20.01.1999



Kein Mensch ist legal

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Jungle World

*   Kein Mensch ist legal
Von Pascal Beucker

Auch nach einem Jahr "Wanderkirchenasyl" verweigert die NRW-Landesregierung eine Gruppenlösung für kurdische Flüchtlinge.

Die Reise war bereits gebucht, der Empfang in der Türkei vorbereitet. Doch nun müssen die Polizeibehörden im Land am Bosporus noch etwas länger auf Hasan Ay warten. Er bleibt - vorerst - in Deutschland. Nach Protesten von Kirchen- und Menschenrechtsgruppen setzte das nordrhein-westfälische Innenministerium die für Dienstag vergangener Woche geplante Abschiebung des angeblichen PKK-Sympathisanten für einen Monat aus. Für die Freilassung Ays und des ebenfalls im Abschiebegefängnis Büren inhaftierten Kurden Mustafa Tayfun setzen sich rund 140 Flüchtlinge und deutsche Unterstützer ein, die seit einer Woche die Landesgeschäftsstelle von Bündnis 90/Die Grünen in Düsseldorf besetzt halten und dort in den Hungerstreik getreten sind.

Am 21. Januar vor einem Jahr begann in Nordrhein-Westfalen die Aktion "Wanderkirchenasyl", an der sich bis zu ihrer Verhaftung Mitte Dezember auch Ay und Tayfun beteiligt hatten. Inzwischen kämpfen mit der Unterstützung von über 80 Kirchengemeinden und der Kampagne "kein mensch ist illegal" an die 300 Frauen, Kinder und Männer für ihr Bleiberecht in der Bundesrepublik.

Doch bis heute verweigert das nordrhein-westfälische Innenministerium eine Gruppenlösung. Eine solche Forderung sei "völlig illusorisch", so Innen- und Justizminister Fritz Behrens (SPD). Er besteht auf Einzelfallprüfungen, die den Flüchtlingen aber keinen Schutz vor Abschiebung bieten.

Auch die letzte Verhandlungsrunde mit Vertretern des Innenministeriums am vergangenen Freitag hat zu keiner Annäherung der Standpunkte geführt. Die Haltung der Ministerialen sei eine "Provokation" gewesen, konstatiert Albrecht Kieser von "kein mensch ist illegal" in Köln: "Es fehlt jede ernsthafte politische Bereitschaft zu einer humanitären Lösung." Eine Einschätzung, die der grüne Landtagsabgeordnete Siegfried Martsch teilt. Er geht davon aus, daß es "keine Gruppenlösung geben wird - weder für die Menschen im Kirchenasyl noch für die Kurden". Martsch ist der Auffassung, es bleibe nichts anderes übrig, als "um jeden Einzelfall zu feilschen". Für "kein mensch ist illegal" ist das zu wenig. Die Initiative fordert weiterhin einen generellen Abschiebestopp und ein dauerhaftes Bleiberecht für alle TeilnehmerInnen am Wanderkirchenasyl.

Die kurdischen Flüchtlinge in der grünen Landesgeschäftsstelle wollen die Besetzung und den Hungerstreik fortsetzen, bis die Landesregierung eindeutige Signale für eine humanitäre Lösung aussendet. Das bedeutet für die Besetzer: den Stopp aller Abschiebungen, ein Bleiberecht für die kurdischen Flüchtlinge - und die sofortige Freilassung von Ay und Tayfun.

Sie waren am 10. Dezember letzten Jahres in Dortmund verhaftet worden. Am 7. Januar sind sie in Hungerstreik getreten, um ihre drohende Abschiebung zu verhindern. Ihnen haben sich mittlerweile zehn weitere in Büren inhaftierte Kurden angeschlossen.

Die Grünen haben sich mit den kurdischen Besetzern ihrer Geschäftsstelle solidarisch erklärt. Landesvorstandssprecherin Barbara Steffens verkündete: "Es ist ganz klar, daß wir die Aktion uneingeschränkt unterstützen und auf eine Aussetzung der geplanten Abschiebungen bestehen." Eine polizeiliche Räumung werde es auf keinen Fall geben. Und Roland Appel, der Sprecher der Landtagsfraktion, regte sich auf: "Es kann nicht angehen, daß sich Nordrhein-Westfalen bayrischen Umgangsformen mit dem Kirchenasyl annähert".

Doch Appel und seine Partei haben das Problem, daß sie auch in Nordrhein-Westfalen vor allem Regierungspartei sind, und damit mitverantwortlich für die restriktive Flüchtlingspolitik. Um die Koalition nicht zu gefährden, vermeidet die Öko-Partei trotz aller Solidaritätsbekundungen mit den Flüchtlingen eine ernsthafte Konfrontation mit dem sozialdemokratischen Partner.

Die grüne Landtagsfraktion hofft auf eine "Altfallregelung" auf Bundesebene zugunsten derjenigen Flüchtlinge, die nach einer Ablehnung ihres Asylantrages über einen bestimmten Zeitraum in Deutschland geduldet worden sind. Darunter würde auch der Großteil der Flüchtlinge im Wanderkirchenasyl fallen. Doch auch hier sind die Aussichten schlecht. "Das liegt vor allem am Widerstand von Bundesinnenminister Otto Schily", so Martsch. Während Rot-Grün in Bonn noch berät, schaffen Ausländerbehörden in Nordrhein-Westfalen Fakten - indem sie potentielle Nutznießer einer Altfallregelung abschieben. "Ich habe im Moment den ganzen Schreibtisch voll mit solchen Fällen", klagt Jamal Karsli, flüchtlingspolitischer Sprecher der Landtagsgrünen.

"kein mensch ist illegal" plant zum einjährigen Jubiläum des Wanderkirchenasyls für den kommenden Samstag eine "große Manifestation für die Legalisierung von Flüchtlingen, für einen Abschiebestopp in die Türkei" auf dem Kölner Rudolfsplatz. Daran werden unter anderem der noch amtierende Berliner Ärztekammerpräsident Ellis Huber, Andreas Buro vom Komitee für Grundrechte und Demokratie, der Kabarettist Heinrich Pachl, der Schriftsteller Rodi Demir Kapi und Madjiguène Cissé von den Sans Papiers in Frankreich teilnehmen.


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