04.03.1999



junge Welt goes West

Startseite
taz

*   junge Welt goes West
Von Pascal Beucker

Die Ex-FDJ-Zeitung junge Welt will in Köln Karl Marx auferstehen lassen.

"Auf der Lippe den Trotz und den zuckenden Hohn,
In der Hand den blitzenden Degen,
Noch im Sterben rufend: ‚Die Rebellion!'"
Ferdinand Freiligrath

Mutig schrieb die Zeitung gegen Fürsten und Könige und agitierte für die Demokratie. Knapp ein Jahr lang hatte die Redaktion durchgehalten, dann blieben Chefredakteur Karl Marx und seinen Kollegen nichts weiter, als die Flucht aus Köln. Sie mußten, wie Redakteur Friedrich Engels feststellte, "unsere Festung übergeben, aber wir zogen ab mit Waffen und Bagage, mit klingendem Spiel und mit der fliegenden Fahne der letzten, roten Nummer". Am 19. Mai 1849 erschien die letzte Ausgabe der Neuen Rheinischen Zeitung - Organ der Demokratie. Das Abschiedsgedicht Ferdinand Freiligraths auf der Titelseite schloß trotz alledem optimistisch: "Bald richt' ich mich rasselnd in die Höh' / Bald kehr' ich reisiger wieder!"

Fast 150 Jahre später hat sich ausgerechnet die kleine Berliner Tageszeitung junge Welt vorgenommen, die Neue Rheinische Zeitung wieder auferstehen zu lassen. Bescheiden wie man am ostberliner Treptower Park nun einmal ist, plant man zunächst die Herausgabe einer Kölner Woche. "Hinter der Unterzeile Neue Rheinische Zeitung steckt die Option, einmal Tageszeitung zu werden", erklärte jW-Geschäftsführer Dietmar Koschmieder bei der Blattpräsentation am vergangenen Mittwoch in Köln. Und weil dann der Name Kölner Woche nicht mehr zu gebrauchen sein würde, hat man sich vorausschauend den geschichtsschweren Titel schützen lassen.

Am 24. April soll das traditionsbewußte Projekt mit einer Anfangsauflage von 10.000 Exemplaren an den Start gehen. Die neue Zeitung soll samstags erscheinen, zunächst 8 Seiten umfassen und später auf 16 Seiten aufgestockt werden. Dazu kommt die Wochenendausgabe der jungen Welt als Beilage der Kölner Woche. Denn ganz nebenbei wollen die traditionssozialistischen Zeitungsmacher auch innovativ sein. Indem der Regionalteil zur Mantelzeitung gemacht werde, wolle man ein "neues Medienprinzip" kreieren, erklärte Koschmieder.

Die junge Welt verspricht sich von ihrem Kölner Engagement die Erschließung neuer Leserkreise im Westen. Denn dort gilt die einstige FDJ-Zeitung, deren Aboauflage laut Eigenangaben bei 14.000 Exemplaren liegt (Druckauflage: 18.000), bisher aufgrund ihrer auf ostdeutsche Befindlichkeiten fixierten Berichterstattung und als Organ aller kommunistischen Plattformen in und außerhalb der PDS als weitgehend unverkäuflich.

Das Projekt wurde durch die Übernahme des monatlich erscheinenden Kölner Volksblatts möglich. Für eine Mark hat die junge Welt es eine Woche nach Aschermittwoch gekauft. "Damit hat zum ersten Mal eine in Ostdeutschland gegründete Zeitung ein westdeutsches Printmedium erworben", freute sich der jW-Geschäftsführer. Dabei ist der Übernahmecoup weit weniger spektakulär als er auf den ersten Blick erscheint. Das vor 25 Jahren als "Selbsthilfeprojekt der sozialen Bewegungen" (Volksblatt-Mitbegründer Ivo Bode) gegründete Volksblatt führte schon lange nur noch ein Schattendasein und stand unmittelbar vor der Einstellung. Zuletzt betrug die verkaufte Auflage der von diversen Kölner Gruppen - von der "Arbeiterfotografie Köln", über die "RosaRote Knasthilfe" bis zum "WohnRat Köln" -, getragenen Initiativenzeitung nur noch 1.500 Exemplare. Zum Kauf des Volksblatts, dessen Inhalt aus einer bemerkenswerten Mischung von Flugblatt-Texten diverser Initiativen, Bekenntnisschriften und einigen journalistischen Arbeiten bestand, animierte in den letzten Jahren nur Nostalgie. Nun sollen die verbliebenen 1.200 Abonnements den Grundstock für die Kölner Woche - Neue Rheinische Zeitung bilden.

Die Zeitung wird zunächst mit zwei Redaktions- und eineinhalb Verwaltungsstellen ausgestattet sein. Die festangestellten Redakteure erhielten nach Auskunft Koschmieders ein Bruttogehalt von 3.000 Mark, freie Autoren ein Zeilenhonorar von 50 Pfennig. Fotos sollen mit 30 Mark vergütet werden. Daß sich die Honorierung dabei nicht an irgendwelchen Tarifen orientiere, sei eine Selbstverständlichkeit, so Koschmieder: "Das wäre auch wirtschaftlich gar nicht verkraftbar".

Wie seinerzeit in den Tagen der gescheiterten deutschen Revolution haben sich die Initiatoren der Kölner Woche nicht weniger auf die Fahnen geschrieben als den verwegenen Kampf gegen die absolutistische Herrschaft. Der König von Preußen hat zwar schon lange abgedankt, aber der Pressezar von Köln ist geblieben: Alfred Neven DuMont. Der Verleger hat sich ein Medienmonopol aufgebaut, an dem in der Domstadt niemand vorbeikommt. Ihm gehören der Kölner Stadt-Anzeiger (Auflage wochentags: 281.000, am Wochenende: 336.000 Exemplare), das Boulevardblatt Express (Auflage im Köln/Bonner Raum: 264.000) und seit dem 1. Januar diesen Jahres auch noch die Stadt-Anzeiger-Konkurrenz Kölnische Rundschau (160.000 Exemplare). Hinzu kommen noch dreizehn kostenlose Anzeigenblätter mit einer wöchentlichen Auflage von zusammen 1,5 Millionen, eine monatlich erscheinende Stadtillustrierte, ein Buchverlag und auch noch mehrere lokale Radiosender, wie Radio Köln und Radio Rhein-Sieg. Daneben ist der ehemalige Präsident der Kölner Industrie- und Handelskammer und des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger auch noch an dem Fernsehsender SAT.1 beteiligt.

Alfred Neven DuMont regiert sein Imperium mit harter Hand. Was ihm nicht gefällt, über das wird nicht berichtet. Redakteure, die es doch wagen, Unbotmäßiges in eines der Blätter zu bringen, müssen mit ihrem Rausschmiß rechnen. So erging es zuletzt 1996 dem Stadt-Anzeiger-Redakteur Hartmut Schergel, der einen DuMont-kritischen Absatz in einem Bericht über Reiseführer hatte durchgehen lassen. DuMont sah daraufhin in Schergel ein "publizistisches Sicherheitsrisiko". Das Arbeitsgericht kam zu einem anderen Urteil. Die Kündigung mußte zurückgenommen werden.

130.000 Mark will die Linke Presse- und Verlagsbeteiligungsgenossenschaft LPG junge Welt e.G. als Anschubfinanzierung investieren. Innerhalb von sechs Monaten soll die Zeitung sich über Anzeigen und Abonnements finanziell selber tragen können, sonst müsse sie wieder eingestellt werden, erklärte Koschmieder am Mittwoch. Die junge Welt hat ihr unternehmerisches Risiko begrenzt. Denn aus dem bisherigen Bestand der Genossenschaft sollen höchstens 40.000 Mark fließen. Voraussetzung für den Zeitungsstart sei, daß 90 neue Genossenschaftsanteile mit einer Mindesteinlage von 1.000 Mark aus dem Köln/Bonner Raum akquiriert würden, erläuterte Koschmieder. 60 Anteile seien inzwischen bereits gezeichnet.

Einer der Finanziers ist Peter Kleinert. Auch er ist einer der Neven DuMont-Geschädigten. Der frühere stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Journalisten Union verlor 1976 nach einem kritischen Fernsehbeitrag seinen Redakteursjob beim Kölner Stadt-Anzeiger. Jetzt rührt der heutige Filmemacher und Fernsehjournalist mächtig die Werbetrommel für die Kölner Woche. Kleinert, bis vor kurzem noch Gesellschafter von Kanal 4, wünscht sich eine Art "radikaldemokratische FAZ", mit der seinem ehemaligen Arbeitgeber kräftig auf die Füße getreten werden könnte. Das will er sich einiges kosten lassen. Die genaue Höhe seiner Beteiligung verrät Kleinert allerdings nicht. Über ausreichende Bonität verfügt er jedenfalls: Der Verkauf seiner Kanal 4-Anteile soll ihm über eine Viertelmillion Mark eingebracht haben.

Gewerkschafter Kleinert liegt vor allem die "innere Pressefreiheit" am Herzen, die Neven DuMont so schmählich mißachte und die nun in der Kölner Woche realisiert werden solle. Wie das ausgerechnet in Kooperation mit der jungen Welt vonstatten gehen soll, bei der der Geschäftsführer im Sommer 1997 beinahe die komplette Redaktion brachial aus dem Blatt säuberte, um die Zeitung "auf Linie" zu bringen? Dietmar Koschmieder erinnert sich an die damaligen Vorgänge nur ungern. Das sei eine "grauenhafte Schlammschlacht" gewesen, konstatierte er nur und verschwieg, daß heute noch ehemalige junge Welt-Redakteure vor dem Arbeitsgericht gegen ihren früheren Arbeitgeber prozessieren müssen. Er glaube nicht, so Koschmieder, daß sich eine solche Auseinandersetzung wiederholen könne, schließlich sei die Redaktion der Kölner Woche "eigenständig". Interveniert werden müsse natürlich, wenn sich die Kölner Blattlinie diametral von der der jungen Welt wegentwickeln würde. Aber damit sei nicht zu rechnen. Und wenn doch? "Wenn die Redaktion die gemeinsame Plattform verläßt, könnte es Konflikte geben", räumte Geschäftsführer Koschmieder ein. So soll die Kölner Woche "in Form und Inhalt nicht identisch mit, aber kompatibel zur jungen Welt" sein. Abweichende Auffassungen zwischen Kölner und Berliner Redaktion dürften jedoch nicht über jeweilige "Gegenartikel" ausgetragen werden. Koschmieder: "So stellen wir uns das nicht vor."

Mit der Kölner Woche solle "mehr Farbe in die Medienlandschaft" gebracht werden, begründete Werner Peters, Besitzer des "Künsterhotels Chelsea", sein Eintreten für das ehrgeizige Projekt. Welche Farbe die Kölner Woche allerdings haben wird, blieb bei der Blattpräsentation am Mittwoch im Nebel. Die Zeitung könne zwar "irgendwie links" verortet werden, müsse aber "relativ breit angelegt sein", erklärte Peters. Der designierte Chefredakteur Wolfgang Jorzik wird deutlicher: "Wir wollen uns nicht auf ein bestimmtes Klientel festlegen." Dem 36jährigen bisherigen verantwortlichen Redakteur des Kölner Volksblatts ist es vielmehr "gleich, ob unsere Leser Mitglied der CDU oder Mitglied der Grünen sind." Die vielversprechende Zielgruppenanalyse sieht ein "Produkt für die Bevölkerung" vor. Wie lange sich das mit der ostalgischen und orthodox-linken jungen Welt verträgt, bleibt eine spannende Frage.

Die alte Redaktion der Neuen Rheinischen Zeitung war auf alle Eventualitäten bestens vorbereitet gewesen. Acht Bajonettgewehre und 250 scharfe Patronen lagerten im Redaktionszimmer, um alle Angriffe auf die Pressefreiheit abzuwehren.


© Pascal Beucker. Alle Rechte an Inhalt, Gestaltung, Fotos liegen beim Autor. Direkte und indirekte Kopien, sowie die Verwendung von Text und Bild nur mit ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung des Autors.