04.06.1999



Sturm im Kölschglas

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taz

*   Sturm im Kölschglas
Von Pascal Beucker und Danièle Weber

Auf dem Kölner Gipfel wollen die EU-Regierungschefs für mehr Arbeit sorgen: Mit weiteren Absichtserklärungen.

Sehr alt ist sie noch nicht, die Geschichte der europäischen Beschäftigungspolitik. Und besonders aufregend war sie bisher auch nicht. Wenn sich am Donnerstag und Freitag die Regierungschefs der EU zum Europäischen Rat in Köln treffen, wird jedoch das Thema Arbeit ganz oben stehen. Schon jetzt steht allerdings fest: In Köln wird nichts anderes als ein weiteres unverbindliches Papier zur gemeinsamen Beschäftigungspolitik der 15 Mitgliedsstaaten verabschiedet werden.

Der Kölner Gipfel, der von verschiedenen Protestaktionen begleitet wird, soll - so hat es jedenfalls Bundeskanzler Gerhard Schröder im Sinn - den Abschluß der deutschen EU-Ratspräsidentschaft krönen. Im Dezember letzten Jahres hatte sie den Staffelstab der EU-Präsidentschaft von Österreich übernommen - sechs Monate lang durften seitdem deutsche MinisterInnen die Sitzungen auf europäischer Ebene leiten.

Zwei Vorhaben stehen in Köln im Mittelpunkt: zum einen die Ernennung eines Verantwortlichen für die "Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik" (GASP). Zum anderen heißt das große Paket, das laut Beschluß des letzten Europa-Rats in Wien unter Schröder geschnürt werden muß: "Europäischer Beschäftigungspakt". Allgemein wurden die Chancen, sich auf diesem Gebiet zu einigen, in Europa höher eingestuft, weil mittlerweile in fast allen EU-Ländern sozialdemokratische Regierungen am Werk sind.

Doch weit gefehlt: Als sich Anfang März Europas Sozialdemokraten in Mailand zum Kongreß trafen, wurde klar: Von Harmonie kann keine Rede sein. Frankreichs Lionel Jospin, Englands Tony Blair und Neuankömmling Gerhard Schröder unterscheiden sich in grundsätzlichen Fragen: Jospin befürwortet keynesianische Rezepte mit staatlichem Eingriff, während Tony Blair seinen "dritten Weg" der Flexibilisierung und Deregulierung gehen will. Dazwischen steht Schröder, der sich Blair zunehmend annähert. Befreit von Oskar Lafontaine, den vor allem Jospin vermißt, geht das besser.

"Die Visionen, die wir entwickeln, müssen im Bereich des Möglichen bleiben", hatte Schröder den Genossen Jospin in Mailand gemahnt. Was real auf europäischem Niveau in Sachen Beschäftigungspolitik machbar ist, das versuchen Europas Politiker seit einigen EU-Gipfeln herauszufinden. Etwa im November 1997 auf einem Sondergipfel in Luxemburg. Doch das Vorhaben ging gründlich schief: Die beschäftigungspolitischen Leitlinien, die nach zähen Verhandlungen beschlossen wurden, bestanden in der Hauptsache aus unverbindlichen Empfehlungen. Beschäftigung, so das Luxemburger Fazit, bleibt auch im vereinigten Europa die Sache der nationalen Regierungen.

Statt dessen wurde der sogenannte "Luxemburger Prozeß" ins Leben gerufen. Dieser sieht unter anderem vor, den EU-BürgerInnen die berufliche Integration zu erleichtern, die Anpassungsfähigkeit der Arbeitgeber und -nehmerInnen zu verbessern und schließlich die Chancengleichheit zu gewährleisten. Einziger Beschluß des Luxemburger Gipfels: eine unverbindliche Leitlinie über das Recht und die Pflicht zur Arbeit. Ab 2003 sollen die Jugendlichen in der EU spätestens nach sechs Monaten Erwerbslosigkeit einen Anspruch auf einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz haben; Erwachsene müssen nach einem Jahr ohne Job weitergebildet, umgeschult oder eingestellt werden.

Bei einem solch schwachen Resultat konnte selbst Gastgeber Jean-Claude Juncker, Christdemokrat und Luxemburgs Premierminister, seine Enttäuschung nicht verbergen. "J'en ai marre (Ich habe die Nase voll)", hatte er den verblüfften Arbeitsministern wenige Tage zuvor auf einem der zahlreichen Vorbereitungstreffen zugerufen.

In den meisten Mitgliedsstaaten hat sich die Beschäftigungslage in den letzten Jahren alles andere als verbessert; derzeit gibt es in der Union 20 Millionen Arbeitslose. Als Ausweg aus dem Job-Desaster forderte der britischen Premiers Tony Blair auf dem EU-Gipfel im Juni 1998 in Cardiff von den Mitgliedsstaaten Strukturreformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit.

Unter dem deutschen Vorsitz sollten beide Teile - die soziale Komponente der Luxemburger Leitlinien und die marktwirtschaftlichen Vorgaben aus Cardiff - kombiniert werden. Schon nach den ersten Verhandlungen stand allerdings fest: Auch der langersehnte "Europäische Beschäftigungspakt" wird wohl kaum verbindliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit enthalten. Das bestätigten auch die Arbeits-, Sozial-, Wirtschafts- und Finanzminister, als sie sich Anfang letzter Woche zum Jumbo-Rat trafen.

Während Frankreich beispielsweise vorschlägt, die Beschäftigung durch eine Zielsetzung von drei Prozent Wachstum, notfalls auch durch staatliche Investitionen angestoßen, in den kommenden Jahren zu fördern, wollen andere von solchen Vorgaben nichts wissen. Vor allem Großbritannien und Spanien legten Veto ein, ein europaweiter Mindestlohn wurde ebenso abgelehnt. Eine Einigung in puncto europäische Steuerpolitik ist auch nicht in Sicht.

Der größte "Mehrwert" des Pakts, so Bundesfinanzminister Hans Eichel, sei die Förderung des Dialogs. Mit am Tisch des Jumbo-Rats saßen Vertreter der Europäischen Zentralbank (EZB), der Arbeitgebervereinigung (Unice) und des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB). Und ebendiese illustre Runde soll in Zukunft öfter tagen. "Das ist durchaus als positiv zu bezeichnen", findet Karl Feldengut, internationaler Sekretär beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). An den Demonstrationen gegen den EU-Gipfel wollte sich der DGB daher nicht beteiligen.

Ähnlich wie vor zwei Jahren in Amsterdam, als ebenfalls ohne Unterstützung des EGB gegen die EU-Politik demonstriert wurde, folgten am vergangenen Samstag in Köln rund 30.000 Menschen dem Aufruf der "Europäischen Märsche gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung, Rassismus und Krieg". Begleitet von 6.000 PolizistInnen zogen linke Gewerkschaftsgruppen und Erwerbslosenorganisationen aus ganz Europa aber auch Flüchtlingsinitiativen und Migrantengruppen durch die Domstadt. "Allein eine starke und koordinierte internationale soziale Bewegung kann soziale Veränderungen und eine Umverteilung der Reichtümer erzwingen", hatte es in einem Aufruf zu der Demonstration geheißen.

Auf der Auftaktkundgebung forderte der Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), Franz-Josef Möllenberg, von den EU-Staats- und Regierungschefs: "Schafft endlich Arbeit und schafft soziale Gerechtigkeit in Europa!" Im Gegensatz zum DGB hatte sich die NGG auf ihrem Gewerkschaftstag im letzen Jahr für eine Beteiligung an den Euromärschen ausgesprochen. Auch der Hauptvorstand der IG Medien und Vorstandsmitglieder der HBV und der GEW, sowie zahlreiche Vertrauenskörperschaften, Betriebs- und Personalräte der IG Metall, der ÖTV und anderer Gewerkschaften riefen zu der Demonstration auf.

Die Euromarsch-Demonstration bildete den Auftakt zu einer Demo-Trilogie gegen die Kölner Gipfel, die am Donnerstag (nach Redaktionsschluß) mit einer "Internationalen Linksradikalen Demonstration" fortgesetzt werden sollte. Das originelle Motto: "Widerstand gegen das Europa der Herrschenden! Zerschlagt die NATO, die weltweite Zentrale des Imperialismus!" Den Abschluß bildet eine Demo am 19. Juni gegen den Weltwirtschaftsgipfel.

Einen kleinen Vorgeschmack, was den Protestierenden während der heißen Gipfel-Tage blühen dürfte, bekam auf der Euromarsch-Demonstration, die ansonsten auch nach Polizeiangaben "Volksfestcharakter" hatte, schon mal der "antifaschistische Block". Die knapp über 1.000 autonomen Antifas wurden in einem engen Polizeispalier durch die Stadt gelotst und kurzzeitig ohne ersichtlichen Grund eingekesselt. Der Protestzug wurde dadurch in mehrere Teile auseinandergerissen. Überdies hatte die Polizei bereits in Emmerich am Niederrhein einen Bahnwaggon abgekoppelt, in dem niederländische EuromarschiererInnen angeblich randaliert haben sollen. Bis zum 21. Juni 1999 sind insgesamt 12.000 Polizisten in der Stadt am Rhein stationiert, um den EU-Regierungsgipfel und das zwei Wochen später stattfindende Treffen der G7/G8-Staats- und Regierungschefs vor unbotmäßigen KritikerInnen zu beschützen.


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