28.07.1999



Illegal und ehrenwert

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*   Illegal und ehrenwert
Von Pascal Beucker

Hartnäckig blockiert das Auswärtige Amt die Aufnahme von Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren aus Kriegsgebieten.

Es war ein flammender Appell, der an bessere Tage des Redners erinnerte. In Serbien gebe es "Zehntausende von jungen Männern, die sich dem Krieg verweigern", hatte Daniel Cohn-Bendit auf dem Bielefelder Kriegsparteitag im Mai unter tosendem Applaus in die grüne Menge gerufen. Er schäme sich, so der angegraute Held der Pariser Barrikadenkämpfe von 1968, daß seine Partei nicht aufstehen und sagen würde: "Wir werden, wie zur Zeit des Algerien-Krieges, wie zur Zeit des Vietnam-Krieges, illegal, klandestin, dies organisieren: daß Deserteure hierherkommen." Es sei "unsere Pflicht, hier Unrechtes zu tun, damit dieser Krieg schneller aufhören kann", tönte der grüne Europaparlamentarier wie zu seinen besten Sponti-Zeiten.

Auf die Idee, Deserteuren beizustehen und ihnen ein Leben in Sicherheit zu ermöglichen, ist die Stadt Münster bereits 1996 gekommen. Und sie fand einen Weg, dies zu ermöglichen, obwohl für die deutschen Gesetze Desertion keinen Asylgrund darstellt. Einen Weg, der weder illegal noch klandestin beschritten werden muß, sondern streng gesetzeskonform ist. Denn nach Paragraph 30,1 des Ausländerrechts kann Flüchtlingen aus "völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen" die Einreise in die Bundesrepublik ermöglicht und ihnen eine Aufenthaltserlaubnis gewährt werden. So kann eine kommunale Ausländerbehörde Deserteure aus Kriegsgebieten einladen. Nach Paragraph 84 des Ausländergesetzes haftet in einem solchen Fall die entsprechende Stadt für deren Lebensunterhalt. So erklärte sich der Rat der Stadt Münster mit seiner rot-grünen Mehrheit im Mai 1996 bereit, Deserteure aus Kriegsgebieten aufzunehmen und ihre Unterhaltskosten zu tragen. Er entsprach damit einer Initiative des Bündnisses 8. Mai, eines Zusammenschlusses von Flüchtlingshilfe-, Menschenrechts- und Friedensinitiativen.

Im letzten Jahr folgte die Stadt Osnabrück dem Münsteraner Beispiel. "Unter Bezugnahme auf den Ratsbeschluß der Stadt Münster" stellten die Grünen einen Antrag, nach dem sich auch Osnabrück bereit erklären sollte, "KriegsdienstverweigerInnen und DeserteurInnen aus Kriegsgebieten als Flüchtlinge aufzunehmen". Von dieser Bereitschaft sollten ferner die deutschen Auslandsvertretungen informiert werden - verbunden mit der Bitte, "in entsprechenden Fällen Visa zu erteilen". Mit der von der SPD eingebrachten Ergänzung, daß die Aufnahme der Deserteure und Kriegsdienstverweigerer "im Rahmen der Aufnahmequote für Asylbewerber/-innen der Stadt Osnabrück" zu erfolgen habe, beschloß die rot-grüne Stadtratskoalition den Antrag.

Auch in Freiburg und Bonn gibt es entsprechende Initiativen. In Freiburg sammelt die örtliche Gruppe der Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) Unterschriften für eine "Kommunale Initiative zum Schutz von Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren aus Kriegsgebieten". Es gehe darum, so der Freiburger Vorsitzende der Deutschen Friedensgesellschaft / Vereinigte KriegsgegnerInnen, Wolfgang Menzel, denjenigen zu helfen, die nicht mitschuldig am "Menschheitsverbrechen Krieg" werden wollten. Desertion müsse anerkannt werden, als "die einzig ehrenwerte Handlung eines Soldaten in einem völker- und menschenrechtswidrigen Krieg". Der Gemeinderat wird sich voraussichtlich im September mit der Initiative beschäftigen.

In Bonn will die dortige Pax-Christi-Gruppe erreichen, daß die ehemalige Bundeshauptstadt dem "Baseler Appell" des Europäischen Bürgerforums von 1994 folgt, in dem Städte und Gemeinden aufgefordert werden, Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern die Flucht zu erleichtern. Auch der Vorstandssprecher der Bonner Grünen, Thomas M. Schimmel, unterstützt das Anliegen. Während des Jugoslawien-Krieges forderte er seinen Parteifreund Joseph Fischer und die Bonner Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann (SPD) auf, den Kriegsdienstverweigeren und Deserteuren Asyl anzubieten.

Allerdings blieb es bei dieser verbalen Aufforderung. Einen entsprechenden Antrag haben die Ökopaxe im rot-grün regierten Bonn bisher nicht in den Stadtrat eingebracht. Das verwundert nicht. Ein solcher Antrag könnte schließlich den eigenen Außenminister düpieren. Denn auch die Beschlüsse von Münster und Osnabrück haben bis heute nur symbolischen Wert. Als sie gefaßt wurden, konnte ohnehin nichts anderes erwartet werden. Seinerzeit regierte noch das Kohl-Kabinett - und die dachte gar nicht daran, Deserteure freiwillig ins Land zu lassen.

Das Problem: Die deutschen Botschaften in den Anrainerstaaten Jugoslawiens müssen ihnen Visa ausstellen. Eine Voraussetzung dafür ist die Aufnahme- und Kostenübernahmebereitschaft einer Kommune. Die andere: grünes Licht von der Bundesregierung. Das fehlte. So folgten die Auslandsvertretungen weiterhin einer Anweisung aus den Amtszeiten Hans-Dietrich Genschers (FDP), die untersagte, Asylbegehrenden und anderen Schutzsuchenden Visa auszustellen. Genschers Nachfolger, Klaus Kinkel (FDP), sah keinen Bedarf, diese Anweisung zu widerrufen. Als die Münsteraner Oberbürgermeisterin Marion Tüns (SPD) vor drei Jahren den damaligen Außenminister Kinkel von dem Ratsbeschluß ihrer Stadt informierte und ihn bat, das Vorhaben zu genehmigen, bekam sie nicht einmal eine Antwort.

Inzwischen regiert Rot-Grün. Dennoch scheitert die Aufnahme von Deserteuren in Münster und Osnabrück weiterhin am Widerstand des Auswärtigen Amtes. Der grüne Amtschef Fischer setzt auch hier auf Kontinuität. Die Kommunen hatten ihn gebeten, die Blockadepolitik seiner Vorgänger aufzugeben und die deutschen Auslandsvertretungen anzuweisen, Deserteuren Visa für die Reise in die beiden Städte auszustellen. Darüber hinaus solle sich Fischer bei Innenminister Otto Schily (SPD) dafür einsetzen, daß er ein "Sonderkontingent zur Aufnahme von Deserteuren" einrichtet. Aber dieses Ansinnen blieb erfolglos.

Auch ein "Offener Brief", in dem das Bündnis 8. Mai, die Osnabrücker Friedensinitiative und Pax Christi Osnabrück Fischer zu einer Änderung der bisherigen Praxis aufforderten, konnte bislang nichts bewegen. "Kriegsdienstverweigerung und Desertion sind legitime und probate Mittel, sich der Kriegslogik zu entziehen - sie dienen dem Frieden", argumentierten die Gruppen in ihrem Brief an den Ober-Grünen. Auf ihrem Bielefelder Kriegsparteitag hatte die Partei in ihrem Leitantrag "Frieden und Menschenrechte vereinbaren" noch beschlossen, daß sich die Bundesregierung dafür einsetzen solle, daß "serbische Deserteure in Deutschland politisches Asyl erhalten". Offensichtlich war dies nur Politfolklore, um wankelmütigen Delegierten die Zustimmung zum Krieg zu erleichtern. Die Stadt Münster will nun von sich aus die deutschen Botschaften rund um Jugoslawien über ihre Aufnahmebereitschaft informieren und in konkreten Fällen die Kostenübernahme für die Deserteure zusichern. Die Erfolgsaussichten werden allerdings als gering eingeschätzt.

Auch wenn das Außenministerium in der nächsten Zeit seine Haltung noch einmal überdenken würde, wäre es für Münster wohl zu spät. Denn daß die dortige rot-grüne Koalition die Kommunalwahl am 12. September überstehen wird, gilt als unwahrscheinlich. Schon 1994 hatten SPD und Grüne im traditionell konservativ regierten Münster nur dank der Fünf-Prozent-Klausel gewinnen können, durch die der FDP mit 4,7 Prozent der Einzug ins Stadtparlament verwehrt blieb. Die Hürde ist inzwischen abgeschafft. Einer der ersten Amtshandlungen einer schwarz-gelben Stadtregierung dürfte die Aufhebung des Ratsbeschlusses vom 22. Mai 1996 sein.

Dann bliebe tatsächlich wohl nur noch, "wie zur Zeit des Algerien-Krieges, wie zur Zeit des Vietnam Krieges, illegal, klandestin" die Aufnahme von Deserteuren zu organisieren, wie es Fischer-Kumpel Cohn-Bendit in Bielefeld forderte.


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