27.01.1999



Perspektive Einzelfallprüfung

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Jungle World

*   Perspektive Einzelfallprüfung
Von Pascal Beucker und Uli Dillmann

Flüchtlinge der Aktion Wanderkirchenasyl nehmen Angebot des NRW-Innenministeriums an.

Die Stimmung in der Kölner Kreuz-Kirche ist gedrückt. Ein Jahr lang haben sie ausgehalten. Ein Jahr lang waren sie von einer Kirchengemeinde in die andere gezogen, immer in der Angst vor der Polizei. Ein Jahr lang haben sie versucht, die rot-grüne Landesregierung von ihrer bisherigen Abschiebepolitik abzubringen. Einen generellen Abschiebestopp und Bleiberecht für alle Flüchtlinge hatten sie gefordert. Doch nun sind die illegalisierten Kurden im nordrhein-westfälischen Wanderkirchenasyl mit ihrer Kraft am Ende.

"Wir sind gescheitert", resümiert am Donnerstag vergangener Woche einer der sichtlich mitgenommenen Flüchtlinge. Was bliebe ihnen denn noch, als nach jedem Strohhalm zu greifen, der sich bietet, sagt er resigniert.

Der Strohhalm, den das Landesinnenministerium seit der letzten Verhandlungsrunde den Flüchtlingen bietet, ist dünn: Für die knapp 200 Männer und Frauen will das Ministerium den Ausländerbehörden empfehlen, erneut die Aktenlage zu prüfen und sie nicht in Abschiebehaft zu nehmen. Gleichzeitig will Innen- und Justizminister Fritz Behrens (SPD) eine Kommission einrichten, die dafür sorgen soll, "daß die Einzelfallprüfungen 'nicht nach Aktenlage' vorgenommen werden". Eine Garantie auf ein Bleiberecht nach der Prüfung soll es allerdings nicht geben. Zudem gilt der Vorschlag nicht für jene im Wanderkirchenasyl lebenden Familien, für die Ausländerbehörden außerhalb Nordrhein-Westfalens zuständig sind. Das sind immerhin 41 der 141 kurdischen Familien. Ihnen hat Behrens nur zugesagt, seinen Kollegen "anheimzustellen, entsprechend zu verfahren".

Für Gaby Gillen von der Kampagne "kein mensch ist illegal" ist das Angebot des Innenministeriums "politisch eine Katastrophe und inhaltlich ein Farce". Die mündliche Offerte des Ministers enthalte keine konkret einklagbaren Zusagen, nur Willensbekundungen. Auch einer der Rechtsanwälte der Flüchtlinge hält das "Verhandlungsergebnis" für "äußerst unverbindlich". Er rät jedoch trotzdem zu einer Annahme: "Zu mehr ist Behrens nicht bereit".

Die grüne Bundestagsabgeordnete Claudia Roth, Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Bundestags, plädiert ebenfalls für eine Zustimmung: "Es ist wenig, aber es ist nicht mehr drin." Immer wieder hatten die Grünen erfolglos versucht, das Innenministerium zur Aufgabe der harten Linie zu bewegen. Bis zur letzten Konsequenz wollten sie jedoch nicht gehen - was ihnen denn die Aktivisten von "kein mensch ist illegal" vorwerfen: "Wenn ihr keinen Einfluß habt, dann geht doch aus der Koalition." Die Antwort der grünen Landesprecherin Barbara Steffens: "Dann kommt die CDU mit an die Regierung - die schieben noch mehr ab."

Die kurdischen Flüchtlinge sind erschöpft. Einige von ihnen sind seit fast zwei Wochen im Hungerstreik. Was für eine Perspektive haben sie noch? Unverhohlen hat Behrens hinter den Kulissen mit einer gewaltsamen Beendigung des Wanderkirchenasyls gedroht, wenn sie nicht endlich einer Einzelfallprüfung zustimmen. Nun können sie nur noch darauf hoffen, die Einzelfallprüfung zu überstehen. "Verzagen Sie nicht", beschwört sie der Pfarrer der Kreuz-Kirche, "auch weiterhin wollen wir die Türen für Asylsuchende offen halten."


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