10.06.1999



Abpfiff vor dem Anpfiff

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*   Abpfiff vor dem Anpfiff
Von Pascal Beucker

Noch- und ex-grüne Kriegsgegner sind sich nicht mehr grün. Wahlaufruf "Keine Stimme für die Kriegsparteien" spaltet Dortmunder Netzwerktreffen.

Es war eine undankbare Aufgabe: Ausgerechnet Ulrich Cremer und Heike Sudmann mußten am Sonntag abend die Ergebnisse des Dortmunder Treffens noch- und ex-grüner Kriegsgegner präsentieren.

Dabei konnten sie am wenigsten für das Desaster, das sie zuvor im Audimax der Dortmunder Uni miterleben mußten. Denn die beiden Hamburger hatten versucht zu vermitteln. Aber sie sind gescheitert. "Wir haben das Problem gehabt, daß zwei rasende Züge aufeinander zufuhren und wir noch versuchten, ein paar Haltesignale zu setzen", erklärte Cremer. "Das ist uns nicht gelungen."

Nun ging es nur noch um Schadensbegrenzung. Cremer und Sudmann flüchteten sich ins Fußballerlatein, um den Ausgang des Treffens schönzureden. "Ich sehe das so, daß ein Spiel 90 Minuten dauert", herbergerte Cremer. Am Anfang habe es vielleicht noch ein paar Probleme in der Abstimmung gegeben. Nun müsse versucht werden, das zu korrigieren. "Wir sind jetzt vielleicht in der Halbzeitpause in der Kabine, wo wir uns noch ein bißchen beraten und überlegen, wie wir die zweite Halbzeit erfolgreich gestalten können", so der Initiator der grünen Anti-Kriegsinitiative, der trotz der Niederlage der Kriegsgegner auf dem Parteitag von Bielefeld Mitglied der Grünen geblieben ist.

Über 500 Noch- und Ex-Grüne waren nach Dortmund gekommen, um gemeinsam ein "außerhalb der Grünen Partei angesiedeltes unabhängiges Netzwerk mit der Fähigkeit zu politischer Intervention aufzubauen", wie es in einem von der Versammlung mit großer Mehrheit beschlossenen "Grundsatzpapier" heißt. Angestrebt werde eine Zusammenarbeit "mit der Linken in Gewerkschaften und der SPD, mit ökologischen und feministischen Initiativen, mit Arbeitsloseninitiativen sowie mit anderen Teilen des links-alternativen Spektrums des Bundesrepublik".

Doch schon bei der Zusammenarbeit untereinander haperte es. "Wie nah oder fern wollen wir uns zur grünen Partei positionieren, das ist hier das Spannendste", so das ehemalige Vorstandsmitglied der Bochumer Grünen, Martin Budich. Budich war nach dem Bielefelder Parteitag ausgetreten und stand nun in Dortmund zusammen mit dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten Eckhard Stratmann-Mertens für eine scharfe Abgrenzung gegenüber der einstigen Ökopaxe-Partei. Auf einem "Netzwerk-Vorbereitungstreffen des Ruhrgebiets" am vergangenen Mittwoch in Bochum hatten die beiden bereits ihre Linie festgelegt. Ein Aufruf "Keine Stimme für die Kriegsparteien!" - also auch keine für die Grünen - müsse beschlossen werden. Für den Fall, daß sie damit in Dortmund unterliegen würden, hatten sie geplant, aus dem Netzwerktreffen auszuziehen und es damit zu spalten.

Ihnen gegenüber stand die inzwischen auf neun Personen angewachsene Riege der Kriegsgegner in der grünen Bundestagsfraktion um Christian Ströbele, Annelie Buntenbach und Christian Simmert sowie mehrere nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete. Sie wollen weiter in den Grünen für ihre Positionen kämpfen. "Wir bleiben der Sand im Getriebe", erklärte Simmert. Und Ströbele rief der Versammlung zu: "Ich sehe überhaupt nicht ein, diesen Laden, den ich mit aufgebaut habe, den anderen zu überlassen." Von Anfang an machten sie deutlich, daß sie einen Anti-Grünen-Wahlaufruf nicht würden mittragen können. Sie wollten einen Kompromiß, der auch Einzug hielt in eines der beiden verabschiedeten Grundsatzpapiere zur Netzwerkgründung. Dort heißt es zur Europawahl am 13. Juni: "Ein Teil der linken WählerInnen, die in den letzten Jahren häufig grün gewählt haben, werden dies - wie viele TeilnehmerInnen dieser Konferenz - nicht mehr tun."

Doch damit wollten sich die Ruhrgebiets-Ex-Grünen nicht zufriedengeben. Alle Vermittlungsversuche der Hamburger "Regenbogen"-Gruppe schlugen fehl. "An einer integrativen Wirkung auf die Grünen habe ich kein Interesse", erklärte Stratmann-Mertens unter großem Beifall. Das geplante Netzwerk dürfe "nicht das Rückhaltebecken der Grünen werden". Er bestand auf einer Abstimmung über seinen "Wahlaufruf". Er bekam sie - und gewann mit 188 zu 166 Stimmen.

Für die unterlegenen Bundestagsabgeordneten war damit das Treffen beendet. Frustriert zogen sie aus und bezeichneten den Beschluß als "grundfalsch", "destruktiv" und "sektiererisch". Der beschlossene "Wahlaufruf" grenze diejenigen Kriegsgegner aus, die weiterhin in den Grünen verbleiben wollten, kritisierte Annelie Buntenbach. Für Christian Ströbele hat sich das Netzwerk "schon bei seiner Gründung selbst ein Bein gestellt". Das einzig Positive daran sei, daß er nun nicht mehr "mit destruktiven Selbstdarstellern wie Stratmann-Mertens" zusammenarbeiten müsse, bemerkte sarkastisch Christian Simmert.

Er hatte in einem "Plädoyer für ein gemeinsames politisches Netzwerk" im Vorfeld versucht, den Spagat zwischen Noch- und Ex-Grünen auf dem Dortmunder Treffen möglich zu machen: "Gleich, welche Konsequenzen aus dem Bielefelder Beschluß gezogen worden sind, es werden Konsequenzen gezogen, die jeder für sich zu entscheiden hat oder entscheiden wird und die wir alle gegenseitig respektieren müssen", heißt es in dem Papier. Es sei "absurd zu glauben, man könnte ein Netzwerk instrumentalisieren, um eine neue 'innerparteiliche Strömung'zu bilden, die nichts anderes ist als die altbekannte Absicherung eigener Machtstrukturen - diese Option ist falsch!" Genauso absurd und falsch sei es allerdings "zu glauben, aus Bielefeld die Konsequenz dadurch ziehen zu können, nun eine 'Gruppierung der Ausgetretenen' oder eine neue Partei zu gründen".

Simmerts Vorhaben ist mißlungen. Man wird zukünftig getrennte Wege gehen. Es gebe keine gemeinsame Arbeitsgrundlage mehr mit denen, die zum Boykott der Grünen aufgerufen hätten, erklärte Simmerts Fraktionskollegin Steffi Lemke. Und auch für die Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, Gila Altmann, einzige bekennende Kriegsgegnerin in der Schröder-Regierung, meinte: "Grüne gegen Grüne - dafür bin ich nicht zu haben."

Nach dem Auszug der grünen Abgeordneten zusammen mit anderen bislang in der Partei Verbliebenen wurde die geplante Konstituierung eines Netzwerk-Arbeitsausschusses verschoben. Das neugegründete Netzwerk wird nun wohl nicht mehr als eine kurzlebige Existenz als Bund grüner Heimatvertriebener haben. Heike Sudmann bleibt trotz allem optimistisch: "Die Türen sind nicht zu; einige gehen vielleicht schwerer auf, aber wir hoffen, wir kriegen das noch hin."

Zwar war sich die Mehrheit der Anwesenden einig, daß sie bei der Europawahl am kommenden Sonntag nicht mehr Grün wählen werden. Nicht einig jedoch sind sie über mögliche Alternativen. So will Eckhard Stratmann-Mertens zwar zur Wahl gehen - "wegen der Wahlbeteiligung" -, seinen Stimmzettel jedoch ungültig machen. Seine Position, die PDS sei trotz ihrer Anti-Kriegsposition nicht wählbar, fand im Plenum viel Aplaus.

Doch es gibt auch andere Stimmen. In einem Aufruf haben elf ex-grüne Ruhrpöttler sich bekannt: "Wir bedauern: diesmal PDS." Zwar würden sie "lieber anders wählen", so der Kreis um die ehemaligen Vorstandssprecher der Dortmunder Grünen, Till Strucksberg und Guida de Lima Werner, aber diesmal müsse "der Wahlzettel zum Denkzettel" werden.

Die PDS hatte ihren nordrhein-westfälischen Landessprecher Knud Vöcking nach Dortmund geschickt. Eine kluge Entscheidung. Denn Vöcking, der selber bis Mitte der neunziger Jahre den Grünen angehört hatte, kennt sich gut aus. Mit dem Wortführer der Bochumer Ex-Grünen, Martin Budich, hatte er Anfang der achtziger Jahre in der FDP zusammengearbeitet, gegen Christian Simmert kandidierte er bei der Bundestagswahl als PDS-Direktkandidat im Kreis Warendorf.

Auch die Kommunistische Partei Deutschlands, Stuttgart, war in die Ruhrmetropole gekommen und wandte sich per Flugblatt an die "lieben Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner": "Was uns Kommunisten betrifft: Wir wollen und können nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Kommunisten bisher eine kleine Kraft geblieben sind." Manch einer habe bei den Grünen Möglichkeiten einer fortschrittlichen Politik gesehen, wußte die KPD zu berichten. Aber: "Diese Kräfte für kommunistische Politik einzusetzen, wäre nützlicher gewesen." Wie viele der versammelten Noch- und Ex-Grünen nun den Roten Morgen, das Vereinsblatt der Revolutionäre, "6 Wochen unverbindlich und kostenlos" bestellt haben, konnte leider nicht ermittelt werden.


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