08.07.1999



Hürde gefallen

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*   Hürde gefallen
Von Pascal Beucker

Der nordrhein-westfälischen Landtag stolpert in Münster: Die Landesverfassungsrichter kippen die Fünf-Prozent-Hürde.

Es war eine Niederlage auf ganzer Linie. Das Urteil hätte für den nordrhein-westfälischen Landtag nicht verheerender ausfallen können. Nicht nur, daß die Münsteraner Verfassungsrichter feststellten, der Landtag habe durch die im Mai letzten Jahres beschlossene Beibehaltung der Fünf-Prozent-Klausel bei den Kommunalwahlen "das Recht auf Chancengleichheit der Parteien und auf Gleichheit der Wahl" verletzt. Geradezu mit dem Seziermesser zerteilten die Richter darüberhinaus die vom Landtag vorgebrachten Argumente für die Fünf-Prozent-Klausel. Für die "Annahme", daß bei einem Wegfall der Sperrklausel vermehrt Splitterparteien in die Kommunalparlamente einzögen und deren Funktionsfähigkeit beeinträchtigten, fehle es "an nachvollziehbaren tatsächlichen Erkenntnissen". Und soweit der Landtag mit Blick auf die Bildung notwendiger Mehrheiten befürchte, kleinere Parteien und Wählergruppen verträten nur bestimmte eingeschränkte Interessen, verkenne er, so Landesverfassungsgerichtspräsident Michael Bertrams, "daß auch größere politische Parteien nicht dagegen gefeit seien, daß in ihren Ortsgruppen und Kreisverbänden Interessengruppen eine maßgebliche Rolle spielten".

Nun muß das Kommunalwahlgesetz geändert werden - und das in Windeseile. Denn die Kommunalwahlen sind für den 12. September terminiert. Am 26. Juli endet die Anmeldefrist für die Teilnahme an den Wahlen. Die 221 Landtagsabgeordneten müssen ihren Sommerurlaub unterbrechen. Für die kommende Woche haben sich die im Landtag vertretenen Parteien auf Sondersitzungen des Parlaments geeinigt. Auf zwei Sitzungen soll ein "Reparaturgesetz" auf den Weg gebracht werden, um den Kommunalwahltermin noch zu retten.

Die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) und die PDS, die mit ihren Klagen gegen den Landtag die Fünf-Prozent-Klausel zu Fall brachten, hatten allen Grund zum Jubeln. PDS-Landessprecher Knud Vöcking verkündete unmittelbar nach dem Urteilsspruch, daß seine Partei nun nicht nur wie bisher geplant in Düsseldorf, Duisburg, Heimbach, Herne, Stolberg, Witten und Wuppertal zu den Wahlen antreten würde, sondern jetzt auch noch Kandidaturen in Aachen, Bielefeld, Essen, Köln, Moers, Münster, Neuss und für den Kreistag in Unna anstrebe. Bisher verfügt die PDS nur in dem Dörfchen Heimbach über Abgeordnete - die waren in der laufenden Legislaturperiode von den Grünen zur PDS übergetreten. Einiges vorgenommen hat sich auch die ÖDP, die bisher nur in Bad Driburg über zwei Stadträte verfügt. Sie will außerdem auch noch in Bottrop, Münster, im Kreis Coesfeld, Kreis Höxter, Kreis Minden-Lübbecke, Kreis Gütersloh sowie in der Stadt Dülmen um Stimmen werben.

Der große Gewinner der Münsteraner Entscheidung dürfte allerdings die FDP sein, die zur Zeit nur in wenigen Stadträten vertreten ist, jedoch bei den letzten Kommunalwahlen zum Teil nur knapp den Einzug verfehlte. So erhielt sie beispielsweise in Münster 4,2 Prozent. Durch den Wegfall der Sperrklausel, so die Münsteraner Oberbürgermeisterkandidatin der FDP, Carola Möllemann-Appelhoff, würden endlich alle "Papierkorbstimmen" wegfallen. Dadurch könnte auch die "innere Sperre" in der eigenen Anhängerschaft durchbrochen werden.

Wenig verwunderlich, daß auch ihr Ehemann Jürgen W. Möllemann das Urteil begrüßte. "Es gibt jetzt die Chance für mehr Demokratie und zugleich für neue Mehrheiten der Vernunft", erklärte der FDP-Landesvorsitzende. Die Entscheidung des Gerichts sei zudem, so Möllemann, eine "schallende Ohrfeige für die bislang untätig gebliebene rot-grüne Landtagsmehrheit, die jetzt zu Recht nachsitzen muß". Um den nächsten unnötigen Verfassungsstreit zu vermeiden, so empfahl der FDP-Entertainer, sollten bei der kommenden Kommunalwahl Sperrklauseln komplett wegfallen.

Der grüne Landessprecher Reiner Priggen übte sich unterdessen in seiner Stellungnahme zum Münsteraner Fünf-Prozent-Urteil in Richterschelte. Zwar begrüße er die Aufhebung der Fünf-Prozent-Klausel, so Priggen. Er halte aber das Zustandekommen und den Zeitpunkt des Urteils für "äußerst kritikwürdig". Das Verfassungsgericht habe "in unverantwortlicher Weise in politische Vorgänge eingegriffen", erklärte er. Und: "Ein Urteil mit der Heute bekanntgewordenen Begründung hätte bereits viel früher getroffen werden können." Er vergaß allerdings zu erwähnen, daß sich die Verfassungsrichter ihr Urteil hätten sparen können, wenn sich die Grünen nicht dem Druck ihres großen Koalitionspartners gebeugt und im Mai letzten Jahres für die Beibehaltung der Fünf-Prozent-Klausel gestimmt hätten.

Der stellvertretende Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Eckhard Uhlenberg, machte denn auch die Grünen mitverantwortlich für das Desaster von Münster, da sie sich bei der Abstimmung im Landtag aus Gründen der "Koalitionsräson" gegen den Wegfall der Fünf-Prozent-Hürde entschieden hätten. Doch der Hauptverantwortliche sei die SPD. "Dem parteipolitischen Scheuklappendenken der SPD haben wir die Situation zu verdanken, die jetzt alle unter Druck setzt", so Uhlenberg.

Eine Kritik, die der SPD-Landesvorsitzende Franz Müntefering nicht nachvollziehen kann. Denn schließlich habe die SPD stets "konsequent auf mehr Bürgerbeteiligung" gesetzt. "Mehr Demokratie - das war und bleibt die Handschrift der SPD", so Müntefering.


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