17.06.1999



Und tschüß ...

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Von Pascal Beucker

Die Kölner Grünen entledigen sich ungebetener ausländischer Gäste, wie es sich für eine "Menschenrechtspartei" gehört: Sie lassen von der Polizei räumen.

Ralf Schmidt kann endlich wieder in Ruhe arbeiten. Elf Tage lang hat der Kreisgeschäftsführer der Kölner Grünen mit einem guten Dutzend Flüchtlingen die Büroräume am Ebertplatz teilen müssen. Es war eine schlimme Zeit. "Während der Besetzung wurden Materialien aus dem Büro gestohlen, Wände besprüht und Möbel zerstört", klagen die Domstadt-Grünen. Nur schade, daß die Pressevertreter keinerlei Verwüstungen in den Räumen entdecken konnten.

Aber jetzt ist der böse Spuk vorbei. Am Dienstag, um 9 Uhr morgens, räumte die Polizei die grüne Geschäftsstelle. Die Grünen hatten Anzeige wegen "Hausfriedensbruch" gestellt. Aus "Sicherheitsgründen". Es war höchste Zeit. "Wir haben einen Hinweis von Außen bekommen, daß mit Drogen gehandelt wird", berichtet Kreissprecherin Heidi Näpflein in einer eilig einberufenen Pressekonferenz nach der Säuberung. In einem Gespräch am Dienstagnachmittag konkretisiert sie ihren Vorwurf: "Uns ist eine Postkarte zugekommen, wo jemand seinen Verteiler suchte und sagte, der sitzt ja jetzt bei euch, sagt ihm mal Bescheid: Wir brauchen Stoff." Da die ungebetenen Gäste aus aller Herren Länder der mehrfachen Aufforderung, die Geschäftsstelle zu verlassen, nicht nachkamen, war entschlossenes Handeln angesagt. "Somit war die Räumung leider eine notwendige Konsequenz", so Näpfleins Sprecherkollege Stefan Peil.

Elf Tage lang hatten die Flüchtlinge in der grünen Kreisgeschäftsstelle gehungert. Einen ihrer Mitstreiter hatten sie schon verloren: Letzte Woche war Alex Alayo Chavez auf der Autobahn zwischen Köln und Hamburg von deutschen Zivilpolizisten festgenommen und unter dem Vorwurf des illegalen Aufenthalts inhaftiert worden. Doch die anderen Besetzer von der "Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen" wollten weiter durchhalten. Bis zum heute beginnenden Weltwirtschaftsgipfel. "Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört", hatten sie verkündet und wollten "gegen rassistischen Terror und für die Menschenrechte, Gerechtigkeit und Frieden" demonstrieren.

Das Büro der Grünen hatten sich die Menschen aus Kamerun, Nigeria, Togo, Sri Lanka und der Türkei ausgesucht, weil gerade diese Partei sich wie keine andere plakativ den Einsatz für Menschenrechte auf ihre Fahnen geschrieben hat. Und hatten die Grünen nicht zudem noch in ihrem Bundestagswahlprogramm für sich den "Schutz von Flüchtlingen als oberstes Prinzip der Asylpolitik" bezeichnet? Die Flüchtlinge hätten es wissen müssen: Auch grünes Papier ist geduldig.

Der Polizeieinsatz am Dienstagmorgen überraschte einige der Besetzer noch im Schlaf. Zwölf Männer und zwei Frauen wurden vorläufig festgenommen und zum Polizeipräsidium am Waidmarkt verbracht. Am späten Nachmittag wurden sie wieder auf freien Fuß gelassen. Aber nicht alle.

Denn Ravindran Tharunalingam wurde nicht wieder freigelassen. Ihn könnte die Besetzung des grünen Büros teuer zu stehen kommen. Der Tamile wurde mit drei Haftbefehlen gesucht. Wegen Verstößen gegen das Ausländerrecht - also "Straftaten", die ein deutscher Staatsbürger nicht begehen kann. Jetzt ist Tharunalingam akut von Abschiebung bedroht. Das könnte seinen Tod bedeuten. Doch Grünen-Geschäftsführer Schmidt hat damit keine Probleme: "Jeder mußte sich darüber im klaren sein, was passieren kann, wenn er die Geschäftsstelle nicht verläßt." Wer nicht hören will, muß fühlen.

Pünktlich mit der Schließung der Wahllokale am Sonntagabend hatte der grüne Sprecherrat seine Entscheidung für die Räumung getroffen. Am Montagmittag stellte die Partei den Strafantrag und bat, so ein Polizeisprecher, "ausdrücklich um Räumung". Mitten im Wahlkampf hätte sich so etwas schlecht gemacht. Schließlich hoffte der bundesweit größte grüne Kreisverband auf den Wiedereinzug seiner Europaparlamentarierin Edith Müller. Vergeblich. Platz 9 der grünen Kandidatenliste hätte bei den letzten Europawahlen noch für ein Mandat gereicht - diesmal nicht. Gegenüber den 6,4 Prozent bundesweit schnitten die Kölner allerdings mit 14,2 Prozent gut ab.

Edith Müller war wie der Bundestagsabgeordnete Volker Beck von Anfang an in die Räumungsüberlegungen einbezogen worden. Denn ihre Wahlkreisbüros befinden sich ebenfalls in den Räumen der Geschäftsstelle am Ebertplatz. Beide hätten die Entscheidung mitgetragen, erklärt Heide Näpflein.

Auch die Führung der grünen Ratsfraktion war von der Räumung vorab informiert - und unterstützte sie. Die Partei habe versucht, Absprachen mit den Flüchtlingen zu treffen, die von ihnen jedoch nicht eingehalten worden seien, rechtfertigt Fraktionsgeschäftsführer Volker Bulla den Polizeieinsatz. "Es gab Regelverletzungen", erklärt Bulla. So hätten die Flüchtlinge angeblich die Infrastruktur der Partei lahmgelegt. Weitere Einzelheiten sollten aber besser mit der Partei besprochen werden, dazu könne er sich nicht äußern. Auch Ratsherr Jörg Frank wirft den Flüchtlingen vor, sie hätten sich nicht an Absprachen gehalten. Außerdem seien auch "Trittbrettfahrer" unter den Besetzern gewesen. "Die Situation ist einfach unerträglich geworden", meint Frank.

Doch nicht alle Grünen sind mit der Flüchtlingsentsorgungsaktion ihres Kreisverbandes einverstanden. Auch die drei Landtagsabgeordneten Daniel Kreutz, Alexandra Landsberg und Marianne Hürten haben ihre Wahlkreisbüros in der grünen Geschäftsstelle. Sie waren ahnungslos - bis es zu spät war. "Wir haben nicht daran gedacht, die anzurufen", erklärt Bulla. Die drei seien "nicht so präsent hier bei uns" und deshalb aus seiner Sicht "nicht so groß betroffen" gewesen.

Es hätte auch nur unnötige Diskussionen gegeben. Denn wären Kreutz, Landsberg und Hürten um ihre Zustimmung zu der Polizeiaktion gefragt worden, hätten sie eine eindeutige Antwort gegeben. So ist auch Daniel Kreutz entsetzt, als er von der Räumung erfährt. Schlichtweg "als Sauerei" empfindet er das Verhalten seines Kreisverbandes. "Spontan würde ich das als verbrecherisch bezeichnen", entfährt es ihm. Schnell fügt er jedoch hinzu: "Aber ich weiß natürlich, daß man das so nicht sagen darf." Kreutz sucht nach wohl abgewogenen Worten, ihm fallen jedoch keine ein. "Die ziehen durch, ohne Rücksicht auf Verluste."

Das sieht Sengül Senol genauso. Die Ratsfrau, die aus Protest gegen die grüne Kriegszustimmung Ende Mai die Grünen verließ und nun als Parteilose für die PDS zur kommenden Oberbürgermeisterwahl antritt, wirft ihrer alten Partei vor, sie hätte "mit einer fadenscheinigen Begründung einen Anlaß für die Kriminalisierung von Flüchtlingen geschaffen, die sich für ihre Menschenrechte einsetzen". Nachdem sie sich bereits von ihren pazifistischen Wahlversprechen verabschiedet hätten, gäben die Grünen in Köln nun "offenkundig auch ihr Wahlversprechen auf, sich für die Rechte von Migranten und Flüchtlingen einzusetzen". Und die Kölner PDS-Bundestagsabgeordnete Ulla Lötzer konstatiert: "Mit dem Abschluß der Europawahlen ist der Schutz von Menschenrechten, soweit es sich um Migranten handelt, für den grünen Kreisverband scheinbar erledigt." Der Verein "Kölner Appell gegen Rassismus" bezeichnet die Räumung kurz und knapp als "menschenverachtend". Eine Vertreterin des Kölner Netzwerks "Kein Mensch ist illegal" ist einfach "schockiert". Mit der Räumungsaufforderung an die Polizei hätten die Grünen bewußt die Abschiebung von Flüchtlingen als mögliche Konsequenz billigend in Kauf genommen.

Immerhin haben die Grünen inzwischen ihre Strafanzeige gegen die Flüchtlinge zurückgezogen. Wenn auch nicht ganz freiwillig. Denn dazu war eine erneute Besetzung erforderlich - diesmal der Fraktionsgeschäftsstelle am Rathaus. Kurz vor Beginn der letzten Ratssitzung vor der Sommerpause "besuchten" rund 30 Menschen die Stadtratsgrünen und forderten die Rücknahme der Anzeige. Außerdem verlangten sie, daß sich die Grünen für die Freilassung sowohl von Ravindran Tharunalingam als auch von Alex Alayo Chavez einsetzen sollten. Mehrstündige Verhandlungen unter anderem mit der Fraktionssprecherin und grünen Oberbürgermeisterkandidatin Anne Lütkes folgten. Nachdem der Kreisverband auf Druck der Fraktion schriftlich dem Polizeipräsidium mitgeteilt hatte, "den Strafantrag wegen Hausfriedensbruch gegen die ‚Karawane' sowie ggf. weitere Strafanträge in diesem Zusammenhang" zurückzuziehen, zogen die Kurzzeitbesetzer gegen Abend wieder aus den Fraktionsräumen ab.

Die freigelassenen Flüchtlinge sind niedergeschlagen. Sie hatten sich nicht vorstellen können, daß ausgerechnet die Grünen sie würden räumen lassen. Und ihnen dann noch unterstellen, sie hätten gestohlen, vandaliert und gedealt. Eine infame Lüge. Die Propagierung solcher rassistischen Stereotype ist den Flüchtlingen wohlbekannt. Aber von den Grünen? Und was wird jetzt bloß aus Ravindran Tharunalingam?

Das grüne Büro am Ebertplatz wird jetzt von Polizisten bewacht. Damit die Flüchtlinge nicht wiederkommen. Und Geschäftsführer Ralf Schmidt in Ruhe und Ordnung arbeiten kann. Man muß halt Prioritäten setzen können.


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