07.07.1999



Ein Sprung in der Hürde

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*   Ein Sprung in der Hürde
Von Pascal Beucker

In Nordrhein-Westfalen naht das Ende der Drei-Parteien-Herrschaft: Demnächst könnte das Landesverfassungsgericht die Fünf-Prozent-Klausel bei Kommunalwahlen abschaffen.

Eine goldene Brücke hatten die Richter am Landesverfassungsgericht in Münster bauen wollen. Bis zum 14. September, so boten sie dem Prozeßvertreter des Landtags, Raimund Wimmer, an, könnte das Gericht ihm Zeit geben, um noch weitere Argumente für die Beibehaltung der Fünf-Prozent-Klausel bei den nordrhein-westfälischen Kommunalwahlen vorzutragen. Ein großzügiges Angebot - denn am 12. September sollen in NRW die nächsten Gemeindewahlen stattfinden. Hätte Wimmer das Angebot angenommen, dann wären im Falle einer Entscheidung gegen die Sperrklausel fünf Jahre Zeit gewesen, die entsprechenden Gesetze zu ändern. Und SPD, CDU und Grüne wären in den meisten Städten des Landes auch noch in der nächsten Legislaturperiode unter sich geblieben.

Doch Wimmer schlug das Angebot großkotzig aus. Er wolle keine "heiße Luft" blasen, der Landtag habe seine Argumente "lückenlos" vorgetragen, erklärte der Professor und Fachanwalt für Verwaltungsrecht Mitte Juni den verdutzten Richtern. Jetzt hat der Landtag ein Problem. Denn die Münsteraner Richter reagierten umgehend: Wenn es nichts mehr vorzutragen gebe, könnten sie auch noch vor den Kommunalwahlen zu einem Urteil kommen. Nach Aktenlage. Und die sieht nicht gut aus für die Verfechter der Fünf-Prozent-Regelung. Für den 6. Juli setzten die Richter die Urteilsverkündung an.

Geklagt hatte die rechtsradikale Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP). Die Politsekte hatte bereits 1994 versucht, die Sperrklausel für die Kommunalwahlen zu kippen, scheiterte damals jedoch noch vor dem Gericht in Münster. Aber sie errang einen Teilerfolg. Die Verfassungsrichter forderten den Landtag auf, zu überprüfen, ob die Fünf-Prozent-Sperrklausel im Kommunalwahlgesetz unverändert aufrechterhalten werden darf. Das Landesinnenministerium führte daraufhin eine "Erhebung der Erfahrungen von Ländern ohne Sperrklausel im Kommunalwahlrecht" durch und kam zu der Einschätzung, die Prüfung habe "keine überzeugenden Gründe für oder gegen die Sperrklausel in NRW gebracht".

Damit war für die Sozialdemokraten, die durch eine mögliche Aufhebung der Prozenthürde ihre absoluten Mehrheiten im Ruhrgebiet gefährdet sehen und deswegen vehement gegen eine Veränderung des Status Quo sind, die Sache erledigt. Im April 1998 erklärte der SPD-Politiker Walter Grevener im Kommunalausschuß des Landtages: "Eine Absenkung der bestehenden Fünf-Prozent-Sperrklausel ist nicht geboten." Schließlich habe sich das bestehende Wahlsystem in den letzten 50 Jahren bewährt. Eine notwendige Reform des Kommunalwahlrechts sei "an Bedenken und am Beharrungsvermögen unseres Koalitionspartners gescheitert", konstatierte der Grünen-Abgeordnete Ewald Groth. Der CDU-Parlamentarier Franz-Josef Britz orakelte in der Ausschußsitzung: "Der Landesgesetzgeber läuft Gefahr, daß kurz vor der nächsten Kommunalwahl das Verfassungsgericht des Landes diese Sperrklausel aufheben wird." Die CDU hatte sich ebenso wie die Grünen für die Ersetzung der Hürde durch ein System des Kumulierens und Panaschierens eingesetzt, wie es beispielsweise in Baden-Württemberg schon lange praktiziert wird.

Die ÖDP, die in Nordrhein-Westfalen auch ohne Sperrklausel Probleme haben dürfte, in irgendein Kommunalparlament einzuziehen, ließ trotzdem nicht locker. Am 5. November letzten Jahres strengte sie ein Organstreitverfahren gegen den nordrhein-westfälischen Landtag zur Abschaffung der Fünf-Prozent-Hürde im Kommunalwahlrecht an. Wenn die Gründe weder für noch gegen die Klausel sprächen, so ÖDP-Landesgeschäftsführer Volker Bochnia, "dann darf der Gesetzgeber das Verfassungsgut der Gleichwertigkeit der Stimmen nicht einschränken". So sieht das auch die PDS. Sie hat sich der Klage angeschlossen.

Auch das Landesverfassungsgericht tendiert wohl zu dieser Meinung. Schon in der mündlichen Anhörung Mitte Juni ließ Gerichtspräsident Michael Bertrams durchblicken, für den Fortbestand der Sperrklausel sehe es "nicht günstig aus". Das vom Landtag vorgebrachte Hauptargument gegen eine Abschaffung der Sperrklausel erscheint in der Tat recht armselig: Die Funktionsfähigkeit der Kommunalparlamente wäre gefährdet, wenn dort eine Zersplitterung in unzählige Parteien und Wählergruppen stattfinden würde.

Die rot-grüne Landtagsmehrheit hätte gewarnt sein können. Schon zweimal haben ihr die Münsteraner Verfassungsrichter in diesem Jahr peinliche Niederlagen bereitet. Im Februar brüskierte der Verfassungsgerichtshof Ministerpräsident Wolfgang Clement, indem er die von ihm verfügte Zusammenlegung des Innenministeriums mit dem Justizministerium für unzulässig erklärte; am 15. Juni gaben die Richter einer Klage der CDU-Fraktion statt, die störte, daß die rot-grüne Koalition konservative Entschließungsanträge mit Änderungsanträgen so umschrieb, daß die CDU schließlich selbst dagegenstimmen mußte. Beide Male sparte Clement nicht mit landesväterlicher Schelte für die Verfassungsrichter. Denen bietet der Prozeß um die Fünf-Prozent-Hürde eine hervorragende Möglichkeit zur Revanche.

Wimmer, der an der Humboldt-Universität zu Berlin Öffentliches Recht unterrichtet und nebenbei noch als Honorarprofessor an der Universität Osnabrück im Fach Erziehungswissenschaft tätig ist, wurde schleunigst von Parlamentspräsident Ulrich Schmidt (SPD) gefeuert. Gleich heuerte man den renommierten konservativen Juristen Konrad Redeker an, der die Interessen des Landtags besser vertreten sollte als sein Vorgänger. Zu spät. Die schriftliche Bitte, den Verkündungstermin wieder aufzuheben und dem Landtag noch die Gelegenheit zu weiteren Darstellungen zu geben, lehnte das Verfassungsgericht ab. Der nachgereichte Schriftsatz des Landtags zeige "keine neuen entscheidungserheblichen Umstände auf", erklärten die Richter vergangene Woche.

Auf einen Krisenplan für das bevorstehende Prozeßfiasko einigten sich die drei im Landtag vertretenen Parteien bereits Ende letzter Woche: Am 7. Juli trifft sich der Ältestenrat zur Beratung über das Urteil und die daraus resultierenden weiteren notwendigen Schritte. Am 12. Juli soll der Landtag aus seiner Sommerpause zurückgeholt werden, um die erste Lesung der Gesetzesnovelle zur Kommunalwahl durchzuführen. Die zweite Lesung und die Verabschiedung sollen bereits zwei Tage später stattfinden. Eile ist geboten, denn am 26. Juli endet die Anmeldefrist für die Teilnahme an den kommenden Kommunalwahlen.

Und eines ist für alle drei im Landtag vertretenen Parteien klar: Die Wahlen dürfen nicht verschoben werden. Schließlich will man kleineren Parteien, die sich möglicherweise nach dem Fall der Klausel für eine Kandidatur entscheiden, nicht allzu große Vorbereitungsmöglichkeiten geben. Die ordnungsgemäße Durchführung der Wahl am 12. September müsse "höchste Priorität" haben, erklärte der Sprecher der Landtagsgrünen, Roland Appel. "Dies sind wir den Wählerinnen und Wählern und unseren zahlreichen Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfern vor Ort schuldig", sekundierte der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Lothar Hegemann. Denn das haben Grüne und CDU mit den Sozialdemokraten gemeinsam: Am liebsten bleiben sie unter sich.


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