28.04.1999



Krieg im Hinterzimmer

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Jungle World

*   Krieg im Hinterzimmer
Von Pascal Beucker und Wolf-Dieter Vogel

Vor dem Sonderparteitag übt man sich in den grünen Führungsgremien in Schadensbegrenzung. Ströbele: "Wir wollen weder aus der Koalition raus noch unseren Außenminister in Frage stellen."

Die Gaststätte "Müller-Franzen" in der Bochumer Innenstadt ist dicht gefüllt. Der grüne Kreisvorstand hat zur Mitgliederversammlung ins Hinterzimmer geladen. Das Thema: Der Nato-Krieg gegen Jugoslawien. So viele Grüne auf einmal haben sich in der Pott-Metropole schon lange nicht mehr zusammengefunden. Der WDR hat ein Filmteam geschickt.

Die grüne Basis rebelliert gegen den Kriegskurs "ihrer" Bundesregierung. Nicht nur im Revier, aber auch und gerade hier: in Bochum, in Oberhausen, in Gelsenkirchen. Beim Mülheimer Kreisverband - einst Vorreiter einer schwarz-grünen Koalition auf kommunaler Ebene - überweist man derzeit den Mitgliedsbeitrag auf ein Sperrkonto und fordert den "sofortigen Stopp der Bombardierungen". Daß ausgerechnet unter einer Regierung mit grüner Beteiligung Deutschland wieder einen Krieg führt, ist für viele Ökopaxe immer noch unbegreiflich. Auch fernab des Potts.

"Macht doch euren Krieg allein", schimpft etwa einer aus der Bremer Basis, bevor er der Partei den Rücken kehrte. Dort haben sich die Fischer-Freunde auf der Mitgliederversammlung mit 41 gegen 24 Stimmen durchsetzen können. Ähnliches in Köln: Während Daniel Kreutz, einer der letzten Linken, der den Grünen noch geblieben ist, den "Aggressionskrieg" anprangert, macht Kerstin Müller auf Angelika Beer. Betroffenheit wirkt auch hier, beim größten grünen Kreisverband, Wunder. Eigens angereist, um ihre Ortsgruppe gegen einen einseitigen Stopp der Bombardements einzuschwören, berichtet die Bonner Fraktionschefin von ihren "inneren Kämpfen".

Mit Erfolg: 71 der 131 Stimmberechtigten entscheiden sich gegen die sofortige Einstellung der Nato-Angriffe und für den Fischer-Plan. Auch die grünen Landesverbände in Baden-Württemberg, Hessen und im Saarland sprechen sich am Wochenende gegen eine einseitige sofortige Feuerpause aus. Dort, im Süd-Westen, wo Fischer-Adjutanten wie Rezzo Schlauch oder Reinhard Bütikofer die Fäden ziehen, kommt nichts auf. Nur die bayerischen Grünen unterstützen die Forderung nach einer Unterbrechung der Luftangriffe.

Der Versuch der Karlsruher Bundestagsparlamentarierin Monika Knoche, die sich mit Christian Ströbele, Christian Simmert, Annelie Buntenbach und drei weiteren Bonner Abgeordneten für einen sofortigen bedingungslosen Stopp der Luftangriffe einsetzt, scheiterte beim Landesparteitag der baden-württembergischen Grünen in Ulm am vergangenen Samstag kläglich. Joschka war Trumpf. Kreisverbände wie etwa Breisgau-Hochschwarzwald oder Karlsruhe, die den Krieg ablehnen, haben da schlechte Karten. Und mit den rund 70 Austritten, die der Landesverband seit Anfang des Krieges verzeichnet, kann man in der Stuttgarter Zentrale leben. Schließlich seien etwa gleich viele in dieser Zeit in die grüne Partei eingetreten. "Einige explizit wegen des Regierungskurses", sagt eine Sprecherin.

Ergebnisse wie in Köln oder Stuttgart kann sich die Parteispitze auf der anstehenden Parteitag in Hagen am 13. Mai nur wünschen. Aber dafür ist freilich harter Einsatz notwendig. In Bochum jedenfalls weht bisher noch ein anderer Wind. Der Kreisverband ist, was den Krieg betrifft, als besonders rebellisch bekannt. Kein Wunder also, daß es auch Bundessprecherin Antje Radcke an jenem Dienstagabend ins Hinterzimmer von "Müller-Franzen" verschlagen hat. "Die Situation für uns als Partei ist dramatisch", sagt sie. "Ganz ehrlich."

Die als "Parteilinke" gewählte Hamburgerin steht unter Erklärungszwang. Hatten die Grünen nicht noch in ihrem Bundestagswahlprogramm beschlossen: "Militärische Friedenserzwingung und Kampfeinsätze lehnen wir ab"? Langatmig referiert Radcke die Entwicklungen in den vergangenen zehn Jahren, die am Ende zum Nato-Angriff auf Jugoslawien geführt hätten.

Und dann die Bilder vom Flüchtlingselend. "Wir standen auch unter einem ungeheuren öffentlichen Druck", erklärt die Sprecherin. Welchen Sinn macht die Fortsetzung der Bombardements? Radcke gibt sich generös: "Die Frage ist erlaubt." Unruhe im Saal. "Danke!" schallt es aus den hinteren Reihen. Die ehemalige Sozialdemokratin Radcke weist auf die besondere Verantwortung hin, die Grüne seit dem Herbst letzten Jahres zu tragen hätten: "Ich glaube, es ist uns allen bewußt, daß wir eine Regierungspartei sind."

Das hat keiner vergessen. Nicht erst, nachdem FDP-Chef Wolfgang Gerhardt letzte Woche der grünen Staatssekretärin Gila Altmann den Dolchstoß an der deutschen Nation vorgeworfen und deren Entlassung gefordert hat, weil sie sich öffentlich gegen eine Fortführung der Bombardements ausgesprochen hatte. Angst, den Anforderungen der neuen Berliner Republik nicht ordentlich Folge zu leisten, herrscht vor allem in den eigenen Reihen. Andreas Braun etwa, Gewerkschaftsreferent aus dem schwäbischen Backnang und frischgewählter Landesvorsitzender der baden-württembergischen Grünen, warnte jüngst vor längst vergessenen Flausen: "Die bewußte Beschränkung auf die Oppositionsrolle wird uns letztlich zur politischen Randerscheinung machen und ins politische Abseits führen."

Auch das muß Antje Radcke der Bochumer Basis erläutern. Regieren um jeden Preis? Wieder kommt die "innere Zerrissenheit" ins Spiel. Sie respektiere alle Beschlüsse, "die sagen, die Bombardierungen müssen sofort aufhören". Und immerhin habe doch der grüne Bundesvorstand einstimmig beschlossen, den Einsatz von Bodentruppen abzulehnen. "Wenn die SPD aber Bodentruppen will?" wird die Parteisprecherin gefragt. Verweigert dann die grüne Bundestagsfraktion auch tatsächlich ihre Zustimmung? Radckes Antwort ist ausweichend. "Das, was du hier gesagt hast, ist völlig halbherzig", kommentiert bitter der frühere grüne Bundestagsabgeordnete Eckard Stratmann-Mertens ihre Auslassungen.

Verteidigungspolitikerin Angelika Beer hat sich jedenfalls am letzten Wochenende gleich mehrmals gegen die Entsendung von Bodentruppen stark gemacht. Aber warum sollte man ausgerechnet ihr Glauben schenken? Niemand hat sich in den letzten Monaten chamäleonhafter verhalten. Da hört man schon den Stiefelschritt auf jugoslawischer Erde durch, wenn sie jetzt gemeinsam mit den Außenpolitikern Helmut Lippelt und Christian Sterzing in einer "Erklärung zum Kosovo-Krieg" bemängelt, daß es "diesseits des Einsatzes von Bodentruppen kaum noch militärische Eskalationsmöglichkeiten, gleichzeitig aber eine täglich wachsende Zahl von der Nato zu verantwortender ziviler Opfer gibt". Was Besseres als Krieg ist Angelika Beer schließlich nach eigenen Worten auch zu Kriegsbeginn nicht eingefallen. Da muß die Partei jetzt durch.

Antje Radcke hat einen schweren Stand. Die Stimmung bei "Müller-Franzen" ist gereizt. Ein grau gewordener Basisgrüner konstatiert: "Die Grünen, die da mitgemacht haben, haben sich als 'Zivilversager' geoutet." Vor allem von Frauen wie Angelika Beer ist er enttäuscht. Sie hätten sich zu "Nato-Flintenweibern" gemacht. Ein Ausspruch, der in den alten grünen Friedenszeiten Empörungsstürme hervorgerufen hätte. Doch es ist Krieg. Und ganze zwei Redner unterstützen Radckes Position. Ihre Strategie zur Befriedung hat hier keine Chance. Sogar die Sprache der grünen Frontfrau wird zerpflückt. Das Bochumer Kreisvorstandsmitglied Martin Budich hat nachgezählt: Während ihres Beitrages habe sie 23mal von "Luftschlägen" gesprochen, nur zweimal von "Bombardierung". Das zeige, wie sehr auch die grüne Sprecherin bereits den verharmlosenden Sprachformeln der Kriegspropagandisten erlegen sei.

Am späten Abend schreiten die Bochumer Grünen zur Abstimmung. Zwei Anträge stehen gegeneinander. Sie unterscheiden sich allerdings nur in der Schärfe der Formulierungen. In beiden wird ein sofortiger Stopp der Nato-Angriffe gefordert. Für eine Weiterführung der Bombardements spricht niemand mehr, für Bodentruppen schon gar nicht. Die Versammlung entscheidet sich für die weitergehende Variante, in der die grünen Regierungsmitglieder, die Bundestagsfraktion und der Bundesvorstand aufgefordert werden, "ihre Unterstützung des Nato-Angriffskriegs zu beenden, auf die Beschlußlage der grünen Partei zurückzukehren und ihren Einfluß zu benutzen, den Krieg gegen Jugoslawien sofort zu beenden". Notwendig sei "eine Politik, die grüne Glaubwürdigkeit wieder herstellt, in dem sie deutlich macht, daß Wahlprogramme für Grüne verbindliche Leitlinien für politisches Handeln sind." Wenn dies in der Regierung nicht möglich sei, müsse nicht die Partei angepaßt, sondern die Regierung verlassen werden.

Darauf hat sich Angelika Beer wohl schon eingestellt. Zwar stehe aus ihrer Sicht die Regierungspolitik nicht gegen die Glaubwürdigkeit der Grünen, sagte sie am vergangenen Wochenende. Allerdings dürfe "die Existenz der Partei" nicht "aus rein machtstrategischen Überlegungen geopfert werden". Doch damit meinen es wohl nicht einmal die Kriegsgegner um Ströbele und Buntenbach so richtig ernst. Zwar formuliert die "Siebener-Gruppe" der Bonner Abgeordneten derzeit einen Antrag für den Hagener Parteitag, in dem die sofortige Beendigung der Luftangriffe gefordert werden soll. Dennoch gibt man sich wachsweich. Ströbele: "Wir wollen weder aus der Koalition raus noch unseren Außenminister in Frage stellen."

Auch von dieser Gruppe dürfte höchstens eine Minderheit die Partei verlassen, sollte am 13. Mai der Kriegskurs Fischers bestätigt werden. Und wenn sich in Hagen die Bochumer, Oberhausener, Karlsruher und Hochschwarzwälder durchsetzen? Frontkamerad Fischer jedenfalls läßt sich nicht so schnell aus dem Konzept bringen wie seine Kollegin Beer: "Entscheidend ist doch nicht, ob die Partei mir folgt oder nicht. Der Minister hat persönliche Verantwortung."


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