25.11.1999



Der Stasi-Skat

Startseite
taz
taz ruhr

*   Der Stasi-Skat
Von Pascal Beucker und Marcus Meier

Ein Historiker der Gauck-Behörde beschuldigt Ex- und Noch-SPD-Landtagsfraktionsvorsitzende, Kontakte zur DDR-Staatssicherheit unterhalten zu haben. Die sehen sich politisch verleumdet.

Konnte die Stasi im nordrhein-westfälischen Landtag Skat spielen? Das will der Historiker Hubertus Knabe herausgefunden haben. Nachdem bereits 1993 der damalige Kölner SPD-Landtagsabgeordnete Wilhelm Vollmann über seine Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR stolperte, sind nun der sozialdemokratische Fraktionsvorsitzende Manfred Dammeyer und sein Vorvorgänger Friedhelm Farthmann ins Visier des Wissenschaftlichen Mitarbeiters der Berliner Gauck-Behörde geraten. Die beiden Politiker hätten bis zur Wende "lange und intensive Kontakte" zum MfS unterhalten, behauptet Knabe.

Seine Vorwürfe gegen die beiden Spitzen-Sozis erhob Hubertus Knabe in passendem Ambiente. Die CDU in Mülheim hatte den Sohn des Grünen-Mitbegründers und ehemaligen Mülheimer Bundestagsabgeordneten Wilhelm Knabe am vergangenen Sonntag zu ihrem 8. Mülheimer Herbstgespräch eingeladen, um mit dem 40-Jährigen über sein Buch "Die unterwanderte Republik. Die Stasi im Westen" zu sprechen. Laut Knabe sei Dammeyer unter dem Tarnnamen "Polo" beim MfS als "Quelle" geführt worden. Solche "Quellen" seien meistens Inoffizielle Mitarbeiter (IM) des Staatssicherheitsdienstes gewesen. Den Kontakt zu ihm habe die Stasi 1978 auf den Oberhausener Kurzfilmtagen über den Leiter des internationalen Pressezentrums der DDR, Fred Müller, aufgenommen. Müller war im Nebenjob IM des Spionageapparates der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA). Farthmann soll als "Kontaktperson" geführt worden sein. "Kontaktpersonen" seien von der Stasi häufig abgeschöpft worden, ohne den nachrichtendienstlichen Hintergrund zu erkennen, erklärte Knabe.

Während Dammeyer von einer "systematischen politischen Verleumdung" sprach, reagierte Farthmann mit "Staunen und Amüsement" auf die vermeintlichen Enthüllungen. Er sei allerdings nicht unzufrieden damit, dass ihm die Stasi den Decknamen "Glücksmann" gegeben habe. "Denn", so Farthmann, "der Name passt zu mir."

Das Enfant terrible der SPD bestätigte die Angaben Knabes, mehrfach von Fred Müller Ende der 80er Jahre zur Jagd in die DDR eingeladen worden zu sein. Die Einladungen hätten aus einem Besuch Erich Honeckers im Herbst 1987 in Düsseldorf resultiert, bei dem Farthmann vom damaligen NRW-Ministerpräsidenten Johannes Rau als begeisterter Jäger vorgestellt worden sei. Über seine Jagdausflüge habe er seinerzeit vorsichtshalber vorab Rau, SPD-Chef Jochen Vogel und Außenminister Hans-Dietrich Genscher informiert. Nach dem Mauerfall habe Farthmann dann erfahren, "dass die Stasi da ihre Finger im Spiel hatte". Einen leisen Verdacht habe er jedoch gleich gehegt: "Ein bisschen habe ich mich schon gewundert, weil die beim Jagen nie getroffen haben."

Tatsache ist, dass das Auto-Telefon Farthmanns von 1986 bis 1989 systematisch von der Stasi abgehört wurde. 14 Tage vor der ersten Landtagswahl in Thüringen, bei der er vergeblich als Ministerpräsidentenkandidat antrat, waren Telefon-Mitschnitte verschiedenen Zeitungen angeboten worden. Die hätten sich allerdings anständig verhalten und die Abschriften nicht publiziert, erklärte der SPD-Politiker. Bei den mitgeschnittenen Gesprächen habe es sich vor allem um erotische Plaudereien mit seiner Lebensgefährtin gehandelt, räumte Farthmann jetzt erstmals öffentlich ein.

Auch Dammeyer bestätigte, er habe als einer der Organisatoren der Oberhausener Kurzfilmtage und als kulturpolitisch engagierter Sozialdemokrat tatsächlich Kontakte zu Fred Müller gehabt. Er habe jedoch keine Informationen weitergegeben. "Die Leute aus der DDR haben von mir nur Sachen erfahren, die sie auch in der Zeitung lesen konnten", sagte der SPD-Landtagsfraktionschef. Dammeyer versicherte, er habe eine "extrem saubere Weste". Dass Müller für die Stasi arbeitete, habe er erst nach der Wende erfahren. Noch im Oktober habe ihm die Gauck-Behörde bestätigt, dass keine Unterlagen vorlägen.

Dammeyer hat nun eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Gauck-Behörde eingereicht. Dass deren Mitarbeiter Knabe seine Vorwürfe auch noch auf einer Veranstaltung der CDU öffentlich gemacht habe, hält der Oberhausener für "infam". Offensichtlich ginge es hier um Wahlkampf und nicht um Wahrheitsfindung.

Diesen Vorwurf weist der Mülheimer CDU-Vorsitzende Andreas Schmidt, Moderator der Veranstaltung vom Sonntag, als "grotesk" zurück. "Ich wusste doch nicht, was der Referent da erzählen wird", beteuert der Bundestagsabgeordnete. Schmidt zeigte sich zudem verwundert darüber, dass Dammeyer und Farthmann "so aufgescheucht reagiert haben". Hubertus Knabe wollte sich gegenüber der taz nicht zu seinem Mülheimer Auftritt äußern. Als "etwas blöd" bezeichnete es der Sprecher der Gauck-Behörde, Johann Legner, dass ein Mitarbeiter des Amtes im NRW-Vorwahlkampf auf einer CDU-Veranstaltung Mitteilungen über angebliche Erkenntnisse gemacht habe. Darüber hinaus gebe es keine Hinweise dafür, so Legner, dass Dammeyer für die Staatssicherheit der DDR gearbeitet habe. Es sei "völlig unmöglich, aus den vorliegenden Unterlagen Schlüsse in dieser Richtung zu ziehen".

Nach Angaben des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Joachim Gauck, geht seine Behörde davon aus, dass die Stasi bei ihren West-Aktionen auf 20.000 bis 30.000 Helfer in der Bundesrepublik hat zurückgreifen können. So brauchte denn auch der Kölner Wilhelm Vollmann nicht bis nach Düsseldorf, um nach Mitspielern zu suchen. Zwei passende Skatpartner fand er in Köln: In der dortigen SPD-Ratsfraktion. Sie wurden mit ihm 1993 enttarnt.


© Pascal Beucker. Alle Rechte an Inhalt, Gestaltung, Fotos liegen beim Autor. Direkte und indirekte Kopien, sowie die Verwendung von Text und Bild nur mit ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung des Autors.