13.01.1999



Die Leere aus der Vergangenheit

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*   Die Union und ihre Kampagnen: Die Leere aus der Vergangenheit
Von Pascal Beucker

Mit ihrer Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft kann die Union die Hilflosigkeit nicht kaschieren, die sie nach dem Wahlsieg der SPD erfaßt hat.

Straßentheater statt Parlamentslamento - nur einen Tag vor Willy Millowitschs 90. Geburtstag führte die CDU am vergangenen Donnerstag ein kleines Boulevardstück auf. In einem Lastwagen mit der Aufschrift "Die neue Mitte zieht um" fuhr CDU-Generalsekretärin Angela Merkel vor die SPD-Parteizentrale in Bonn, um in weiße Overalls gekleidete Jung-Unionisten Umzugskisten in den Laster packen zu lassen. Dann ging es zum Konrad-Adenauer-Haus, vor dem ein großes Plakat sie erwartete: "Die neue Mitte kommt wieder nach Hause." Angela Merkel strotzt in diesen Tagen vor Kreativität.

Die hat sie allerdings auch dringend nötig. Denn ein Vierteljahr nach der Niederlage bei den Bundestagswahlen und dem Machtverlust in Bonn hat die CDU immer noch keine passende Antwort auf das von ihr postulierte "rot-grüne Chaos" gefunden. Da müssen schon mal PR-Gags die Konzeptionslosigkeit verschleiern. So unaufgeregt wie Helmut Kohl nach seiner 16jährigen Dienstzeit den Bundeskanzlerstuhl geräumt hat, so wadenbeißerisch und kopflos agiert die neue Oppositionspartei gegen die neue Bundesregierung. Der Gestus ist geifernd, der Inhalt dürftig. "Der Scherbenhaufen, den die rot-grüne Bundesregierung in kürzester Zeit angehäuft hat, ist wirklich eindrucksvoll", verkündete Wolfgang Schäuble Anfang letzter Woche. Beispiel: "Wir haben schon viel Schlimmes befürchtet, aber die Masse an Porzellan, die in kürzester Zeit in der Außen- und Sicherheitspolitik von Rot-Grün zerschlagen wurde, hat jeden Beobachter im In- und Ausland überrascht."

Nur das Wahlvolk zeigt sich bislang wenig geschockt: Da kommt Außenminister Joseph Fischer nur als der bessere Kinkel rüber und gilt inzwischen als der zweitpopulärste Politiker der BRD - hinter Gerhard Schröder. "Das Durcheinander, das diese Regierung in den letzten Wochen zu verantworten hatte, ist in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ohne Vorbild", mosert Schäuble. Doch in den Umfragen liegt Rot-Grün weiter deutlich vorn, denn was Schäuble als "Durcheinander" beschreibt, zeigt ein Dilemma der Opposition: Gesellschaftliche Kontroversen, wie beispielsweise die um den Ausstieg aus der Kernenergie oder die "Ökosteuer", werden innerhalb der Koalition ausgetragen. Die CDU steht außen vor. Selbst die Welt bescheinigte dem neuen CDU-Vorsitzenden, "bislang keine glückliche Hand gehabt" zu haben. "Es mangelt an deutlich artikulierter Alternative zur neuen Regierung", krittelte das Springer-Blatt.

Das soll nun alles anders werden. So hat der CDU-Bundesvorstand auf seiner Klausurtagung am Wochenende kraftvoll beschlossen: "'Aufbruch '99' ist das Motto dieses Jahres." - Eine Botschaft, kurz, knapp und präzis, wie man sie sonst nur aus den selig verblichenen Zeiten von Parteien kannte, bei denen der Vorstand noch Zentralkomitee hieß. Wie diese einst will jetzt auch die Union die Volksmassen mobilisieren. Mit ihrer Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft möchte sie über die Straße die Hegemonie zurückgewinnen, die sie parlamentarisch verloren hat. Eine Kampagne der Hilflosigkeit, die die CDU nur weiter ins Abseits befördern wird: Während sie an den Stammtischen des "gesunden Volksempfindens" und innerhalb der rechtsradikalen Klientel punkten kann, überläßt die selbsternannte "Partei der Mitte" mit solch rassistischen Kapriolen der SPD endgültig die sogenannte gesellschaftliche Mitte - also das Potential, das in der Bundesrepublik für den Ausgang von Wahlen entscheidend ist. Nicht umsonst hat ein Mitte-Seismograph wie Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker die geplante Unterschriftensammlung strikt abgelehnt.

"Warum verteufeln wir noch immer die doppelte Staatsangehörigkeit, anstatt das Thema zu versachlichen?" fragte von Weizsäcker. Deutschland müsse sein Staatsangehörigkeitsrecht aus der Kaiserzeit der neuen Lage in Europa anpassen, erklärte das ehemalige Staatsoberhaupt. Hier liegt ein zweites Problem für die CDU: Daß das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht reformbedürftig ist, ist keine Erfindung von Rot-Grün. Bereits die liberal-konservative Koalition hatte 1994 eine Reform versprochen. Auch CDU-Abgeordnete wie Peter Altmaier, Eckart von Klaeden oder Norbert Röttgen setzen sich seit längerem für eine Modernisierung ein. 150 Mandats- und Funktionsträger unterschrieben gar einen entsprechenden Aufruf, und im Herbst 1996 brachte der saarländische Landesverband einen Antrag für die Reformierung des Staatsbürgerschaftsrechts auf dem CDU-Bundesparteitag ein. Der Antrag wurde an den Bundesvorstand überwiesen - und vergessen. Jetzt die doppelte Staatsbürgerschaft als schlimmen "Irrweg" (Schäuble) zu denunzieren, wirkt wenig überzeugend. Ein schwieriger Spagat: Einerseits versucht die CDU sich als die europäische Partei der Bundesrepublik zu verkaufen. Andererseits tönt aus ihr mit Schäubles Stimme der völkische Stumpfsinn: "Wir schöpfen unsere Identität nicht aus dem Bekenntnis zu einer Idee, sondern aus der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Volk."

Eine Tatsache werde nicht dadurch falsch, daß "irgendwelche Leute, mit denen ich nichts zu tun habe", sie nachbeteten, sagte Schäuble am Sonntag mit Blick auf die von rechtsextremen Parteien angekündigte Unterstützung der Unterschriftenkampagne. Das hätte auch von Edmund Stoiber stammen können. Die CDU betrachte sich vielleicht "zu stark nur als Partei der Mitte und nicht auch als eine Partei der demokratischen Rechten", hatte dieser noch vor kurzem kritisiert.

Acht Jahre werde man auf einen neuen Kanzler der CDU schon warten müssen, prophezeit der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth im aktuellen Spiegel. Auch er lehnt die Unterschriftenkampagne von CDU/CSU ab. Er befürchtet, daß sie gerade im Osten Trittbrett-Fahrer von rechts ermutige. Doch auch Späth weiß keinen überzeugenden Rat, wie seine Partei der rot-grünen Regierung anders beikommen könnte. Denn die Christdemokraten sind in einer fatalen Situation: Schröder hat vor der Wahl versprochen, nicht alles anders, aber alles besser zu machen als die CDU/CSU/FDP-Regierung. Er hat sein Wort gehalten. Die von ihm geführte rot-grüne Regierung steht in erster Linie für die Fortsetzung der bisherigen Politik mit anderen Mitteln - ein kleines bißchen sozialer, vor allem aber: moderner. Wie kann sich unter diesen Voraussetzungen die CDU in der Opposition profilieren?

Beispiel Atomkraft: Die CDU moniert, mit der Orientierung auf den Ausstieg liege Rot-Grün "total daneben". Doch nicht einmal die Atomkonzerne setzen weiter auf die Kernenergie in Deutschland. Nicht umsonst hat Bundeswirtschaftsminister Werner Müller darauf hingewiesen: "Ich habe acht Jahre lang von der Industrie den Satz gehört, in den nächsten zwei, drei Jahrzehnten wollen wir nicht bauen."

Beispiel Ökosteuer: Zu Recht kritisiert die CDU, daß die "Ökosteuer" unsozial ist, "weil sie diejenigen belastet, die sich am wenigsten wehren können: Rentner, Studenten, sozial Schwache und Familien mit Kindern". Doch waren das nicht genau diejenigen, denen auch die alte Regierung ans Leder gegangen ist? Die CDU als Sachwalterin der Interessen der Rentner, Studenten, sozial Schwachen und Familien mit Kindern - eine Lachnummer.

Beispiel "Aufbau Ost": Die CDU wirft der Regierung vor, sie drohe "in reiner Symbolik steckenzubleiben". Konkrete Taten blieben aus. Das ist richtig. Aber die Menschen in der ehemaligen DDR dürften das Nichtstun der Regierung immer noch sympathischer finden als die angekündigten Taten aus München. Wenn der Chef der Münchner Staatskanzlei Erwin Huber mit der Einstellung der bayerischen Finanzhilfe droht und gegenüber der Leipziger Volkszeitung poltert: "Bayern ist nicht bereit, tatenlos mitanzusehen, wie im Osten Deutschlands die SPD mit Hilfe der PDS den Sozialismus wieder einführen will", kann sich die CDU jetzt schon ausrechnen, wieviel Stimmen sie diese Äußerung bei den kommenden Landtagswahlen in der ehemaligen DDR kosten wird.

Beispiel "Innere Sicherheit": Natürlich bringt die CDU immer noch vor, bei Schily handele es sich um einen ehemaligen RAF-Anwalt. Doch wenn es um Law and Order geht, ist ihm nicht beizukommen. Schily konterte denn auch die Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft umgehend mit dem Hinweis, in seinen Gesetzentwurf werde eine "Schutzklausel" gegen "Verfassungsfeinde" eingebaut. Es könne schließlich nicht sein, "daß wir jemanden, der die Verfassungsordnung umstürzen will, auch noch zum Staatsbürger machen". Das hätte Kanther nicht besser ausdrücken können.

Die geplante Unterschriftenkampagne soll die CDU nun aus der Krise führen, sie wird sie indes verschärfen. Das ahnen inzwischen auch viele in der Partei: Die Christdemokraten in einer Einheitsfront mit DVU, REP und NPD - das kann nicht gutgehen. Aber für einen innerparteilichen Aufstand reicht es nicht. Der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf hat der CDU bescheinigt: "Die Partei ist nicht mehr lebendig. Ihr inneres Leben wurde in den letzten Jahren erdrückt." Doch zur Erneuerung fehlt die Kraft. Das Gespenst Helmut Kohls schwebt noch immer über den Köpfen. So auch auf der Klausurtagung des CDU-Bundesvorstandes am Wochenende: Bis auf die üblichen Verdächtigen - Heiner Geißler, Rita Süssmuth und Rita Pawelski - wagte trotz des allgemeinen Unbehagens keiner, gegen die geplante Unterschriftenkampagne zu stimmen. Die "jungen Wilden" um den saarländischen CDU-Chef Peter Müller erwiesen sich einmal mehr als das, wofür sie der CSU-Hardliner Wolfgang Zeitlmann schon immer gehalten hatte, für "junge Schlappis".


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