10.06.1999



Nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel

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*   Nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel
Von Pascal Beucker

Ob Gerhard Schröder, Jutta Ditfurth, Gianna Nannini oder Kardinal Meisner - die EU-Gipfel-Events bestätigten, was die Kölner schon immer wußten: Hier ist der Nabel der Welt. Und dabei kommt Clinton erst noch.

Protest gegen WeltwirtschaftsgipfelSie trafen sich an einem historischen Datum an einem altehrwürdigen Ort. Denn der zwischen 1437 und 1444 als Festhaus der Kölner Bürger gebaute Gürzenich hat schon viele große Ereignisse erlebt. So beispielsweise 1959, vor vierzig Jahren. Da wurde erstmals mit Ferdi I. ein Kölner Karnevalsprinz im Gürzenich proklamiert. Hätte es einen passenderen Veranstaltungsort für den EU-Gipfel geben können, wo doch auch dieses Jahr bereits viele bedeutende Events hier stattfanden? Die Premieren-Sitzung der Kölsche Funke rut-wieß, zum Beispiel. Und das "Fest in Blau" der Kölner Funken-Artillerie von 1870 e.V. Blaue Funken. Nicht zu vergessen die "Sitzung mit Damen" der Kölner KG tafaba 1949 e.V. Am vergangenen Donnerstag und Freitag kamen nun also die Staats- und Regierungschefs Europas hier zusammen.

Erstaunlich, daß die Welt überhaupt etwas vom Verlauf des EU-Gipfels erfahren hat. Denn eigentlich hatten die angereisten Journalisten gar keine Zeit, um über ihn zu berichten. Für sie war am Heumarkt innerhalb von drei Wochen für drei Millionen Mark der 44 Tonnen schwere "Millenium-Dome"errichtet worden. Dort verspeisten die Journalisten an den beiden Gipfeltagen 700 Kilo Lachs, 40 Kilo Forellen, 30 Kilo Aal und 30.000 belegte Brötchen.

Zudem erhielt jeder Akkreditierte zwei Essensmarken, mit denen er in einer von 28 Gaststätten der Umgebung speisen konnte. Hier schien jedoch so mancher Gastronom nicht ausreichend vorgesorgt zu haben: Wer am Donnerstag Abend die im Restaurant-Führer empfohlenen Scampis probieren wollte, hatte Pech. "Alles weg", erklärt ein gestreßter Kellner, "heute mittag sind die hier eingefallen wie bei einer Heuschreckenplage in Afrika."

Wie sehr der Verzehr solcher Köstlichkeiten eventuell die Arbeitsfähigkeit zu beeinflussen mag, konnten besonders Gesundheitsbewusste auf der Stelle überprüfen. Nach dem Motto "Fit for the summit" bot die Firma Bayer Leverkusen auf ihrem Stand den "Bayer Health Check" an, bei dem nach Bedarf an Ort und Stelle der Blutzuckerspiegel gemessen wurde.

Journalisten essen nicht nur gern. Nach Auskunft von Wolfram Wickert vom Bundespresseamt haben sie im Pressezelt auch noch 12.000 Stangen Kölsch und 7.000 Gläser Pils geleert. Zwölf Millionen Mark hat sich das Bundespresseamt die Journalisten-Betreuung kosten lassen.

Bitter allerdings für journalistische Kampftrinker: Ins Zelt kam nur herein, wer sich einem Body- und Gepäckcheck stellte. Und die Mitnahme von Flaschen in das Zelt war untersagt, Flachmänner mußten also draußen bleiben. Für gehörige Konfusion sorgte jedoch die Stadt Köln mit ihrem "Überraschungs-Pack" für Journalisten, das u.a. ein Fläschchen "4711 - Echt Kölnisch Wasser" enthielt. Wer damit wieder ins Pressezelt wollte, bei dem schlug der Röntgenapparat in der Eingangsschleuse Alarm.

Für zwei Kölner Journalisten hingegen wäre der Gipfel beinahe schon vorbei gewesen, noch bevor er begonnen hatte. Denn als Manfred Wegener, Redakteur der Kölner StadtRevue, und Gerhard Klas, Mitarbeiter des Neuen Deutschland, am Mittwoch eine Protestaktion von Vertretern niederländischer Erwerbsloseninitiativen und Euromarsch-Teilnehmern gegen die niederländische Firma Randstad Zeit-Arbeit beobachten wollten, machten sie unerwünschte Bekanntschaft mit der Staatsmacht.

Laut Polizeibericht hätten die Protestanten das Gebäude der Zeitarbeitsfirma "durch Farbschmierereien beschädigt". Da war entschlossenes Eingreifen angesagt. Unter den 26 Verhafteten: Wegener und Klas. Obwohl sie ihre offizielle Akkreditierung um den Hals trugen, wurden die Journalisten in Plastikfesseln zum Polizeipräsidium am Waidmarkt gebracht. "Nachdem die beiden Journalisten im Verlauf der polizeilichen Maßnahmen als Pressevertreter erkannt worden waren, wurden sie umgehend freigelassen", heißt es im Polizeibericht. Das war nach eineinhalb Stunden. Die Polizei bedauerte.

Überhaupt wurde Sicherheit in Köln groß geschrieben. 12.000 Polizisten waren im Einsatz, um Europas Regierungschefs zu beschützen. Doch es half alles nichts: Immer noch ungeklärt ist, wie es trotz aller Sicherheitsvorkehrungen einem Touristen gelingen konnte, mit seiner ADAC-Karte bis in die Bannmeile vorzudringen. Dabei hatte man sich solche Mühe gegeben. Wen es an diesen Tagen in die Kölner Altstadt trieb, der mußte sich durch ein Absperrungslabyrinth kämpfen. Zwei Sicherheitszonen sorgten für Ordnung: Nur Gipfelteilnehmer und akkreditierte Personen waren für die "rote Zone" zugelassen. In die "blaue Zone" durfte außer Anwohnern nur derjenige, der "nicht verdächtig aussieht oder sich so verhält".

Ansonsten zeigte sich Köln jedoch von seiner Sonnenseite. Damit Schröder, Blair, Chirac & Co. in der Domstadt nichts entbehren mußten, war sogar Kölns Bordell, das "Erotik-Hotel Pascha", ganz auf Gipfel gerüstet. Die Etagen des Etablissements wurden für die tollen Tage in Hauptstädte der EU-Länder umbenannt, mit Frauen aus diesen Ländern belegt und die Zimmer mit Euro-Fähnchen und Plakaten geschmückt. Außerdem orderte "Pascha"-Betreiber Herbert Wachtel 5.000 Euro-Kondome: blau, mit gelben Sternen bedruckt.

Der "Widerstand gegen das Europa der Herrschenden!" fiel demgegenüber eher spärlich aus. Zur "Bundesweiten Linksradikalen Demo" am Donnerstag kamen wohlwollend gezählte 3.000 Demonstranten. Vielleicht lag es daran, daß der Ort der Auftaktkundgebung noch kurzfristig geändert werden mußte. Nicht auf dem in Gipfelnähe gelegenen Offenbachplatz, sondern in gebührender Entfernung am Ebertplatz durften sich die "selbsternannten 'Linksradikalen'" (Kölner Stadt-Anzeiger) versammeln. So blieb der Kreis überschaubar, der Jutta Ditfurths Aufforderung Beifall zollte, "dieses Land, dieses Herrschaftssystem zu destabilisieren, wo immer wir es treffen".

Der befürchtete Polizeieinsatz fiel unterdessen aus. Die Demonstranten konnten drei Stunden in einem lockeren Polizeispalier und ohne weitere Beachtung durch die Stadt marschieren. Die Polizei zeigte sich nach der Demonstration zufrieden. Die hohe Polizeipräsenz habe ebenso zu einem friedlichen Verlauf beigetragen wie die intensiven Kooperationsgespräche mit dem Veranstalter, verkündeten nachher Polizeipräsident Jürgen Roters und Einsatzleiter Winrich Granitzka.

Zur gleichen Zeit wie die Linksradikalen versammelten sich auf dem Roncalli-Platz hinter dem Dom an die 6.000 Christradikale, um der feurigen Ansprache ihres Kölner Vorsitzenden, Joachim Meisner, zu lauschen. Auch Meisner beklagte die Ungerechtigkeit auf der Welt. Anschließend zog ein als "Fronleichnamsprozession" deklarierter Demonstrationszug, an dem sich auch Schützenvereine, Ritterorden und Studentenverbindungen in vollem Wichs beteiligten, durch die Kölner Innenstadt. Ausschreitungen blieben aus.

Auf der Bühne, auf der noch wenige Stunden zuvor Kardinal Meisner zu seinen Schäfchen sprach, zelebrierten am Donnerstagabend vor rund 6.000 Zuschauern Gianna Nannini und Fury In The Slaughterhouse das kulturelle Beiwerk zum Gipfel. Natürlich für einen guten Zweck: für Kosovo-Flüchtlinge. Für wen sonst. Für Journalisten gab's nicht nur Frei-, sondern "Ehrenkarten". Leider veranstalteten Gerhard Schröder und Martti Ahtisaari ihre "Friedenspressekonferenz" zur gleichen Zeit.

Natürlich wurde an den Gipfeltagen auch eifrig diskutiert. Zum Beispiel unter den Journalisten, die auf die Abschlußpressekonferenz warteten: Warum tagten die Regierungschefs zwei Stunden länger als geplant? Einige meinten, es gäbe noch um irgend etwas Streit. Andere, der Österreichische Bundeskanzler Viktor Klima habe Geburtstag, weshalb noch eine Torte angeschnitten werden müsse. Ebenso diskussionsfreudig: die linken EU-Kritiker. Nur das Miteinander-Diskutieren fiel ihnen schwer. Noch vor EU-Gipfelbeginn trafen sich rund 400 Teilnehmer auf dem EU-Alternativgipfel im Bürgerzentrum "Alte Feuerwache". Wer fehlte? Die etwa 70 Leute, die sich zum "Internationalen Linksradikalen Gegenkongreß gegen den EU-Gipfel" zusammenfanden - ebenfalls in der "Alten Feuerwache".

Und dann gab's natürlich noch die Antinationalen. Da ihnen wegen ihrer "unsolidarischen Kritik" an den sogenannten nationalen Befreiungsbewegungen das Forum auf dem Gegenkongreß entzogen wurde, mußten sie ihr eigenes machen: "Last Exit Nation" im Bürgerzentrum "Mütze" in Köln Mülheim - auf der "Schäl Sick", der anderen Rheinseite. Hierhin zog es am Freitag bis zu 100 Menschen.

"Die ganze Welt feiert Köln", titelte der Express zum Abschluß des Gipfels. Läßt sich das noch steigern? In einer Woche erwartet die Stadt die Staats- und Regierungschefs nicht nur Europas, sondern der Welt. Ob dann die ganze Galaxis feiern wird? Zumindest in Köln glaubt man fest daran.


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