11.08.1999



Brachialer Populismus

Startseite
Jungle World

*   Brachialer Populismus
Von Pascal Beucker

Landtagswahlkampf an der Saar: Sozialdemokraten, die sich gegen ihren Kanzler profilieren müssen, und Grüne, die einen Aufwärtstrend herbeireden.

Aufgegeben hat er noch lange nicht. "Ich setze darauf, daß die Saarländer am 5. September meinen Vertrag verlängern", gibt sich Reinhard Klimmt kämpferisch. Nicht einmal einen Monat Zeit hat der Nachfolger Oskar Lafontaines, um das zu schaffen, was bisher nur der "Saar-Napoleon" selbst erreichte: Als Sozialdemokrat eine Landtagswahl im Saarland zu gewinnen. Dreimal gelang Lafontaine dieses Kunststück, und viele sprachen schon vom "sozialdemokratischen Stammland", die vier schwarzen Jahrzehnte vor 1985 vergessend. Doch am 5. September könnten die überwunden geglaubten Zeiten wieder anbrechen.

Zehn Parteien sind zum Kampf um die Stimmen der 824 000 Wahlberechtigten zugelassen worden. Neben SPD, CDU, FDP, PDS und den Grünen dürfen auch die Familien-Partei, die Ökologisch-Demokratische Partei, die Republikaner, die Christliche Mitte und die Freie Wählergemeinschaft an den Start gehen. Glaubt man letzten Umfragen, werden jedoch nur zwei Parteien im Landtag vertreten sein: SPD und CDU - und die beiden liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

Knapp wird es auf jeden Fall. "Wir liegen wie immer zehn Prozentpunkte über dem Bundesdurchschnitt", bewertet der SPD-Wahlkampfmanager die Umfrageergebnisse. Und fügt resigniert hinzu: "Aber wenn Schröder so weitermacht, reicht das nicht mehr." Nach letzten Auswertungen der Meinungsforscher von infratest dimap komme die SPD nur auf 43 Prozent der Stimmen. Das würde nicht reichen, um weiterhin an der Regierung zu bleiben. Das Hauptproblem der SPD ist, ihre Stammwähler an die Urne zu locken: "Die kriegen wir nicht mit neoliberalen Sprüchen über die Neue Mitte."

Reinhard Klimmt versucht alles, um seine drohende Niederlage abzuwenden. Kein Tag vergeht, an dem er nicht einen Auftritt im Fernsehen absolviert. Das Sommerloch muß er nutzen, um die Saar-SPD wieder vor die CDU zu bringen. Dabei ist der ärgste Kontrahent weniger sein blasser CDU-Herausforderer Peter Müller. Die Bundesregierung muß er angreifen, um nicht unterzugehen. Es ist das alte Erfolgsrezept Lafontaines: Mit scharfen Attacken gegen die Regierung eigenes Profil gewinnen. Allerdings hatte es Klimmts Vorgänger einfacher. Er mußte nicht die eigenen Genossen angreifen. Doch auch gegen Schröder könnte es funktionierten. Es komme im kleinen Saarland immer gut an, so ein SPD-Wahlkampfmanager in Saarbrücken, "wenn einer von uns denen draußen im 'Reich' mal die Meinung sagt".

Klimmts Strategie könnte aufgehen. Gegenüber Duz-Freund Peter Müller hat er seinen Vorsprung in den letzten Wochen deutlich ausgebaut. Sogar bei den saarländischen Rentnern kann Klimmt punkten. Und das trotz der CDU-Unterschriftenkampagne gegen den "SPD-Rentenbetrug". Klimmt hatte mit einer Anzeigenkampagne geantwortet, in der er von der Bundesregierung forderte, an der Nettolohnbezogenheit der Rente festzuhalten.

Die CDU reagiert gereizt auf die Querschläge Klimmts gegen Berlin. Denn durch sie sind landespolitische Themen vollends ins Hintertreffen geraten. Was nützt es schon CDU-Spitzenkandidat Müller, wenn er darauf hinweist, das Saarland habe die höchste Arbeitslosenquote und die höchste Pro-Kopf-Verschuldung aller alten bundesdeutschen Flächenstaaten, wenn sich die Öffentlichkeit nur noch für die Attacken Klimmts auf Schröder interessiert?

Etwas hilflos versuchen die Christdemokraten, ein Mittel gegen die Abgrenzungsstrategie der Saar-SPD von der Bundes-SPD zu finden. "Mit seiner jetzigen Kritik an der Bundesregierung ernennt sich der Brandstifter zum Biedermann", schimpft Müller und weist unablässig darauf hin, daß Klimmt doch allen "Fehlentscheidungen dieser Bundesregierung" zugestimmt habe.

Die FDP hofft mit einer klaren Koalitionsaussage für die CDU auf ihre Rückkehr in den Landtag. Jedoch hat der FDP-Landesvorsitzende und -Spitzenkandidat Werner Klumpp seine politische Zukunft längst hinter sich. Wirtschafts-, Verkehrs- und Landwirtschaftsminister in den seligen Vor-Lafontaine-Zeiten, sehnt das 70jährige Politfossil die glücklichen Tage zurück, als seine Partei noch Mehrheitsbeschafferin der CDU spielen durfte.

Die notwendigen fünf Prozent glaubt Klumpp mit rechter Brachialrhetorik gewinnen zu können. Immer wieder versucht der greise FDP-Chef den SPD-Ministerpräsidenten als eine Art Reinkarnation Erich Honeckers darzustellen. So verkündet Klumpp, Klimmt verbreite "unter der Maske des Biedermanns einmal mehr den sozialistischen linken Neid- und Klassenkampf-Bazillus". Es wird nichts nützen: Bei den letzten Landtagswahlen 1994 scheiterten die Liberalen mit 2,1 Prozent glatt an der Fünf-Prozent-Hürde. Auch bei den Europa- und Kommunalwahlen schnitt sie nicht besser ab. Nach der letzten Umfrage vom Juli wird die FDP wieder nur auf rund zwei Prozent kommen.

Während die Freidemokraten auf Altbewährtes setzt, bieten die Grünen mit dem 33jährigen Christian Molitor und der 30jährigen Eva Dahl zwei Spitzenkandidaten auf, die beide noch im Jungliberalen-Alter sind. Auf eine klare Koalitionsaussage hat die Partei verzichtet. Zwar ist für sie "Rot-Grün ohne Zweifel die erste Option", allerdings sollten grundsätzlich "demokratische Parteien allesamt koalitionsfähig sein".

Möglicherweise werden sich solche Koalitionsfragen gar nicht erst stellen. Denn bislang hangelte sich der kleine Landesverband von einer Krise zur nächsten. Im Mittelpunkt: der Vorsitzende der Landtagsfraktion, Hubert Ulrich. Bis Februar zusätzlich noch Landessprecher, regierte Ulrich autokratisch Partei und Fraktion. So ließ er sich auf Platz eins der Kandidatenliste für die Landtagswahlen wählen - obwohl bei den Grünen ansonsten stets eine Frau die Liste anführt.

Doch die Wahl mußte wiederholt werden. Ulrich stolperte über eine Dienstwagenaffäre. Der Realo, der immer mal wieder mit Schwarz-Grün liebäugelte, hatte sich seit 1995 vier Ford Mondeos über die Fraktion zu Sonderkonditionen besorgt - zur privaten Verwendung. Ulrich mußte Anfang des Jahres seinen Spitzenplatz zurückgeben und verzichtete auf eine erneute Kandidatur. Auch als Landessprecher trat er zurück, den Fraktionsvorsitz indes behielt er. An seine Stelle als Landessprecher und auch als Spitzenkandidat trat Christian Molitor, ebenfalls ein Realo und Angestellter der Landtagsfraktion. Eine seiner ersten Stellungnahmen: Die Unterstützung des Kriegskurses der Bundesregierung. Die 1. Mai-Rede Oskar Lafontaines war Molitor ein "Ausdruck von Verantwortungslosigkeit und zynischem Populismus".

Ob solche Sprüche reichen werden? Auch die saarländischen Grünen kämpfen um ihr Überleben. Schafften sie bei den letzten Landtagswahlen noch mit 5,5 Prozent knapp den Einzug in den Landtag, liegt die Öko-Partei inzwischen nur noch bei 4,5 Prozent. Für Molitor allerdings kein Grund zur Beunruhigung. Schließlich habe seine Partei im Juni noch schlechter in den Umfragen gelegen. Das zeige, "daß wir Bündnisgrüne uns nach wie vor im Aufwärtstrend befinden". Ausgemacht haben will der Grüne nichts weniger als eine "Wechselstimmung im Land, die mit unserem Namen verbunden ist".


© Pascal Beucker. Alle Rechte an Inhalt, Gestaltung, Fotos liegen beim Autor. Direkte und indirekte Kopien, sowie die Verwendung von Text und Bild nur mit ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung des Autors.