst schlägt er die Laufbahn
als Hochschullehrer ein. Nach dem Abitur 1965 in Meppen
zieht es ihn an die Alma Mater. Er studiert
Volkswirtschaft in Mannheim, dann Philosophie und
Linguistik in Duisburg und Bremen. Für einige Semester
belegt er daneben Musikwissenschaften. Nach seiner
Diplomierung zum Volkswirt 1970 arbeitet der Absolvent
als Fachhochschullehrer für Wirtschaftsmathematik und
Statistik in Ludwigshafen. Daneben lehrt der junge
Müller auch noch Sprachwissenschaften in Mannheim und
Regensburg.
Doch 1973 sattelt der
Akademiker um: Müller bewirbt sich auf eine
Stellenanzeige der Rheinisch-Westfälischen
Elektrizitätswerke AG. Er bekommt den Job und wird bei
dem Essener Energiekonzern Referatsleiter für
Marktforschung. Eine Tätigkeit, die ihn offenbar nicht
auslastet: 1978 promoviert Müller in Bremen mit dem
Thema "Zur Analyse numerischer Eigenschaften
nichtnumerischer Massenphänomene wie zum Beispiel
Sprache" zum Doktor der Sprachwissenschaften.
Bis 1980 bleibt Müller
bei RWE, dann wechselt er nach Düsseldorf zur Veba.
Zunächst tätig im Vorstandsstab von Rudolf von
Bennigsen-Foerder, steigt er dort zum
Generalbevollmächtigten auf. Er gilt als Ziehkind des
Veba-Chefs. Doch als von Bennigsen-Foerder Anfang der
neunziger Jahre überraschend stirbt, sinkt Müllers
Stern. Er wird 1992 auf einen Vorstandsposten der
Konzern-Tochter Veba Kraftwerke Ruhr AG (VKR)
abgeschoben. Als die VKR zusammen mit den anderen
Kraftwerksunternehmen des Konzerns in einer neuen
Kraftwerksgesellschaft der Veba-Tochter Preussen Elektra
aufgeht, ist für Müller im verkleinerten VKR-Vorstand
kein Platz mehr. Versorgt mit einer siebenstelligen
Abfindung, steigt er zum 31.Oktober 1997 aus dem Konzern
aus und wird selbständiger Industrieberater. Nach der
Bundestagswahl holt die SPD ihn an den Tisch zu den
Koalitionsverhandlungen mit Bündnis 90/Die Grünen und
sichert mit dem Abgehalfterten einem Lobbyisten der
Stromwirtschaft Einfluß auf die künftige
Regierungspolitik. "Wir haben in den
Koalitionsverhandlungen mit den Grünen ausdrücklich auf
die Interessenlage der Industrie geachtet",
berichtet der Manager a. D.. Zwei Wochen vor Stollmanns
offiziellem Abgang als designierter Wirtschaftsminister
fragt Schröder bei Müller an, ob er für den
Software-Verkäufer einspringen würde. Er würde,
erklärt der einstige Manager.
Die Wege Müllers und
Gerhard Schröders kreuzten sich zum ersten Mal 1990.
Nachdem in Hannover die rot-grüne Koalition die
Regierungsgeschäfte übernommen hatte, richtete der
Veba-Konzern einen Krisenstab ein. Das Unternehmen wollte
seine Interessen auf dem niedersächsischen Strommarkt
gesichert sehen, denn es fürchtete nach dem
Regierungswechsel eine Wende in der
stromproduzentenfreundlichen Energiepolitik des Landes.
"Wie kann Schröder Erfolg haben, ohne daß wir
abgemeiert werden?", fragte sich Müller. Die
Lösung: Dem Ministerpräsidenten wurde die Gründung
einer gemeinsam von Veba und anderen Stromkonzernen und
dem Land getragenen Energieagentur vorgeschlagen, um
Konzepte für einen "Energiemix der Zukunft" zu
erarbeiten. Ein verlockendes Angebot für den in
Energiefragen unbeleckten Schröder - schließlich
präsentierte das Energieunternehmen ihm die Agentur
schlüsselfertig und inklusive Mitarbeitern. Die zweite
Investition in die Zukunft erfolgte 1991: Für ein
symbolisches Honorar von einer Mark pro Monat wurde
Müller als Berater Schröders bei den
Energiekonsens-Gesprächen verpflichtet. Schröders
Energiepolitik werde wohl nun in der Vorstandsetage der
Veba entwickelt, kommentierte Jürgen Trittin, heute
Müllers Gegenpart im Kabinett und seinerzeit Minister
für Bundes- und Europaangelegenheiten in Niedersachsen.
Bevor er bei Schröder
landen konnte, hatte sich Müller bereits einem anderen
großen deutschem Politiker angedient: Jürgen W.
Möllemann. Ausgerechnet der sozialdemokratische
Abgeordnete Reinhard Ueberhorst fühlte bei dem damaligen
Bundeswirtschaftsminister vor, ob dieser den Veba-Mann
auf "One-Dollar-Basis" als Staatssekretär
nehmen würde. Der Deal kam nicht zustande. Ueberhorst
bedauert es rückblickend nicht: "Ich hielt ihn
dafür nicht für qualifiziert." Denn: "Er war
100 Prozent Energiewirtschaft".
Müller als Berater
Schröders für die Energiekonsens-Gespräche zu
plazieren, war ein geschickter Schachzug der Veba. Denn
im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen hat der Mann mit
den grauen Stoppelhaaren keine ideologische, sondern eine
pragmatische Haltung zur Kernenergie. So galt Müller als
einer der Totengräber der atomaren
Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf. Denn der
leidenschaftliche Klavierspieler kann rechnen: Mit der
Anlage im französischen La Hague gab es zur
Wiederaufarbeitung des radioaktiven Mülls in Bayern eine
Alternative, die um ein Drittel kostengünstiger war.
Müller ist alles andere als ein Atomkraftgegner. Er
sieht "gute Gründe, weiterhin auf die Kernkraft zu
setzen". Aber er weiß, daß diese Form der
Energiegewinnung - zumindest momentan - in der
Bundesrepublik auf große gesellschaftliche Widerstände
stößt und damit - zunächst - keine Perspektive hat.
Entsprechend verstand er seine Aufgabe als Berater an
Schröders Seite und erfüllt sie nun als Minister in
seinem Kabinett. Seine Mission ist, die Interessen der
Stromkonzerne beim Abschied von der Kernenergie zu
wahren. Wenn schon Ausstieg, dann so langfristig wie
möglich und vor allem: zu den besten Konditionen für
die Stromindustrie. Machbar ist, was die Konzerne nicht
nur nichts kostet, sondern was ihnen Geld bringt.
In den ersten Wochen nach
Amtsantritt hat Müller einen kleinen Vorgeschmack darauf
gegeben, was von ihm zu erwarten ist, und wofür die SPD
ihn eingespannt hat. Müller wird mit Schröders Hilfe
zum Gegenspieler von Umweltminister Trittin aufgebaut,
dabei gleichzeitig zum Buhmann für Grüne und
portioniert - in anderen Politikfeldern - Gewerkschaften
und Arbeitnehmer. Die sektoral begrenzte Drecksarbeit
einen Nicht-Genossen machen zu lassen, ist immerhin
taktisch klug. Von den Genossen nicht nur an Rhein und
Ruhr ist man anderes gewohnt.
Schließlich holzt der
Wirtschaftsminister nicht nur gegen die gewerkschaftliche
Tarifpolitik. Beim Thema Atomenergie kann er sich
allerdings der Zustimmung der Gewerkschaften sicher sein,
die sich, so ein RWE-Betriebsrat, vor dem "eiskalten
Manager" Trittin fürchten. Auch die Kumpels im
Ruhrgebiet weiß der 56jährige geschickt auf seine Seite
zu ziehen. "Ich habe aus innerer Überzeugung das
Herz beim deutschen Bergbau", erklärte Müller der
WAZ. Er sei der Überzeugung, daß die Steinkohle eine
große Zukunft habe. Es müsse und werde einen
überlebensfähigen deutschen Bergbau geben, die
Ruhrkohle AG habe alle Chancen, der große deutsche
Kohlelieferant zu werden. "Und so, wie ich das sehe,
nimmt sie diese Chance auch wahr", weiß der
Energiemanager im Ruhestand. Er wird sicher der letzte
sein, der dem Unternehmen dabei im Wege steht: "Ich
halte viel davon, daß die Ruhrkohle AG die
Bedarfsdeckung der Stromwirtschaft regeln könnte, wie
sie es will, also auch mit einer preislich tragfähigen
Mischfinanzierung von Import- und heimischer Kohle."
Dabei weiß auch er: Die Kohleförderung im Ruhrgebiet
ist international nicht konkurrenzfähig. Ohne
Subventionen ist sie tot - die gesellschaftliche
Akzeptanz für die Förderung geht außerhalb des
Ruhrgebiets gegen Null. Werden die Vorstellungen Müllers
und der Ruhrkohle AG zur Zukunft der Steinkohle real,
wird der Bergbau im Revier endgültig am Ende sein. Für
weltweit operierende Energieunternehmen wie die Ruhrkohle
AG ist das nicht schlimm. Sie kann sich den Rohstoff
getrost woanders besorgen und daheim der Folklore wegen
ein paar Zechen und Kumpel halten. Zu maßvollen
Lohntarifen, wie der Bundeswirtschaftminister sie
fordert. "Diese Bitte muß ich machen, da die
Senkung der Arbeitslosigkeit das wichtigste Ziel meiner
Wirtschaftpolitik ist", vertraute er letzte Woche
der wichtigsten Postille der Arbeiterbewegung zwischen
Kühlschrank und Fernseher an, der Bild-Zeitung.
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