14.04.1999



Die Verantwortung ist los

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Jungle World

*   Die Verantwortung ist los
Von Pascal Beucker

Schlechte Karten für Kriegsgegner: Mit großer Mehrheit entscheiden sich die Sozialdemokraten auf ihrem Sonderparteitag in Bonn für den Kurs der Nato.

Gerhard Schröder (SPD)"Nato-Bomben: Elend ohne Ende", "Stop the war" und "Bomben beenden und neu verhandeln" steht auf Transparenten, die einige Unentwegte am Montagmorgen vor dem Maritim-Hotel ausgerollt haben. Einer der Protestierenden hat sich eine Papptafel mit der Aufschrift "Parteisoldaten sind Mörder" umgehängt. Doch nur kurze Zeit gelingt es dem kleinen Häuflein, in der unmittelbaren Nähe des Eingangs gegen den Kriegskurs der rot-grünen Bundesregierung zu demonstrieren. Schnell werden sie von den schleunigst herbeigeeilten Polizisten hinter die Absperrungen gedrängt.

"Verantwortung." Ein kurzes und schlichtes Motto hat die Sozialdemokratische Partei Deutschlands für ihren außerordentlichen Parteitag am Montag gewählt. Da können Demonstranten im Blickfeld der Delegierten nur stören. Denn Verantwortung übernehmen, das kann ein guter Sozialdemokrat nur ohne Zweifel. Und schließlich hat der oberste von ihnen seinen Untergebenen eingehämmert: "Soviel Respekt vor der Ernsthaftigkeit mancher Fragen ich auch habe: Von uns, von der Bundesregierung zumal, werden von unserem Volk nicht Fragen erwartet, sondern Antworten."

"Verantwortung." Das ist nicht nur ein Motto, das ist auch eine Ohrfeige. Denn ursprünglich war der Parteitag nur angesetzt worden, weil sich ausgerechnet der Vorsitzende aus der Verantwortung gestohlen hatte. Doch inzwischen bombardiert die Nato unter deutscher Beteiligung seit mehreren Wochen die Bundesrepublik Jugoslawien, und die Inthronisierung Gerhard Schröders zum neuen König der SPD ist zur Nebensache geworden. Selbst Oskar Lafontaines Fahnenflucht spielt nun keine Rolle mehr. Auch wenn Bundesgeschäftsführer Ottmar Schreiner und Neu-Vorsitzender Schröder den ehemaligen starken Mann der Partei pflichtbewußt erwähnen, fällt der Name Lafontaine nur noch in Randbemerkungen. Immerhin konstatiert Schreiner: "Die Fragen, die Oskar aufgeworfen und die politischen Entwürfe, die er beigesteuert hat, bleiben auf der politischen Tagesordnung."

Zu solchen Kapriolen läßt sich Schröder nicht hinreißen. Er erledigt die Übung lieber mit den gleichen Floskeln, die er schon kurz nach dem Rücktritt des Saarländers zum Besten gegeben hatte: "Was auch immer die Motive für Oskars sehr persönliche und überraschende Entscheidung gewesen sein mögen: Für seine Arbeit schulden wir ihm Respekt und Dank." Zu den Sticheleien in der aktuellen Ausgabe des Spiegel, Lafontaine sei auch wegen Differenzen über die deutsche Beteiligung am Jugoslawien-Krieg zurückgetreten, gehen beide selbstverständlich nicht ein.

"Verantwortung." Da will auch die Parteitagsküche nicht Abseits stehen. Damit man auch beim Essen nicht vergißt, wo man sich befindet, sind die Wurstbrötchen in der Presselounge geschmackvoll drapiert: In jedem steckt ein kleiner silberner Degen.

"Verantwortung." Das gilt natürlich auch für die Parteitagsregie. Nichts darf dem Zufall überlassen werden. Alle gesetzten Rednerinnen und Redner sprechen für den Nato-Einsatz im Kosovo. Zuerst gibt der als "Parteilinker" geltende Bundesgeschäftsführer Ottmar Schreiner die Linie vor, in dem er Hans Koschnick zitiert: "Wo immer wir können, wollen wir dazu beitragen, daß Menschen nie wieder gebrochen werden, so wie sie in Auschwitz und anderswo gebrochen worden sind." Das ist für Schreiner "die Leitplanke, an der ich mich festhalte". Seine Konsequenz: "Ich sehe zu dem, was die Bundesregierung bislang getan hat, keine realistische Alternative!"

Und wieder Verantwortung. Nun ist der ehemalige ungarische Ministerpräsident Gyula Horn via Grußwort an der Reihe. "Ich begrüße die Partei, die mich gelehrt hat, daran zu glauben, daß Freiheit und Gleichheit in Einklang gebracht werden können", schmeichelt der einstige Gulaschkommunist den Delegierten. Er weiß, was er zu sagen hat: "Gegenüber den Verheerungen volksvernichtender Diktatoren, dem übernationalen Terrorismus und den internationalen Mafias dürfen wir nicht friedfertig sein." Schließlich sei Ungarn "der Nato beigetreten, um uns, die Menschheit, gemeinsam vor den Gefahren zu beschützen, die ihre Existenz bedrohen. Darum geht es am südlichen Zipfel des Balkans." Mit Bravour erfüllt Horn seinen Auftrag: "Wir unterstützen die militärische Aktion der Nato bei der Bekämpfung der Kosovo-Krise, denn wir dürfen auch dann nicht tatenlos bleiben, wenn die politischen Mittel erschöpft sind."

Dann ist der Moment gekommen, auf den alle hier warten. Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland schreitet zum Mikrofon. Es ist seine Bewerbungsrede für den Parteivorsitz. Doch vorrangig gilt es, die Partei auf Regierungslinie in der Kriegsfrage zu trimmen. Eine Stunde lang spricht Schröder - rund vierzig Minuten dieser Zeit nutzt er, um über den Nato-Einsatz in Jugoslawien zu reden. "Gerade wir Deutschen, die wir in unserer Geschichte Schuld auf uns geladen und Leid erlitten haben mit mörderischen, diktatorischen Regimes, dürfen unsere Augen vor Mord und Vertreibung nicht verschließen", ruft er den Delegierten entgegen. "Die Luftschläge, die wir mitbeschlossen haben und die die Nato durchführt, haben als einziges Ziel, eine friedliche Lösung für den Kosovo zu bringen, damit die Menschen im Kosovo ihre Rechte und Lebensmöglichkeiten wieder erhalten."

Freilich habe es keine Alternative zu dem Nato-Einsatz gegeben. Und daher mache die Bundesregierung auch aus "freier Überzeugung" mit. "Wir haben, von niemandem gedrängt, aus freien Stücken gehandelt. Auf diese Feststellung lege ich Wert, liebe Genossinnen und Genossen." Das Handeln der Bundesregierung habe "Vertrauen bei unseren Bündnispartnern geschaffen". Das sei "ein Wert, den wir nicht geringschätzen sollten." Denn schließlich sei die Nato eine Wertegemeinschaft, die "für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte" stehe.

Nun bemüht Schröder die Geschichte seiner Partei: "Nie haben Sozialdemokraten mit dem Leben von Soldaten und dem anderer Völker gespielt. Auch heute geht es uns ausschließlich darum, nicht erneut Völkermord in Europa zuzulassen." Ist Ebert wieder auferstanden? Eher Kaiser Wilhelm Zwo: "Ich möchte aber von dieser Stelle aus nicht nur den Verantwortlichen für ihre Arbeit danken; nein, ich möchte vor allen Dingen den deutschen Soldaten danken."

Der Übergang stimmt. Nun ist Verteidigungsminister Rudolf Scharping an der Reihe. Als "Vorsitzender der Antragskommission" macht er den wenigen verbliebenen pazifistischen Trotteln der Partei endgültig klar, worum es geht: "Wir reden über die Hunderttausende, die durch den Haß deportiert und ermordet werden." Und dann schildert Scharping einen schrecklichen Augenzeugenbericht nach dem anderen über die Geschehnisse im Kosovo, um zu resümieren: "Vor diesem Hintergrund stelle ich uns allen eine Frage: Haben wir nicht selbst nach fürchterlichen Erfahrungen in den ersten Artikel unserer Verfassung geschrieben: 'Die Würde des Menschen ist unantastbar'? Glauben wir, man könne die daraus erwachsene Verpflichtung auf das Gebiet unseres Staates beschränken? Was sind internationale Solidarität und Brüderlichkeit wert, wenn wir nicht die Kraft finden, wenigstens dort, wo wir können, zu helfen und das Morden zu beenden?" Kann es da noch Zweifel an den Nato-Bomben auf Belgrad geben?

Natürlich nicht. Eigentlich ist die Sache längst entschieden. Aber immerhin sprechen nicht nur einige Jusos und die üblichen Verdächtigen des "Frankfurter Kreises" in der Debatte, die sich an die Scharping-Rede anschließt. Besonders der Beitrag des ehemaligen Hamburger Bürgermeisters Henning Voscherau findet große Aufmerksamkeit. Denn Voscherau, der sich bislang nicht gerade als Parteilinker hervorgetan hat, stellt sich eindeutig auf die Seite der Kriegsgegner. "Ich glaube nicht daran, daß Bombardierung je ein taugliches Mittel gewesen ist und sein wird." Auch deutsche Bodentruppen lehnt er strikt ab, denn ein solcher Einsatz müsse für Deutsche, die "vor zwei Generationen dort Menschenverbrechen begangen und Verwüstungen angerichtet haben, ein für alle Mal und ohne Wenn und Aber ausscheiden". Voscherau warnt: "Tatsächlich ist das, was jetzt geschieht, ein Rückfall in die Jahrhunderte alte Irrlehre vom 'gerechten Krieg'. Und diese Irrlehre hat noch immer Unglück bewirkt."

In der Debatte sind die Befürworter und Gegner des Nato-Einsatzes in etwa gleich verteilt. Sind die Mehrheitsverhältnisse also doch nicht eindeutig? Die Regie will nichts anbrennen lassen: Mitten in die Aussprache plaziert sie eine kosovo-albanische Journalistin - frisch vertrieben. Da bleibt kein Auge trocken. Jetzt ist der Parteitag endgültig gerettet. Wie hätte es anders sein können? "Sozialdemokraten haben immer in ihrer Geschichte die Friedenstaube gemocht, aber sie hatten auch die Faust, wenn's darauf ankommt", weiß der ehemalige SPD-Bundesgeschäftsführer und heutige Verkehrsminister Franz Müntefering zu berichten.

Eben Verantwortung. Auch die "Frankfurter" sind sich ihrer bewußt. Von einem sofortigen Stopp der Bombardements ist in ihrem Initiativantrag, den sie gegen den Leitantrag der Parteiführung gestellt haben, nichts mehr zu lesen. Nun sollen Bundesregierung und Bundestag nur noch aufgefordert werden, "auf die Nato einzuwirken, die Kampfhandlungen unverzüglich mit einer befristeten Feuerpause zu unterbrechen, um einen Waffenstillstand auszuhandeln". Erwartungsgemäß folgt der Schiffbruch schnell: Der Antrag der "Frankfurter" kommt nicht einmal zur Abstimmung, denn rund 80 Prozent der Delegierten entscheiden sich für die Vorgabe der Parteiführung. Der Initiativantrag der Linken ist erledigt.

Auch alle anderen Änderungsanträge scheitern. "Unabhängig von der Entscheidung anderer Nato-Staaten wird die Bundesrepublik Deutschland nicht am Einsatz von Bodentruppen teilnehmen", wollen einige Defätisten beschließen lassen. Keine Chance. Ein Beschluß, der eine deutsche Beteiligung an Bodentruppen gegen Jugoslawien ausschließe, würde die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung einschränken, mahnt Scharping vor der Abstimmung. Und das will man freilich nicht. In dem nun beschlossenen Antrag erwarten die Genossen und Genossinnen nur von der Bundesregierung, "an ihrer ablehnenden Linie hinsichtlich des Kampfeinsatzes von Bodentruppen festzuhalten". Eine butterweiche Formulierung.

Ach übrigens: Der ursprünglich geplante Königskrönungsparteitag fand tatsächlich statt. Und gewählt wurde auch. 75,98 Prozent der Stimmen erhielt Gerhard Schröder. 370 Delegierte stimmten für den Kanzler, 102 Delegierte gegen ihn, 15 enthielten sich. Noch besser schnitt Ottmar Schreiner ab. 80,92 Prozent der Stimmen konnte er für sich verbuchen: 386 Delegierte bestätigten ihn in seinem Amt als Bundesgeschäftsführer.


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