24.06.1999



"Viel zu wenig für einen Neuanfang"

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*   "Viel zu wenig für einen Neuanfang"
Von Pascal Beucker und Marcus Meier

Teilnehmer des 'Alternativen Weltwirtschaftsgipfels' kritisieren die Schuldenerlaß-Beschlüsse der G7-Staaten und auch die 'Erlaßjahr 2000-Kampagne'.

Sie hätten sich keinen treffenderen Ort für ihr erstes gemeinsames Essen aussuchen können: Zum Auftakt des Kölner Weltwirtschaftsgipfels nahmen die Staats- und Regierungschefs auf dem Dionysos-Mosaik im Römisch-Germanischen Museum Platz. Wer sich der Verbreitung des dionysischen Kultes widersetzt, so lehren die Widerstandsmythen der griechischen Mythologie, den wird ein trauriges Schicksal ereilen.

Ähnliches geschieht jenen Ländern, die nicht der neoliberalen Logik der reichen Staaten folgen wollen. Ihnen droht der totale Bankrott wegen Überschuldung. Noch immer werden sie von den Freunden der Deregulierung, der Privatisierung und des Sozialabbaus an die Kandare genommen, kritisierten Teilnehmer des Alternativen Weltwirtschaftgipfels und forderten von ihren etablierten Kollegen eine komplette Streichung der Schulden der ärmsten Länder - ohne Vorgaben.

Schuldenerlaß - das war auf dem Treffen der Staats- und Regierungschefs aus Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien, Japan, Kanada, den USA und Rußland ein großes Thema. Die mächtigsten Wirtschaftsnationen der Welt einigten sich darauf, den 41 ärmsten Ländern der Welt rund ein Drittel ihrer Schulden zu erlassen. Dies entspricht einer Summe mit einem gegenwärtigen Barwert von 71 Milliarden US-Dollar. Verzichtet werden soll außerdem auf die Forderung nach Rückzahlung von insgesamt 20 Milliarden US-Dollar aus bilateraler Entwicklungshilfe. Weiter sollen Verpflichtungen der betroffenen Länder beim Internationalen Währungsfonds (IWF) und bei der Weltbank in Höhe von 50 Milliarden US-Dollar erlassen werden. Zur Finanzierung soll unter anderem ein Zehntel der Goldreserven des IWF verkauft werden. Dies war bisher am Veto der vor einem dreiviertel Jahr abgewählten christlich-liberalen Regierung Deutschlands gescheitert. Zudem forderten die Regierungschefs die 1.000 größten Firmen der Welt auf, für einen 'Millenium Trust Fond' zu spenden. Sie bekannten sich außerdem dazu, die staatliche Entwicklungshilfe zu erhöhen, ohne jedoch Zahlen zu nennen.

Der britische Premier Tony Blair bezeichnete den vereinbarten Schuldenerlaß als "wahrscheinlich größten Schritt der Hilfe für die ärmsten Länder, den die internationale Gemeinschaft in vielen Jahren unternommen hat." Sein deutscher Amtskollege Gerhard Schröder kommentierte die Initiative weniger prätentiös: "Das ist das Geld, das wir längst verloren haben." Nur dann, wenn man den Ärmsten helfe, "werden sie fähig sein, mit uns Handel zu treiben", ergänzte er.

Mit dem Kölner Beschluß wurde die 1996 von den G7-Staaten ins Leben gerufene 'Heavily Indebted Poor Countries Initiative - HIPC' reformiert. Sie soll zum Abbau der übermäßigen Schuldenlast der hoch verschuldeten Länder auf ein "tragfähiges Schuldenniveau" führen. Bisher galt die Schuldenlast eines Landes als nicht mehr tragfähig, wenn seine Auslandsverschuldung dem Zweifachen der Exporterlöse entsprach. Nun darf sie die Gewinne aus dem internationalen Handel nur noch um das Anderthalbfache überschreiten. Dadurch wurde der Kreis der von der HIPC-Initiative profitierenden Länder von bisher 29 auf jetzt 41 Länder erhöht.

Diese Länder haben bei den nördlichen Industrieländern etwa 210 Milliarden US-Dollar öffentliche und private Schulden angehäuft. Oft können sie nicht einmal mehr die Zinsen bezahlen, von einer Tilgung der Schulden ganz zu schweigen. Der Schuldendienst zieht Finanzmittel aus den Bereichen Soziales, Gesundheit und Bildung ab. So bringen die ärmsten Länder Afrikas im Schnitt zwischen drei und vier US-Dollar pro Kopf und Jahr für die Gesundheit und acht bis neun US-Dollar für den Schuldendienst auf.

Nach wie vor bleibt die Schuldenerleichterung für die armen Staaten davon abhängig, daß sie "Strukturanpassungsprogramme" auflegen, die der IWF diktiert. Das erzwingt eine Erhöhung der Exportquote und Einsparungen im Sozialbereich zwecks Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Die Folgen der Verschuldung und der IWF-Programme sind fatal: In den ärmsten Ländern sterben täglich 11.000 Kinder an elendsbedingten Infektionskrankheiten, die Lebenserwartung liegt um 26 Jahre unterhalb der in den Industrieländern. Über 50 Millionen Kinder im Grundschulalter besuchen keine Schule, darunter zwei Drittel Mädchen. Nach einem Bericht der Weltbank wird die Zahl der Armen, die mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen müssen, in diesem Jahr von 1,3 auf 1,5 Milliarden anwachsen.

Bislang galt eine "Bewährungsfrist" von bis zu sechs Jahren, ehe ein Land in den Genuß von Erlassen kommen konnte. Nun können die Länder bereits nach drei Jahren Finanzmittel für eine "Interimsfinanzierung" ihrer Schulden beantragen. Voraussetzung ist jedoch, daß das entsprechende Land "ehrgeizige wirtschaftspolitische Vorgaben bereits frühzeitig erfüllt", wie die G7-Finanzminister betonten. Zudem sollen nach dem Willen der G7-Staaten künftig die Anstrengungen der Empfängerländer für eine bessere Regierungsführung im Sinne der Geberländer in der Entwicklungszusammenarbeit eine größere Rolle spielen. Dazu zählt eine "solide Haushaltspolitik", die mit einer angemessenen Sozialpolitik in der Regel unvereinbar sein dürfte.

Die Initiatoren der 'Erlaßjahr 2000'-Kampagne werteten die "prominente Behandlung des Schuldenthemas auf dem Gipfel" als "wichtigen Erfolg". Allerdings müsse es "Nachbesserungen geben". Auf weniger positive Resonanz stießen die Ergebnisse der Arbeitstagung der G7/G8-Staaten hingegen bei den Teilnehmern des "Alternativen Weltwirtschaftsgipfels", der parallel zum Treffen der Staatsmänner ebenfalls in Köln stattfand.

"Was einmal zu einem Durchbruch werden sollte, ist inzwischen total verwässert worden", sagte Peter Wahl, Vorstandsmitglied der Nichtregierungsorganisation 'World Economy, Ecology & Development' (WEED) und einer der Organisatoren des 'Alternativgipfels'. Durch den geplanten Schuldenerlaß käme unter dem Strich nur eine durchschnittliche Entlastung von rund einem Drittel heraus. Wahl: "Das ist viel zu wenig für einen wirklichen Neuanfang." Er kritisierte zudem, daß die betroffenen Länder "weiter an der Kandare der orthodoxen Strukturanpassung" lägen. Diese verschärfe im Ergebnis die Armut. Wirkliche Veränderungen könnten nur durch Druck aus der Gesellschaft zustande kommen.

WEED fordert die Abkoppelung der Entschuldungsmaßnahmen von der neoliberalen Strukturanpassungspolitik des IWF und eine grundsätzliche und unabhängige Überprüfung der Erfahrungen mit derartigen Auflagen. In diese Überprüfung müßten vor allem auch Betroffene aus den Schuldnerländern einbezogen werden.

Auch die 'Erlaßjahr 2000'-Kampagne wurde auf dem von rund 600 Menschen besuchten 'Alternativgipfel' kritisch gesehen. So kritisierte Brian Ashley, Koordinator des südafrikanischen Informations- und Entwicklungszentrums, daß die Kampagne Forderungen nach kompletter Schuldenstreichung und Reparationszahlungen mit der Begründung abgelehnt habe, "daß man dann wichtige Bündnispartner verlieren würde". Innerhalb der 'Erlaßjahr-2000'-Kampagne, so Ashley, "reproduzierten sich die globalen Machtverhältnisse". Hauptziel der Erlaßjahrinitiativen aus dem Norden sei es gewesen, die G7/G8-Chefs nicht durch zu radikale Forderungen zu verschrecken. Empört konstatierte Ashley: "Der Norden sagt uns, was zu tun ist. Dabei haben wird diese Schulden mehr als bezahlt." Und er fügte hinzu: "Wir sagen: Nicht einen Penny mehr!"


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