14.01.1999



Grüne: Besetzes Asyl

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*   Grüne: Besetzes Asyl
Von Pascal Beucker

Kurdische Flüchtlinge halten seit Montag die grüne Landesgeschäftstelle in Düsseldorf besetzt, um gegen die Abschiebungspolitik der Landesregierung zu protestieren.

Die Reise war bereits fest gebucht, der Empfang in der Türkei bestens vorbereitet. Noch am Wochenende hatte die türkische Boulevardzeitung "Sabah" für die passende Stimmung gesorgt. Doch nun müssen die Polizeibehörden im Land am Bosporus doch noch länger auf den sehnsüchtig erwarteten verlorenen Sohn warten: Hasan Ay bleibt - vorerst - in Deutschland.

Das nordrhein-westfälische Innenministerium hat die für Dienstag dieser Woche geplante Abschiebung des "PKK-Sympathisanten" ("Sabah") nach massiven Protesten von Kirchen- und Menschenrechtsgruppen für einen Monat ausgesetzt. Nun kann Ay zunächst weiter die Losung "Mensch sein - Menschlichkeit bewahren" genießen, die im Besucherraum der Justizvollzugsanstalt Büren zu lesen ist.

Für die Freilassung von Hasan Ay und des ebenfalls in Büren inhaftierten Kurden Mustafa Tayfun setzen sich rund 140 Flüchtlinge und deutsche Unterstützer ein, die seit vergangenen Montag die Landesgeschäftsstelle von Bündnis 90/Die Grünen in der Düsseldorfer Jahnstraße besetzt halten. Sie fordern von der rot-grünen Landesregierung eine Änderung ihrer repressiven Flüchtlingspolitik.

Hasan Ay und Mustafa Tayfun waren zusammen mit einem weiteren kurdischen Flüchtling, Abas Tanriverdi, am 10. Dezember letzten Jahres in Dortmund verhaftet worden. Bis dahin hatten sie im Wanderkirchenasyl gelebt (taz ruhr berichtete). Während Tanriverdi einige Tage später aus der Abschiebehaft entlassen wurde und das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ihm und seiner Familie inzwischen ein Bleiberecht gewährt hat, sitzen Ay und Tayfun noch immer im Abschiebegefängnis. Am 7. Januar sind sie in den Hungerstreik getreten, um die drohende Abschiebung zu verhindern. Den beiden haben sich mittlerweile zehn weitere in Büren inhaftierte Kurden angeschlossen.

Hasan Ay lebt seit 1992 in der Bundesrepublik. Nach mehreren Verhaftungen war er gemeinsam mit seiner Frau Safira aus der Türkei geflohen. Die türkische Polizei hatte ihm unter anderem vorgeworfen, für die PKK als Kurier tätig gewesen zu sein. Safira Ay leidet laut ärztlichem Gutachten an einer "reaktiven Depression mit massiven Ängsten und Schlafstörungen sowie einer erheblichen Suizidalität". Im Falle einer Abschiebung ihres Mannes sei "mit Suizidversuchen zu rechnen". Hasan Ay ist Kriegsdienstverweigerer und hat sich auch in Deutschland an öffentlichen Aktionen kurdischer Kriegsdienstverweiger beteiligt - zuletzt am Antikriegstag 1998 vor dem türkischen Generalkonsulat in Köln.

Was ihn nach einer Abschiebung in die Türkei erwarten würde, zeigt der Fall Adul Menaf Düzenli. Der kurdische Flüchtling wurde nach seiner Verhaftung im Gemeindehaus der evangelischen Kirchengemeinde Mutterstadt in die Türkei abgeschoben und dort der Militärpolizei überstellt. Seitdem sitzt der Familienvater in Izmir in einem Militärgefängnis.

Die Familie des aufgrund einer Polio-Erkrankung körperbehinderten Mustafa Tayfun war ebenfalls 1992 nach Deutschland geflohen, nachdem der Vater des damals Dreizehnjährigen und sein älterer Bruder vierzehn Tage lang in einer Polizeistation festgehalten und gefoltert worden waren. Obwohl das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ihre Berichte über die in der Haft erlittenen Mißhandlungen als glaubwürdig einstufte, lehnte es den Asylantrag ab. Begründung: "Eine unmenschliche Behandlung wie die Folter als solche" sei nach Wortlaut und Sinn des Grundrechts auf Asyl "nicht asylerheblich". Schließlich seien "Mißhandlungen in Polizeigewahrsam zur Gewinnung von Geständnissen allgemein verbreitet".

Wie lange die Besetzung der grünen Landesgeschäftsstelle dauern wird, steht dahin. Die Flüchtlinge und ihre Unterstützer wollen die Räume erst verlassen, wenn Hasan Ay und Mustafa Tayfun freigelassen worden und nicht mehr von einer unmittelbaren Abschiebung bedroht sind. Mit diesen Forderungen laufen sie bei Bündnis 90/Die Grünen offen Türen ein. "Wir unterstützen das Wanderkirchenasyl grundsätzlich und werden auch unsere generelle Ablehnung der Abschiebepolitik beibehalten", so Pressereferentin Daniela Milutin. Und kämpferisch wie in den guten alten Zeiten verkündete die grüne Landesvorstanssprecherin Barbara Steffens: "Es ist ganz klar, daß wir die Aktion uneingeschränkt unterstützen und auf eine Aussetzung der geplanten Abschiebungen bestehen."

Einen sofortigen Abschiebestop haben die nordrhein-westfälischen Bundestagsabgeordneten Christian Simmert und Annelie Buntenbach in einer gemeinsamen Erklärung mit anderen Parlamentariern der Grünen und der PDS von der Landesregierung gefordert. Sie kritisierten, daß in NRW immer noch "Menschen zurück in Herkunftsländer, in denen sie von Verfolgung, Folter und Tod bedroht sind", geschickt würden, "während VertreterInnen aus den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen auf einen humanitären Umgang mit Flüchtlingen drängen".

Auch in der grünen Landtagsfraktion regt sich Unmut über die Flüchtlingspolitik der NRW-Regierung. "Es kann nicht angehen, daß sich Nordrhein-Westfalen bayrischen Umgangsformen mit dem Kirchenasyl annähert", erklärte der Fraktionsvorsitzende Roland Appel. Die im Dezember erfolgte Festnahme der Kurden aus dem Dortmunder Wanderkirchenasyl habe zu einer Eskalation geführt. "Dies trägt nicht dazu bei, daß die bisherigen Gespräche und Versuche zwischen Landesregierung, grüner Fraktion und Wanderkirchenasyl dem Ziel einer humanitären und politischen Lösung näherkommen", kritisierte er.

Die kurdischen Flüchtlinge wollen die Besetzung der grünen Landesgeschäftsstelle solange fortführen, bis Hasan Ay und Mustafa Tayfun aus der Abschiebehaft entlassen worden sind. Trotz aller verbalen Solidaritätsbekundungen sind die Grünen für sie vor allem eins: Regierungspartei. Und damit mitverantwortlich für die restriktive Flüchtlingspolitik in Nordrhein-Westfalen.


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