Ob Gerhard Schröder,
Jutta Ditfurth, Gianna Nannini oder Kardinal Meisner -
die EU-Gipfel-Events bestätigten, was die Kölner schon
immer wußten: Hier ist der Nabel der Welt. Und dabei
kommt Clinton erst noch.
Sie trafen sich an einem historischen Datum
an einem altehrwürdigen Ort. Denn der zwischen 1437 und
1444 als Festhaus der Kölner Bürger gebaute Gürzenich
hat schon viele große Ereignisse erlebt. So
beispielsweise 1959, vor vierzig Jahren. Da wurde
erstmals mit Ferdi I. ein Kölner Karnevalsprinz im
Gürzenich proklamiert. Hätte es einen passenderen
Veranstaltungsort für den EU-Gipfel geben können, wo
doch auch dieses Jahr bereits viele bedeutende Events
hier stattfanden? Die Premieren-Sitzung der Kölsche
Funke rut-wieß, zum Beispiel. Und das "Fest in
Blau" der Kölner Funken-Artillerie von 1870 e.V.
Blaue Funken. Nicht zu vergessen die "Sitzung mit
Damen" der Kölner KG tafaba 1949 e.V. Am
vergangenen Donnerstag und Freitag kamen nun also die
Staats- und Regierungschefs Europas hier zusammen.
Erstaunlich, daß die Welt
überhaupt etwas vom Verlauf des EU-Gipfels erfahren hat.
Denn eigentlich hatten die angereisten Journalisten gar
keine Zeit, um über ihn zu berichten. Für sie war am
Heumarkt innerhalb von drei Wochen für drei Millionen
Mark der 44 Tonnen schwere
"Millenium-Dome"errichtet worden. Dort
verspeisten die Journalisten an den beiden Gipfeltagen
700 Kilo Lachs, 40 Kilo Forellen, 30 Kilo Aal und 30.000
belegte Brötchen.
Zudem erhielt jeder
Akkreditierte zwei Essensmarken, mit denen er in einer
von 28 Gaststätten der Umgebung speisen konnte. Hier
schien jedoch so mancher Gastronom nicht ausreichend
vorgesorgt zu haben: Wer am Donnerstag Abend die im
Restaurant-Führer empfohlenen Scampis probieren wollte,
hatte Pech. "Alles weg", erklärt ein
gestreßter Kellner, "heute mittag sind die hier
eingefallen wie bei einer Heuschreckenplage in
Afrika."
Wie sehr der Verzehr
solcher Köstlichkeiten eventuell die Arbeitsfähigkeit
zu beeinflussen mag, konnten besonders
Gesundheitsbewusste auf der Stelle überprüfen. Nach dem
Motto "Fit for the summit" bot die Firma Bayer
Leverkusen auf ihrem Stand den "Bayer Health
Check" an, bei dem nach Bedarf an Ort und Stelle der
Blutzuckerspiegel gemessen wurde.
Journalisten essen nicht
nur gern. Nach Auskunft von Wolfram Wickert vom
Bundespresseamt haben sie im Pressezelt auch noch 12.000
Stangen Kölsch und 7.000 Gläser Pils geleert. Zwölf
Millionen Mark hat sich das Bundespresseamt die
Journalisten-Betreuung kosten lassen.
Bitter allerdings für
journalistische Kampftrinker: Ins Zelt kam nur herein,
wer sich einem Body- und Gepäckcheck stellte. Und die
Mitnahme von Flaschen in das Zelt war untersagt,
Flachmänner mußten also draußen bleiben. Für
gehörige Konfusion sorgte jedoch die Stadt Köln mit
ihrem "Überraschungs-Pack" für Journalisten,
das u.a. ein Fläschchen "4711 - Echt Kölnisch
Wasser" enthielt. Wer damit wieder ins Pressezelt
wollte, bei dem schlug der Röntgenapparat in der
Eingangsschleuse Alarm.
Für zwei Kölner
Journalisten hingegen wäre der Gipfel beinahe schon
vorbei gewesen, noch bevor er begonnen hatte. Denn als
Manfred Wegener, Redakteur der Kölner StadtRevue, und
Gerhard Klas, Mitarbeiter des Neuen Deutschland, am
Mittwoch eine Protestaktion von Vertretern
niederländischer Erwerbsloseninitiativen und
Euromarsch-Teilnehmern gegen die niederländische Firma
Randstad Zeit-Arbeit beobachten wollten, machten sie
unerwünschte Bekanntschaft mit der Staatsmacht.
Laut Polizeibericht
hätten die Protestanten das Gebäude der
Zeitarbeitsfirma "durch Farbschmierereien
beschädigt". Da war entschlossenes Eingreifen
angesagt. Unter den 26 Verhafteten: Wegener und Klas.
Obwohl sie ihre offizielle Akkreditierung um den Hals
trugen, wurden die Journalisten in Plastikfesseln zum
Polizeipräsidium am Waidmarkt gebracht. "Nachdem
die beiden Journalisten im Verlauf der polizeilichen
Maßnahmen als Pressevertreter erkannt worden waren,
wurden sie umgehend freigelassen", heißt es im
Polizeibericht. Das war nach eineinhalb Stunden. Die
Polizei bedauerte.
Überhaupt wurde
Sicherheit in Köln groß geschrieben. 12.000 Polizisten
waren im Einsatz, um Europas Regierungschefs zu
beschützen. Doch es half alles nichts: Immer noch
ungeklärt ist, wie es trotz aller
Sicherheitsvorkehrungen einem Touristen gelingen konnte,
mit seiner ADAC-Karte bis in die Bannmeile vorzudringen.
Dabei hatte man sich solche Mühe gegeben. Wen es an
diesen Tagen in die Kölner Altstadt trieb, der mußte
sich durch ein Absperrungslabyrinth kämpfen. Zwei
Sicherheitszonen sorgten für Ordnung: Nur
Gipfelteilnehmer und akkreditierte Personen waren für
die "rote Zone" zugelassen. In die "blaue
Zone" durfte außer Anwohnern nur derjenige, der
"nicht verdächtig aussieht oder sich so
verhält".
Ansonsten zeigte sich
Köln jedoch von seiner Sonnenseite. Damit Schröder,
Blair, Chirac & Co. in der Domstadt nichts entbehren
mußten, war sogar Kölns Bordell, das "Erotik-Hotel
Pascha", ganz auf Gipfel gerüstet. Die Etagen des
Etablissements wurden für die tollen Tage in
Hauptstädte der EU-Länder umbenannt, mit Frauen aus
diesen Ländern belegt und die Zimmer mit Euro-Fähnchen
und Plakaten geschmückt. Außerdem orderte
"Pascha"-Betreiber Herbert Wachtel 5.000
Euro-Kondome: blau, mit gelben Sternen bedruckt.
Der "Widerstand gegen
das Europa der Herrschenden!" fiel demgegenüber
eher spärlich aus. Zur "Bundesweiten Linksradikalen
Demo" am Donnerstag kamen wohlwollend gezählte
3.000 Demonstranten. Vielleicht lag es daran, daß der
Ort der Auftaktkundgebung noch kurzfristig geändert
werden mußte. Nicht auf dem in Gipfelnähe gelegenen
Offenbachplatz, sondern in gebührender Entfernung am
Ebertplatz durften sich die "selbsternannten
'Linksradikalen'" (Kölner Stadt-Anzeiger)
versammeln. So blieb der Kreis überschaubar, der Jutta
Ditfurths Aufforderung Beifall zollte, "dieses Land,
dieses Herrschaftssystem zu destabilisieren, wo immer wir
es treffen".
Der befürchtete
Polizeieinsatz fiel unterdessen aus. Die Demonstranten
konnten drei Stunden in einem lockeren Polizeispalier und
ohne weitere Beachtung durch die Stadt marschieren. Die
Polizei zeigte sich nach der Demonstration zufrieden. Die
hohe Polizeipräsenz habe ebenso zu einem friedlichen
Verlauf beigetragen wie die intensiven
Kooperationsgespräche mit dem Veranstalter, verkündeten
nachher Polizeipräsident Jürgen Roters und
Einsatzleiter Winrich Granitzka.
Zur gleichen Zeit wie die
Linksradikalen versammelten sich auf dem Roncalli-Platz
hinter dem Dom an die 6.000 Christradikale, um der
feurigen Ansprache ihres Kölner Vorsitzenden, Joachim
Meisner, zu lauschen. Auch Meisner beklagte die
Ungerechtigkeit auf der Welt. Anschließend zog ein als
"Fronleichnamsprozession" deklarierter
Demonstrationszug, an dem sich auch Schützenvereine,
Ritterorden und Studentenverbindungen in vollem Wichs
beteiligten, durch die Kölner Innenstadt.
Ausschreitungen blieben aus.
Auf der Bühne, auf der
noch wenige Stunden zuvor Kardinal Meisner zu seinen
Schäfchen sprach, zelebrierten am Donnerstagabend vor
rund 6.000 Zuschauern Gianna Nannini und Fury In The
Slaughterhouse das kulturelle Beiwerk zum Gipfel.
Natürlich für einen guten Zweck: für
Kosovo-Flüchtlinge. Für wen sonst. Für Journalisten
gab's nicht nur Frei-, sondern "Ehrenkarten".
Leider veranstalteten Gerhard Schröder und Martti
Ahtisaari ihre "Friedenspressekonferenz" zur
gleichen Zeit.
Natürlich wurde an den
Gipfeltagen auch eifrig diskutiert. Zum Beispiel unter
den Journalisten, die auf die Abschlußpressekonferenz
warteten: Warum tagten die Regierungschefs zwei Stunden
länger als geplant? Einige meinten, es gäbe noch um
irgend etwas Streit. Andere, der Österreichische
Bundeskanzler Viktor Klima habe Geburtstag, weshalb noch
eine Torte angeschnitten werden müsse. Ebenso
diskussionsfreudig: die linken EU-Kritiker. Nur das
Miteinander-Diskutieren fiel ihnen schwer. Noch vor
EU-Gipfelbeginn trafen sich rund 400 Teilnehmer auf dem
EU-Alternativgipfel im Bürgerzentrum "Alte
Feuerwache". Wer fehlte? Die etwa 70 Leute, die sich
zum "Internationalen Linksradikalen Gegenkongreß
gegen den EU-Gipfel" zusammenfanden - ebenfalls in
der "Alten Feuerwache".
Und dann gab's natürlich
noch die Antinationalen. Da ihnen wegen ihrer
"unsolidarischen Kritik" an den sogenannten
nationalen Befreiungsbewegungen das Forum auf dem
Gegenkongreß entzogen wurde, mußten sie ihr eigenes
machen: "Last Exit Nation" im Bürgerzentrum
"Mütze" in Köln Mülheim - auf der
"Schäl Sick", der anderen Rheinseite. Hierhin
zog es am Freitag bis zu 100 Menschen.
"Die ganze Welt
feiert Köln", titelte der Express zum Abschluß des
Gipfels. Läßt sich das noch steigern? In einer Woche
erwartet die Stadt die Staats- und Regierungschefs nicht
nur Europas, sondern der Welt. Ob dann die ganze Galaxis
feiern wird? Zumindest in Köln glaubt man fest daran.
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