Schlechte Karten
für Kriegsgegner: Mit großer Mehrheit entscheiden sich
die Sozialdemokraten auf ihrem Sonderparteitag in Bonn
für den Kurs der Nato.
"Nato-Bomben: Elend ohne Ende",
"Stop the war" und "Bomben beenden und neu
verhandeln" steht auf Transparenten, die einige
Unentwegte am Montagmorgen vor dem Maritim-Hotel
ausgerollt haben. Einer der Protestierenden hat sich eine
Papptafel mit der Aufschrift "Parteisoldaten sind
Mörder" umgehängt. Doch nur kurze Zeit gelingt es
dem kleinen Häuflein, in der unmittelbaren Nähe des
Eingangs gegen den Kriegskurs der rot-grünen
Bundesregierung zu demonstrieren. Schnell werden sie von
den schleunigst herbeigeeilten Polizisten hinter die
Absperrungen gedrängt.
"Verantwortung."
Ein kurzes und schlichtes Motto hat die
Sozialdemokratische Partei Deutschlands für ihren
außerordentlichen Parteitag am Montag gewählt. Da
können Demonstranten im Blickfeld der Delegierten nur
stören. Denn Verantwortung übernehmen, das kann ein
guter Sozialdemokrat nur ohne Zweifel. Und schließlich
hat der oberste von ihnen seinen Untergebenen
eingehämmert: "Soviel Respekt vor der
Ernsthaftigkeit mancher Fragen ich auch habe: Von uns,
von der Bundesregierung zumal, werden von unserem Volk
nicht Fragen erwartet, sondern Antworten."
"Verantwortung."
Das ist nicht nur ein Motto, das ist auch eine Ohrfeige.
Denn ursprünglich war der Parteitag nur angesetzt
worden, weil sich ausgerechnet der Vorsitzende aus der
Verantwortung gestohlen hatte. Doch inzwischen
bombardiert die Nato unter deutscher Beteiligung seit
mehreren Wochen die Bundesrepublik Jugoslawien, und die
Inthronisierung Gerhard Schröders zum neuen König der
SPD ist zur Nebensache geworden. Selbst Oskar Lafontaines
Fahnenflucht spielt nun keine Rolle mehr. Auch wenn
Bundesgeschäftsführer Ottmar Schreiner und
Neu-Vorsitzender Schröder den ehemaligen starken Mann
der Partei pflichtbewußt erwähnen, fällt der Name
Lafontaine nur noch in Randbemerkungen. Immerhin
konstatiert Schreiner: "Die Fragen, die Oskar
aufgeworfen und die politischen Entwürfe, die er
beigesteuert hat, bleiben auf der politischen
Tagesordnung."
Zu solchen Kapriolen
läßt sich Schröder nicht hinreißen. Er erledigt die
Übung lieber mit den gleichen Floskeln, die er schon
kurz nach dem Rücktritt des Saarländers zum Besten
gegeben hatte: "Was auch immer die Motive für
Oskars sehr persönliche und überraschende Entscheidung
gewesen sein mögen: Für seine Arbeit schulden wir ihm
Respekt und Dank." Zu den Sticheleien in der
aktuellen Ausgabe des Spiegel, Lafontaine sei auch wegen
Differenzen über die deutsche Beteiligung am
Jugoslawien-Krieg zurückgetreten, gehen beide
selbstverständlich nicht ein.
"Verantwortung."
Da will auch die Parteitagsküche nicht Abseits stehen.
Damit man auch beim Essen nicht vergißt, wo man sich
befindet, sind die Wurstbrötchen in der Presselounge
geschmackvoll drapiert: In jedem steckt ein kleiner
silberner Degen.
"Verantwortung."
Das gilt natürlich auch für die Parteitagsregie. Nichts
darf dem Zufall überlassen werden. Alle gesetzten
Rednerinnen und Redner sprechen für den Nato-Einsatz im
Kosovo. Zuerst gibt der als "Parteilinker"
geltende Bundesgeschäftsführer Ottmar Schreiner die
Linie vor, in dem er Hans Koschnick zitiert: "Wo
immer wir können, wollen wir dazu beitragen, daß
Menschen nie wieder gebrochen werden, so wie sie in
Auschwitz und anderswo gebrochen worden sind." Das
ist für Schreiner "die Leitplanke, an der ich mich
festhalte". Seine Konsequenz: "Ich sehe zu dem,
was die Bundesregierung bislang getan hat, keine
realistische Alternative!"
Und wieder Verantwortung.
Nun ist der ehemalige ungarische Ministerpräsident Gyula
Horn via Grußwort an der Reihe. "Ich begrüße die
Partei, die mich gelehrt hat, daran zu glauben, daß
Freiheit und Gleichheit in Einklang gebracht werden
können", schmeichelt der einstige Gulaschkommunist
den Delegierten. Er weiß, was er zu sagen hat:
"Gegenüber den Verheerungen volksvernichtender
Diktatoren, dem übernationalen Terrorismus und den
internationalen Mafias dürfen wir nicht friedfertig
sein." Schließlich sei Ungarn "der Nato
beigetreten, um uns, die Menschheit, gemeinsam vor den
Gefahren zu beschützen, die ihre Existenz bedrohen.
Darum geht es am südlichen Zipfel des Balkans." Mit
Bravour erfüllt Horn seinen Auftrag: "Wir
unterstützen die militärische Aktion der Nato bei der
Bekämpfung der Kosovo-Krise, denn wir dürfen auch dann
nicht tatenlos bleiben, wenn die politischen Mittel
erschöpft sind."
Dann ist der Moment
gekommen, auf den alle hier warten. Der Bundeskanzler der
Bundesrepublik Deutschland schreitet zum Mikrofon. Es ist
seine Bewerbungsrede für den Parteivorsitz. Doch
vorrangig gilt es, die Partei auf Regierungslinie in der
Kriegsfrage zu trimmen. Eine Stunde lang spricht
Schröder - rund vierzig Minuten dieser Zeit nutzt er, um
über den Nato-Einsatz in Jugoslawien zu reden.
"Gerade wir Deutschen, die wir in unserer Geschichte
Schuld auf uns geladen und Leid erlitten haben mit
mörderischen, diktatorischen Regimes, dürfen unsere
Augen vor Mord und Vertreibung nicht verschließen",
ruft er den Delegierten entgegen. "Die Luftschläge,
die wir mitbeschlossen haben und die die Nato
durchführt, haben als einziges Ziel, eine friedliche
Lösung für den Kosovo zu bringen, damit die Menschen im
Kosovo ihre Rechte und Lebensmöglichkeiten wieder
erhalten."
Freilich habe es keine
Alternative zu dem Nato-Einsatz gegeben. Und daher mache
die Bundesregierung auch aus "freier
Überzeugung" mit. "Wir haben, von niemandem
gedrängt, aus freien Stücken gehandelt. Auf diese
Feststellung lege ich Wert, liebe Genossinnen und
Genossen." Das Handeln der Bundesregierung habe
"Vertrauen bei unseren Bündnispartnern
geschaffen". Das sei "ein Wert, den wir nicht
geringschätzen sollten." Denn schließlich sei die
Nato eine Wertegemeinschaft, die "für Freiheit,
Demokratie und Menschenrechte" stehe.
Nun bemüht Schröder die
Geschichte seiner Partei: "Nie haben
Sozialdemokraten mit dem Leben von Soldaten und dem
anderer Völker gespielt. Auch heute geht es uns
ausschließlich darum, nicht erneut Völkermord in Europa
zuzulassen." Ist Ebert wieder auferstanden? Eher
Kaiser Wilhelm Zwo: "Ich möchte aber von dieser
Stelle aus nicht nur den Verantwortlichen für ihre
Arbeit danken; nein, ich möchte vor allen Dingen den
deutschen Soldaten danken."
Der Übergang stimmt. Nun
ist Verteidigungsminister Rudolf Scharping an der Reihe.
Als "Vorsitzender der Antragskommission" macht
er den wenigen verbliebenen pazifistischen Trotteln der
Partei endgültig klar, worum es geht: "Wir reden
über die Hunderttausende, die durch den Haß deportiert
und ermordet werden." Und dann schildert Scharping
einen schrecklichen Augenzeugenbericht nach dem anderen
über die Geschehnisse im Kosovo, um zu resümieren:
"Vor diesem Hintergrund stelle ich uns allen eine
Frage: Haben wir nicht selbst nach fürchterlichen
Erfahrungen in den ersten Artikel unserer Verfassung
geschrieben: 'Die Würde des Menschen ist unantastbar'?
Glauben wir, man könne die daraus erwachsene
Verpflichtung auf das Gebiet unseres Staates
beschränken? Was sind internationale Solidarität und
Brüderlichkeit wert, wenn wir nicht die Kraft finden,
wenigstens dort, wo wir können, zu helfen und das Morden
zu beenden?" Kann es da noch Zweifel an den
Nato-Bomben auf Belgrad geben?
Natürlich nicht.
Eigentlich ist die Sache längst entschieden. Aber
immerhin sprechen nicht nur einige Jusos und die
üblichen Verdächtigen des "Frankfurter
Kreises" in der Debatte, die sich an die
Scharping-Rede anschließt. Besonders der Beitrag des
ehemaligen Hamburger Bürgermeisters Henning Voscherau
findet große Aufmerksamkeit. Denn Voscherau, der sich
bislang nicht gerade als Parteilinker hervorgetan hat,
stellt sich eindeutig auf die Seite der Kriegsgegner.
"Ich glaube nicht daran, daß Bombardierung je ein
taugliches Mittel gewesen ist und sein wird." Auch
deutsche Bodentruppen lehnt er strikt ab, denn ein
solcher Einsatz müsse für Deutsche, die "vor zwei
Generationen dort Menschenverbrechen begangen und
Verwüstungen angerichtet haben, ein für alle Mal und
ohne Wenn und Aber ausscheiden". Voscherau warnt:
"Tatsächlich ist das, was jetzt geschieht, ein
Rückfall in die Jahrhunderte alte Irrlehre vom
'gerechten Krieg'. Und diese Irrlehre hat noch immer
Unglück bewirkt."
In der Debatte sind die
Befürworter und Gegner des Nato-Einsatzes in etwa gleich
verteilt. Sind die Mehrheitsverhältnisse also doch nicht
eindeutig? Die Regie will nichts anbrennen lassen: Mitten
in die Aussprache plaziert sie eine kosovo-albanische
Journalistin - frisch vertrieben. Da bleibt kein Auge
trocken. Jetzt ist der Parteitag endgültig gerettet. Wie
hätte es anders sein können? "Sozialdemokraten
haben immer in ihrer Geschichte die Friedenstaube
gemocht, aber sie hatten auch die Faust, wenn's darauf
ankommt", weiß der ehemalige
SPD-Bundesgeschäftsführer und heutige Verkehrsminister
Franz Müntefering zu berichten.
Eben Verantwortung. Auch
die "Frankfurter" sind sich ihrer bewußt. Von
einem sofortigen Stopp der Bombardements ist in ihrem
Initiativantrag, den sie gegen den Leitantrag der
Parteiführung gestellt haben, nichts mehr zu lesen. Nun
sollen Bundesregierung und Bundestag nur noch
aufgefordert werden, "auf die Nato einzuwirken, die
Kampfhandlungen unverzüglich mit einer befristeten
Feuerpause zu unterbrechen, um einen Waffenstillstand
auszuhandeln". Erwartungsgemäß folgt der
Schiffbruch schnell: Der Antrag der
"Frankfurter" kommt nicht einmal zur
Abstimmung, denn rund 80 Prozent der Delegierten
entscheiden sich für die Vorgabe der Parteiführung. Der
Initiativantrag der Linken ist erledigt.
Auch alle anderen
Änderungsanträge scheitern. "Unabhängig von der
Entscheidung anderer Nato-Staaten wird die Bundesrepublik
Deutschland nicht am Einsatz von Bodentruppen
teilnehmen", wollen einige Defätisten beschließen
lassen. Keine Chance. Ein Beschluß, der eine deutsche
Beteiligung an Bodentruppen gegen Jugoslawien
ausschließe, würde die Handlungsfähigkeit der
Bundesregierung einschränken, mahnt Scharping vor der
Abstimmung. Und das will man freilich nicht. In dem nun
beschlossenen Antrag erwarten die Genossen und
Genossinnen nur von der Bundesregierung, "an ihrer
ablehnenden Linie hinsichtlich des Kampfeinsatzes von
Bodentruppen festzuhalten". Eine butterweiche
Formulierung.
Ach übrigens: Der
ursprünglich geplante Königskrönungsparteitag fand
tatsächlich statt. Und gewählt wurde auch. 75,98
Prozent der Stimmen erhielt Gerhard Schröder. 370
Delegierte stimmten für den Kanzler, 102 Delegierte
gegen ihn, 15 enthielten sich. Noch besser schnitt Ottmar
Schreiner ab. 80,92 Prozent der Stimmen konnte er für
sich verbuchen: 386 Delegierte bestätigten ihn in seinem
Amt als Bundesgeschäftsführer.
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