22.04.1999



Grüne im Kriegszustand

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taz

*   Grüne im Kriegszustand
Von Pascal Beucker

Frontfrau Antje Radcke unter Beschuß: Bochumer Grüne streiten über den Kriegskurs ihrer Partei.

Das Hinterzimmer der Gaststätte "Müller-Franzen" in der Bochumer Innenstadt ist prall gefüllt. Der grüne Kreisvorstand hat zur Mitgliederversammlung geladen. Das Thema: Der NATO-Krieg gegen Jugoslawien. So viele Grüne auf einmal haben sich in der Pott-Metropole schon lange nicht mehr zusammengefunden. Und der WDR hat ein Filmteam geschickt.

Die grüne Basis rebelliert gegen den Kriegskurs der rot-grünen Bundesregierung. Nicht nur im Revier, nicht nur in Bochum. Aber auch und gerade hier. Daß ausgerechnet unter einer Regierung mit grüner Beteiligung Deutschland wieder einen Krieg führt, ist für viele Mitglieder der einstigen Ökopaxe-Partei immer noch unbegreiflich.

Auch die grüne Bundessprecherin Antje Radcke hat sich am Dienstagabend nach Bochum verloren. Die Aufmüpfigen wieder "einzufangen", ist offenbar ihr Kampfauftrag. "Die Situation für uns als Partei ist dramatisch", sagt sie. "Ganz ehrlich". Die als "Parteilinke" gewählte Hamburgerin steht unter Erklärungszwang. Hatten die Grünen nicht noch in ihrem Bundestagswahlprogramm beschlossen: "Militärische Friedenserzwingung und Kampfeinsätze lehnen wir ab"? Langatmig referiert Radcke die Entwicklungen in den vergangenen zehn Jahren, die aus ihrer Sicht letztlich zum NATO-Angriff auf Jugoslawien geführt haben. Und dann die Bilder vom Flüchtlingselend. "Wir standen auch unter einem ungeheuren öffentlichen Druck", erklärt die Sprecherin. Welchen Sinn macht die Fortsetzung der Bombardements? Radcke gibt sich generös: "Die Frage ist erlaubt." Unruhe im Saal. "Danke!", schallt es aus den hinteren Reihen.

Die ehemalige Sozialdemokratin Radcke weist auf die besondere Verantwortung hin, die Grüne seit dem Herbst letzten Jahres zu tragen hätten: "Ich glaube, es ist uns allen bewußt, daß wir eine Regierungspartei sind."

Selbstverständlich spricht sie auch von der in den letzten Wochen immer wieder von grünen Kriegsbefürwortern beschworenen "inneren Zerrissenheit". Und erklärt, daß sie "alle Beschlüsse respektiere, die sagen, die Bombardierungen müssen sofort aufhören". Immerhin habe doch der grüne Bundesvorstand erst am Wochenende einstimmig beschlossen, den Einsatz von Bodentruppen abzulehnen. "Wenn die SPD aber Bodentruppen will?", wird die Parteisprecherin gefragt. Verweigert dann die grüne Bundestagsfraktion auch tatsächlich ihre Zustimmung? Radckes Antwort weicht aus. Die Sprecherin will die Kriegsgegner bei der Stange halten, ohne die Kriegsbefürworter in ihrer politischen Bewegungsfreiheit einzuschränken. "Das, was du hier gesagt hast, ist völlig halbherzig", resümiert der frühere grüne Bundestagsabgeordnete Eckard Stratmann-Mertens ihre Auslassungen.

Antje Radcke hat einen schweren Stand an diesem Abend. Ganze zwei Redner unterstützen in der Debatte ihre Position. Ihre Strategie zur Befriedung der Partei hat in der Grönemeier-Stadt keine Chance. Sogar die Sprache der grünen Frontfrau wird zerpflückt. Das Bochumer Kreisvorstandsmitglied Martin Budich hat nachgezählt: Während ihres Beitrages habe sie 23mal von "Luftschlägen" gesprochen, nur zweimal von "Bombardierung". Das zeige, wie sehr auch die grüne Sprecherin bereits den verharmlosenden Sprachformeln der Kriegspropagandisten erlegen sei, erklärt Budich.

Die Stimmung in dem überfüllten Kneipensaal ist gereizt. Ein grau gewordener Basisgrüner konstatiert: "Die Grünen, die da mitgemacht haben, haben sich als 'Zivilversager' geoutet." Vor allem von Frauen wie Angelika Beer, die einmal für eine andere Politik eingetreten seien, wäre er maßlos enttäuscht. Sie hätten sich zu "NATO-Flintenweibern" gemacht. Ein Ausspruch, der in den alten grünen Friedenszeiten Empörungsstürme hervorgerufen hätte. Doch es ist Krieg.

Daß Joschka Fischer immer wieder "Nie wieder Auschwitz" als Begründung für seine Kriegszustimmung anführt, stößt bei vielen auf besonders scharfen Widerspruch. Die deutsche Schuld durch einen Überfall auf Jugoslawien begleichen zu wollen, so ein erregtes Mitglied, sei die "übelste Demagogie, die ich mir vorstellen kann".

Am späten Abend schreiten die Bochumer Grünen zur Abstimmung. Zunächst stehen zwei Anträge gegeneinander. Sie unterscheiden sich allerdings nur in der Schärfe der Formulierungen. In beiden wird ein sofortiger Stop der NATO-Angriffe gefordert. Für eine Weiterführung der Bombardements spricht niemand mehr, für Bodentruppen schon gar nicht. Mit 31 zu 29 Stimmen und ohne Enthaltungen entscheidet sich die Mitgliederversammlung für die weitergehende Variante, in der die grünen Regierungsmitglieder, die Bundestagsfraktion und der Bundesvorstand aufgefordert werden, "ihre Unterstützung des NATO-Angriffskriegs zu beenden, auf die Beschlußlage der grünen Partei zurückzukehren und ihren Einfluß zu benutzen, den Krieg gegen Jugoslawien sofort zu beenden". Notwendig sei "eine Politik, die grüne Glaubwürdigkeit wieder herstellt, in dem sie deutlich macht, daß Wahlprogramme für Grüne verbindliche Leitlinien für politisches Handeln sind." Wenn dies in der Regierung nicht möglich sei, müsse nicht die Partei angepaßt, sondern die Regierung verlassen werden.

Nicht durchsetzen kann sich ein Antrag des Kreisvorstands, den Europawahlkampf der eigenen Partei zu boykottieren, wenn der grüne Parteitag am 13. Mai "keine eindeutige Verurteilung des NATO-Kurses von MinisterInnen, Fraktion und Bundesvorstand beschließt". Soweit will die Versammlungsmehrheit nicht gehen. Sie will lieber, "gerade in der jetzigen Lage alle Kräfte mobilisieren, damit im nächsten EU-Parlament so viele grüne Frauen und Männer wie möglich an deeskalierenden Sicherheitskonzepten mitwirken".


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